60. Geburtstag Ingo Schulze: Wie der Schriftsteller in seinen Büchern auf den Osten blickt

Ingo Schulze gilt als einer der renommiertesten Schriftsteller Ostdeutschlands. In seinen Romanen und Bestsellern wie "Die rechtschaffenen Mörder" setzt sich der in Dresden geborene Autor mit dem Ende der DDR, Wendeerfahrungen und Ost-West-Konflikten auseinander. In Essays, Reden und Zeitungsartikeln reagiert Schulze außerdem immer wieder auf Fragen der Gegenwart. Zu seinem 60. Geburtstag empfehlen wir fünf Bücher aus seiner gesamten Schaffensperiode, die man unbedingt gelesen haben sollte.

Schriftsteller Ingo Schulze sitzt auf einer Couch in seiner Wohnung
Der in Dresden geboren Autor Ingo Schulze feiert 60. Geburtstag. Diese fünf Bücher haben sein schriftstellerisches Werk geprägt. Bildrechte: dpa

1. Altenburg nach der Wende: "Simple Storys: Ein Roman aus der ostdeutschen Provinz"

Nachdem Ingo Schulze Ende der 1980er-Jahre in Jena Klassische Philologie und Germanistik studiert hatte, lebte er einige Jahre in Altenburg. Zunächst als Dramaturg am Theater und nach 1990 als Mitbegründer einer unabhängigen Zeitung. Er wusste also, worüber er schrieb, als er 1999 "Simple Storys: Ein Roman aus der ostdeutschen Provinz" veröffentlichte. Im Mittelpunkt der 29 Geschichten, die in Altenburg spielen und sich zu einem Roman verbinden, stehen Kellnerinnen, Sekretärinnen, Taxiunternehmer und Journalisten. Nach der großen historischen Zäsur, die der Mauerfall für sie war, müssen sie ihr Leben neu sortieren, was nicht allen gelingt. Ingo Schulzes nüchtern-lakonische Beschreibung der ostdeutschen Nachwendegesellschaft ist so gnadenlos wie überzeugend.

Abgenutzte Klingelschilder, zum Teil ohne Namensschilder.
Das ostthüringische Altenberg ist der Schauplatz von Ingo Schulzes Roman "Simple Stories". Bildrechte: dtv

Angaben zum Buch

Ingo Schulze: "Simple Storys: Ein Roman aus der ostdeutschen Provinz"
dtv München, 1999 (TB-Ausgabe)
316 Seiten
ISBN: ‎978-3423127028

2. Ingo Schulzes Alter Ego: "Neue Leben. Die Jugend Enrico Türmers in Briefen und Prosa"

Auch in seinem Roman "Neue Leben. Die Jugend Enrico Türmers in Briefen und Prosa" zieht es Ingo Schulze wieder nach Altenburg. Diesmal steht eine Figur im Mittelpunkt, in der man ein Alter Ego des Schriftstellers vermuten könnte. Denn wie Ingo Schulze ist auch Enrico Türmer ein Theatermann, der 1990 bei einer gerade gegründeten Zeitung anfängt. Dort begegnet er dem Unternehmer Clemens von Barrista, der ihn erfolgreich in die Geheimnisse des Kapitalismus einweiht. Wir erfahren davon in seinen eigenen Aufzeichnungen und Briefen, die der Schriftsteller Ingo Schulze angeblich herausgibt und kommentiert. Auf fast 800 Seiten entsteht ein originelles und für Ostdeutsche nur allzu bekanntes Provinzpanorama.

Angaben zum Buch

Ingo Schulze: "Neue Leben. Die Jugend Enrico Türmers in Briefen und Prosa"
Berlin Verlag, Berlin 2005
752 Seiten
ISBN: 978-3827000521

3. Liebesgeschichte im Sommer 1989: "Adam und Evelyn"

Nachdem sich Ingo Schulze in seinen ersten Büchern mit der Nachwendezeit auseinandergesetzt hat, erzählt er in "Adam und Evelyn" eine Geschichte, die kurz vor der Zeitenwende spielt. Weil Evelyn ihren Mann, den Maßschneider Adam, bei einem Seitensprung erwischt, fährt sie im Sommer 1989 mit einer Freundin und deren Westcousin an den Balaton. Und weil Adam Evelyn nicht verlieren will, fährt er ihnen nach und nimmt noch eine junge Frau mit. In Ungarn, wo die Menschen bereits zu Tausenden in den Westen fliehen, stehen alle Figuren vor existentiellen Fragen: Rein ins Paradies? Raus aus dem Paradies? Und wo liegt das überhaupt? Es ist vor allem der heiter-melancholische Grundton, der in diesem Roman überzeugt.

Buchcover mit einer Ölmalerei eines sich liebendes Paares.
Ingo Schulzes "Adam und Evelyn" ist sein erster Roman, der verfilmt wurde. Bildrechte: Berlin Verlag

Angaben zum Buch

Ingo Schulze: "Adam und Evelyn"
Berlin Verlag, Berlin 2008
320 Seiten
ISBN: ‎978-3827008107

4. Ingo Schulze über seine Heimatstadt: "Dresden wieder sehen"

Obwohl Ingo Schulze Dresden schon vor Jahrzehnten verlassen hat, lässt ihn seine Heimatstadt nicht los. So spielt sein Roman "Die rechtschaffenen Mörder" in Dresden und auch zahlreiche Zeitungsartikel, Reden und Essays sind der Stadt gewidmet. Einige davon sind in dem Band "Dresden wieder sehen" versammelt, in dem sich Ingo Schulze unter anderem fragt, wie es dazu kommen konnte, dass Dresden gern mythisch verklärt wird, vor allem von den Dresdnern selbst. Hat man den Band gelesen, bekommt man den Eindruck, dass Ingo Schulze zwar mit kritischem Abstand auf Dresden schaut, die Stadt aber zugleich tief im Herzen trägt, egal wo er sich gerade befindet.

Cover: Ingo Schulze "Dresden wieder sehen"
In seinem Buch "Dresden wieder sehen" setzt sich Ingo Schulze mit den politischen Entwicklungen in seiner Heimat auseinander: mit Pegida, Demonstrationen gegen Rechtsradikale und den Verwerfungen zwischen Ost und West. Bildrechte: Wallstein Verlag

Angaben zum Buch

Ingo Schulze: "Dresden wieder sehen"
Wallstein Verlag, Göttingen 2021
76 Seiten
ISBN: ‎978-3835351196

5. Erzählungen über Kunst und deutsche Geschichte: "Tasso im Irrenhaus"

Eine ganz neue Facette zeigt uns Ingo Schulze in dem Band "Tasso im Irrenhaus", nämlich die des Kunstkenners und Kunstliebhabers. Drei Erzählungen sind drei Künstlern und ihren Werken gewidmet: Reinhard Mucha, Eugène Delacroix und Johannes Grützke. Nachdenklich und unterhaltsam verwebt Ingo Schulze seinen persönlichen Blick auf die Kunst wiederum mit der jüngsten deutschen Geschichte, den Missverständnissen zwischen Ost und West und der Rolle des Schriftstellers in dieser komplizierten Welt.

Ingo Schulze, Tasso im Irrenhaus, Buch, Cover
In seinen Erzählungen "Tasso im Irrenhaus" verwebt Ingo Schulze den Blick auf Kunst mit der jüngsten deutschen Geschichte zwischen Ost und West. Bildrechte: dtv

Angaben zum Buch

Ingo Schulze: "Tasso im Irrenhaus"
dtv, München 2021
160 Seiten
ISBN: ‎978-3423282390

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 26. Dezember 2022 | 08:10 Uhr

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