Würdigung Alexander Kluge: Der Halberstädter Universalkünstler wird 90
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Alexander Kluge ist Filmemacher, Fernsehproduzent, Schriftsteller, Drehbuchautor, bildender Künstler, Philosoph und Rechtsanwalt – und damit wohl einer der vielseitigsten Intellektuellen Deutschlands. Geboren und aufgewachsen ist Kluge in Halberstadt, nur knapp überlebte er 1945 den Bombenangriff auf die Stadt und zog im selben Jahr mit der Mutter nach Berlin. Doch in seinen Werken trifft man immer wieder auf Halberstadt. Am 14. Februar feiert er seinen 90. Geburtstag. Eine Würdigung.
Alexander Kluge ist ein maßloser Künstler des verdichteten Zusammenhangs. Bilder, Aussagen, Töne: Seit gut sechs Jahrzehnten lässt seine Stimme immer wieder weitere Stimmen sprechen. Das Format des Dialogs probiert er dabei stets auch an sich aus: Die Assoziationsketten führen grenzenlos durchs eigene Wissen, Vermuten, Denken und Erinnern. Es gibt kein Einzelnes für Alexander Kluge, Werk heißt immer Gesamtheit und Verbund.
Kluge setzt immer auf Kooperation und Dialog
"Gärten der Kooperation", so sagt er, sind das Idol: "Ich glaube nicht, dass wir isoliert und als Einzelne arbeiten sollten. Sondern dass wir unsere Eigenständigkeit, also auch unsere Widerspruchsfähigkeit, unseren Eigensinn am besten verwirklichen, wenn wir im Dialog sind. Dialog hat nicht zur Folge, dass ich meine eigenen Ansichten verflache, sondern dass sie überhaupt erst hervorgerufen werden." So formuliert er es in seinem "Pluriversum", wie die ausstellungsbegleitende Publikation seiner Werkschau im Folkwang Museum von 2017 heißt.
Sein universelles und dabei auch literarisches Format ist das Gespräch, und es interessiert meist weniger die Antwort denn die geglückte Frage. Zusammendenken ist für ihn immer Zusammenarbeit. Im Zweifel mit den Toten: Wenn er schreibt, so sagt er, ist er nicht allein, sondern umgeben von Verwandten, Kollegen, Literaten und literarischen Figuren.
Geburtsort Halberstadt hat viel Raum in Kluges Werk
Alexander Kluge wird am 14. Februar 1932 in Halberstadt geboren. Er wächst dort auf, besucht das Domgymnasium und wird nach der Trennung seiner Eltern 1945 mit der Mutter nach Berlin-Charlottenburg umziehen.
Nur knapp hat er den Luftangriff am 8. April 1945 auf Halberstadt überlebt – wobei die Bombennacht, genau wie Namen und Orte Halberstadts in seinen Filmen und Erzählungen immer wieder aufblitzen. Das Einschreiben Halberstadts in seine Erinnerung schreibt sich durch sein Werk fort.
Alexander Kluges Werk ist seit Beginn durchdrungen von dem Glauben an die humanistische Kraft der Theorie, bleibt warmherzig und im besten Sinne menschenfreundlich, auch, indem es keine Hierarchie zwischen Unsinn und Gedankenarbeit aufmacht. Kluge verquickt das unhierarchische und damit grundsätzlich demokratische Erzählen (jeder Gedanke, jedes erzählte Ereignis hat seinen Platz) mit seiner unbedingten Subjektivität. Für ihn steht stets die "raison du coeur" in Verbindung mit den historischen Ereignissen, nicht zuletzt seinen eigenen biografischen Erfahrungen.
Zahlreiche Literaturpreise und der Goldene Löwe in Venedig
Im Bewusstsein Literat sein zu wollen, gibt Alexander Kluge in den 50er-Jahren seine Rechtsanwaltskarriere auf und beginnt künstlerisch zu arbeiten, zu filmen, zu schreiben. Er wird 1962 von der "Gruppe 47" eingeladen, und spätestens damit beginnt seine Biografie-Schreibung als Autor.
1966 bekommt Kluge als erster Deutscher nach dem Krieg den Silbernen Löwen in Venedig für sein Spielfilmdebüt, 1968 folgt der Goldene Löwe. 1979 erhält er den Fontane-Preis und den Großen Bremer Literaturpreis. Eine Reihe Literaturpreise folgen: 1993 der Heinrich-Böll-Preis, 2003 der Georg-Büchner-Preis, 2014 der Heinrich-Heine-Preis und 2019 der Klopstock-Preis des Landes Sachsen-Anhalt.
"Chronik der Gefühle" als Opus Magnum
Wollte man ein Herzstück seines großen literarischen Schaffens ausmachen, dann seine über 2.000-seitige "Chronik der Gefühle", in welcher Halberstadt (neben Stalingrad) den größten geografischen Bezugspunkt ausmacht. Das sowohl als Montageroman als auch Erzählsammlung lesbare Opus Magnum versammelt Kurz- und Kürzesttexte und bricht mit Genres, indem es sie präludiert. Kluges Sprache ist immer erkennbar in ihrer vordergründigen Kunstlosigkeit, die im gedanklichen Ornament mündet, sie ist Präzision in Zerstreuung, die Unübersichtlichkeit seiner Bücher ist schwindelerregend.
Es ist eine Folgerichtigkeit, dass in Alexander Kluges Modus des fragenden Dialogs auch das Buch selbst als Medium immer wieder befragt wird. Nicht allein in der übergreifenden medialen Darstellung (Video/Text-Installation, Foto/Text-Resonanz) inszeniert Kluge die Möglichkeiten der ästhetischen Präsenz. Auch in seiner Zusammenarbeit mit dem Leipziger Verlag Spector Books drückt sich die Idee einer Ausweitung des Buchmediums aus, zuletzt in dem mit Jonathan Meese zusammen geschriebenen und gestalteten Buch "Schramme am Himmel", in dem sie ihre jahrelange Beschäftigung mit Hagen von Tronje zusammendenken: ein "Garten der Kooperation".
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | Unter Büchern | 11. Februar 2022 | 18:00 Uhr