"Nicht wirklich"Jens Sparschuhs neuer Roman: zwischen Witz und Behäbigkeit
Jens Sparschuh porträtiert in seinem jüngsten Buch "Nicht wirklich" auf blitzgescheite Art einen alternden Philosophiedozenten. Es findet sich wieder viel von dem speziellen Humor des Autors. Ein klassischer Bildungsroman, der unseren Kritiker jedoch nicht rundum überzeugt. Zu erleben ist der Autor übrigens auch auf der Leipziger Buchmesse, die nach drei Jahren corona-bedingter Zwangspause am 27. April 2023 wieder in die Vollen geht.
Unter dem Titel "Nicht wirklich" hat der Schriftsteller Jens Sparschuh gerade einen klassischen Bildungsroman veröffentlicht. Zu DDR-Zeiten war Sparschuh bloß wenigen Literaturfreunden ein Begriff. Den Durchbruch schaffte der 1955 in Chemnitz geborene Autor erst mit dem verfilmten Bestseller "Der Zimmerspringbrunnen", in dem ein umtriebiger Ossi unter kuriosen Bedingungen zum erfolgreichen Vertreter für nutzlose Wohnraum-Accessoires aufsteigt. Seit diesem Kassenschlager gilt der Schriftsteller als Garant für kesse, flotte und dynamische Prosa mit einer aufklärerischen Note.
Witz und intelligente Ironie
Der Hauptakteur von Sparschuhs aktuellen Roman ist ein alternder Philosophiedozent namens Anton Lichtenau. Das akademische Milieu, in das der Autor seinen Helden versetzt, mutet anfangs reichlich altbacken und gestelzt an.
Doch dann durchbricht er plötzlich die Mauer der Antiquiertheit mit einer Salve von Witz und jener Portion kluger Ironie, die für sämtliche seiner bisherigen Werke typisch sind. Zum Beispiel, wenn er eine Studentin von Anton Lichtenau charakterisiert: "Den Schädel trug sie glattrasiert. Meist war sie in ein ockerfarben wallendes Gewand gehüllt; mit der runden Nickelbrille im strengen Gesicht sah sie aus wie ein buddhistischer Mönch, der momentan auf längerer Europatour war."
Debatten über Nietzsche und Heidegger
Anton Lichtenau sagt von sich, dass er Mitglied einer "ausgestorbenen Spezies" sei, also ein Dinosaurier in der eigenen Forschungsrichtung.
Sobald er in Vorlesungen auf Friedrich Nietzsche oder Martin Heidegger zu sprechen kommt, erntet er heftige Missbilligung, denn diese Männer gelten in den Augen der Teenager und Twens, die seine Veranstaltungen besuchen, als reaktionär. Doch Anton Lichtenau verurteilt sie deshalb nicht generell, obwohl er zu Sarkasmus tendiert.
Hallescher Philosoph als Nebenfigur
Der heimliche Matador von Sparschuhs Text heißt Hans Vaihinger. Mit dem vergessenen Gelehrten, der 1911 ein umstrittenes Opus unter dem Titel "Die Philosophie des Als Ob" publizierte, befindet sich Anton Lichtenau im ständigen inneren Dialog.
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Vaihinger, der in Leipzig studierte und später in Halle eine Professur bekleidete, beschäftigte sich intensiv mit der Frage, ob man Richtiges von Falschem zu trennen vermag. Durch solche Gedankenspiele fordert Sparschuh seiner Fangemeinde manchmal zu viel ab, weil er Themen strapaziert, die den Inhalt seiner gewohnt leichtfüßigen Prosa schwächen.
Gescheite Geschichte mit Fallstricken
Bisher wirkte der Stil von Sparschuh leger. Doch jetzt schleicht sich eine Spur der Behäbigkeit in seinen Duktus ein. Die Handlung seiner blitzgescheiten Geschichte gerät mehr und mehr ins Schlingern, denn er vollführt intellektuelle Saltos, bei denen er sich verheddert. Außerdem fehlt seiner Erzählform die Disziplin.
Der Verfasser, der Logik studierte und sich mit Präzision auskennt, gestattet sich hier das Schleifen der Zügel und fabuliert ins Blaue hinein. Das beschädigt seinen bisherigen Ruf als glasklar strukturierter Epiker erheblich.
Das BuchJens Sparschuh: "Nicht wirklich"
224 Seiten, 22 Euro
ISBN: 978-3-462-00140-2
Verlag Kiepenheuer & Witsch
Redaktionelle Bearbeitung: op
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 19. April 2023 | 18:00 Uhr