Fund in Hoyerswerda Original-Dokumente von Brigitte Reimann: Einblick in ihre produktivste Zeit

Brigitte Reimann gilt als eine der bedeutendsten Erzählerinnen der DDR. Am 21. Juli wäre sie 89 Jahre alt geworden. In Hoyerswerda, wo sie acht Jahre lebte, wird an diesem Tag ein "Brigitte-Reimann-Kabinett" in der Stadtbibliothek eingeweiht. Doch die Schriftstellerin ist in Hoyerswerda auch noch aus einem anderem Grund wieder in aller Munde: In ihrem früheren Wohnhaus wurden kürzlich originale Dokumente der Schriftstellerin gefunden.

Ein roter sanierter Plattenbau mir einer Gedenktafel neben dem Eingang.
In diesem Haus hat Brigitte Reimann vor rund 60 Jahren in einer Neubauwohnung gelebt. Bildrechte: MDR/Eva Gaeding

Eines muss man Plattenbauten lassen: Sie haben schöne, trockene Keller. Sonst, da ist man sich im Stadtmuseum von Hoyerswerda einig, wären die Dokumente, die Brigitte Reimann vor rund 60 Jahren im Keller ihrer Hoyerswerdaer Neubauwohnung zurückließ, wohl nicht in diesem guten Zustand.

Nur ein wenig vergilbt und an wenigen Stellen von Mäusezähnen mit hauchzarten Mustern verziert, sind die Zeitungsausschnitte, Briefe, Typoskripte und Aufzeichnungen der Schriftstellerin. Anfang des Jahres waren sie durch Zufall von einer Entsorgungsfirma in Reimanns ehemaligen Wohnhaus entdeckt worden.

Die Direktorin des Stadtmuseums, Kerstin Noack, sieht in dem Konvolut große Bedeutung für die Stadt: "Natürlich will jeder die Himmelsscheibe von Nebra finden. Dann brauche ich mir als Museum keine Sorgen mehr zu machen. Aber diese Themen, die mit der Stadtgeschichte zu tun haben – das ist schon toll, wenn man nach so langer Zeit wieder an Originale rankommt." Vor allem, da Hoyerswerda bislang fast keine originalen Hinterlassenschaften von Reimann besitze.

Ein grünes Schulheft, das es in sich hat

Das, was der Himmelsscheibe dabei vielleicht am nächsten kommt, ist ein grünes Schulheft mit handschriftlichen Notizen, vermutlich zu Reimanns Roman "Die Geschwister". Christine Neudeck, die sich viele Jahre im örtlichen Kunstverein für das Andenken an die Schriftstellerin eingesetzt hat, ist von deren gleichmäßiger Handschrift in diesem Notizbuch begeistert. "Die Tagebücher sahen schon so aus: Kleine Schrift, jede Zeile voll beschrieben, jede Seite voll beschrieben. Und kaum Korrekturen drin!"

Bis auf die Einträge vom 3. und 5. Juni: Da ist das Geschriebene abrupt durchgestrichen worden. Stattdessen steht in gar nicht mehr so kleiner Schrift geschrieben: "Scheiße, Scheiße, Scheiße". Museumsleiterin Noack sagt: "Auch den Ärger kann man tatsächlich ein Stück weit rauslesen, wenn sie nicht mehr weiterkam mit dem Text. Den hat sie dann auch so formuliert."

Ein altes Notizbuch, handschriftliche beschrieben, liegt aufgeschlagen auf einem Tisch. Daneben historische Zeitungsausschnitte und Briefe.
Die Dokumente wurdem vor wenigen Wochen im ehemaligen Wohnhaus von Brigitte Reimann in Hoyerswerda gefunden. Bildrechte: MDR/Eva Gaeding

Leben in Hoyerswerda: Zwischen Ideal und Wirklichkeit

Ärger hatte Brigitte Reimann wohl oft in Hoyerswerda. Insgesamt acht Jahre verbrachte sie hier, ihre wohl produktivste Zeit. Die Schriftstellerin kam 1960 mit ihrem Mann hierher. Neben der Altstadt wuchs da gerade eine völlig neue Stadt aus dem Heideboden. Geplant am Reißbrett für die Arbeiter des Kohlekraftwerks Schwarze Pumpe. In der Stadt lockte ein Experiment: Jeweils einen Tag der Woche sollten die Autoren in der Produktion mitarbeiten, sozusagen auf Du und Du mit dem Stoff ihrer künftigen Romane. Hier schrieb Reimann Bücher, wie "Ankunft im Alltag" (1961) oder "Die Geschwister" (1963). Und natürlich: "Franziska Linkerhand", ihr letzter, unvollendet gebliebener Roman.

Hier erfuhr die Autorin, die rauchte, trank, Männergeschichten hatte und mit Kritik nicht hinterm Berg hielt, aber auch Anfeindungen. Das erzählt Angela Potowski, die Spaziergänge auf den Spuren der Autorin durch Hoyerwerda durchführt. Für sie ist der Fund ein Ausschnitt aus Reimanns Leben in dieser Schaffensperiode: "Hier kommt ihre literarische Arbeit zusammen. Hier kommen ihre ganz persönlichen Aufzeichnungen zusammen mit dem, was andere von ihr wollten. Nämlich, dass sie kommt und liest."

Post aus einer vergangenen Zeit

Wie aus einer weit vergangenen Zeit mutet zum Beispiel die Einladung des Nationalrates der Nationalen Front des demokratischen Deutschland zum Nationalkongress 1962 an. Ob sie wohl erschienen ist, obwohl im letzten Satz darauf hingewiesen wird, der Kraftfahrer sei nicht in die Verpflegung eingeplant? Oder das Gesuch der Magdeburger Verkehrsbetriebe, Reimann möge doch ihren jährlich stattfindenden Literaturball mit ihrer Anwesenheit beehren. Die überwiegend weibliche Belegschaft habe sich gewünscht, auch mal eine Schriftstellerin einzuladen.

Auch, wenn die Provenienz der Dokumente noch nicht geklärt ist, den Hoyerswerdaern wäre zu wünschen, dass dieser Fund in ihrer Stadt verbleiben darf.

(Redaktionelle Bearbeitung: Cornelia Winkler)

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 19. Juli 2022 | 18:40 Uhr

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