"Dass uns findet, wer will"Erinnerungen an die DDR: Thilo Krause veröffentlicht neuen Gedichtband
Für seinen Roman "Elbwärts" wurde Thilo Krause gefeiert. Nun sind neue Gedichte des in Dresden geborenen Autors erschienen: In dem Lyrikband "Dass uns findet, wer will" erzählt Krause mit Liebe zum Detail von seiner Kindheit und Jugend in der DDR und den 90er-Jahren. Mit seinen direkten Versen erweist sich Krause für unseren Kritiker als sachlichster Lyriker im deutschsprachigen Raum.
An eine Karriere als Lyriker dachte der 1977 in Dresden geborene Thilo Krause gewiss noch nicht, als er sein Studium als Wirtschaftsingenieur mit der Promotion abschloss. 2012 debütierte er mit dem Opus "Und das ist alles genug" im Leipziger Verlag Poetenladen. 2015 kam dort unter dem Titel "Um die Dinge ganz zu lassen" eine weitere Auswahl von Versen aus seiner Feder heraus.
Beide Bücher lösten einen Hype aus, der dem Autor unter anderem den Clemens-Brentano-Preis und den Schillerpreis bescherte. Das daraus erwachsende Renommee erlaubte es ihm, zum Hanser Verlag zu wechseln. Dort erschien jetzt seine Gedichtsammlung "Dass uns findet, wer will", in der er sich zum wiederholten Male als Verfechter knapper, unumwundener Direktheit outet.
Thilo Krauses Lyrik: knapp, direkt, kreativ
Metaphorische Ausschweifungen bilden eine Seltenheit in Thilo Krauses sprachlichem Repertoire. Seine Verse ankern tief in der Realität und erinnern an Georg Maurers Diktum "Das Poetische ist das Konkrete". Einer der stärksten Texte seiner Gedichtkollektion zeigt, wie kreativ er die Methode der Akribie nutzt.
Kontraststark porträtiert Krause darin seinen Großvater, der ursprünglich mit den Kommunisten sympathisierte, sich dann aber rasch von ihnen entfremdete: "Wie er spuckte auf die Partei. / Ein paar kurze Jahre / hatten sie ihn zu sich gezogen. / Schmerz des Beins / das es nicht mehr gab / Phantom einer besseren Welt / mit dem Parteibuch beschworen / bis er es dem Kader vor die Füße warf."
Gedichte über das Ende der DDR
Thilo Krause wuchs in der späten DDR auf, die sich rasant dem ökonomischen und ideologischen Ruin näherte. Als Teenager erlebte er den Zusammenbruch des SED-Regimes und das Vakuum, das sich danach für viele Menschen im Osten auftat. Zugleich wurde er quasi über Nacht in eine glitzernde Verkaufskultur hineingeschleudert, die ihn und seine Altersgefährten faszinierte, jedoch auch schockte.
Diese Ankunft in einer Sphäre des Überflusses schildert er intensiv: "Wie wir Kataloge wälzten / um uns an Produkte zu gewöhnen. / Chromstarrende Mountainbikes / nie gesehene Unterwäsche. / So entblößte sich / Monat um Monat. / Wir lernten die Preise. / Wir lernten, was wir uns wert waren."
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Abnabelung von der sächsischen Heimat: von Dresden nach Zürich
Geistig wohnte Thilo Krause bis vor wenigen Jahren noch in Sachsen. Das dokumentiert sein gefeierter Roman "Elbwärts" von 2020. Inzwischen hat er die Abnabelung vollzogen. Heute ist der Autor in Zürich verwurzelt, wo er an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Forschung betrieb und mittlerweile in einer Führungsposition in der städtischen Elektrizitätsfabrik arbeitet.
Aus dieser hochgradig analytischen Radikalität des Betrachtungswinkels entspringt sein Talent, das ihn zum momentan sachlichsten Lyriker im deutschsprachigen Raum macht.
Ulf Heise, MDR KULTUR-Literaturkritiker
Deshalb tauchen in seinen Zeilen häufiger Motive auf, in denen er sich mit seiner Wahlheimat identifiziert: "In der Lücke zwischen zwei Arealen / erscheint die Stadt / als das, was dieser Ort war: / Ebene den Bergen zu, Vorhalt / des Alpinen, Fluss und See / nicht drohend, nicht schmeichelnd. / Ketten, dunstig in der Ferne / dass in der Verschiebung, die sich auftut / eine andere Stadt zu ahnen ist."
Sachlichster Lyriker im deutschsprachigen Raum
Genauigkeit prägt Thilo Krauses Stil bis ins kleinste Detail. Der Künstler beobachtet sich selbst ebenso haarscharf wie sein Umfeld. Aus dieser hochgradig analytischen Radikalität des Betrachtungswinkels entspringt sein Talent, das ihn zum momentan sachlichsten Lyriker im deutschsprachigen Raum macht.
Angaben zum Buch
Thilo Krause: "Dass uns findet, wer will"
Carl Hanser Verlag, 2023
136 Seiten
22 Euro
Redaktionelle Bearbeitung: Valentina Prljic
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 05. März 2023 | 14:15 Uhr