InterviewAufstieg und Fall eines Jazz-Stars: Neue Biografie über Leipziger Pianistin Jutta Hipp
Sie war ein internationaler Shootingstar des Jazz und ist heute fast vergessen – die Pianistin Jutta Hipp. 1925 in Leipzig geboren, zog es "Europe's First Lady of Jazz" in der Nachkriegszeit nach New York. Ilona Haberkamp, selbst Jazzmusikerin, hat ihr nun eine Biografie gewidmet. Das Buch "Plötzlich Hip(p)" zeichnet die außergewöhnliche Lebensgeschichte einer Ausnahmekünstlerin in der männerdominierten Welt des Jazz' nach. Im Interview erzählt Autorin Haberkamp unter anderem von ihrem Treffen 1986.
MDR KULTUR: Die Pianistin Jutta Hipp war der heimliche Star des deutschen Jazz. Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere in den 50er-Jahren lag ihr die Jazzwelt zu Füßen – heute kennt kaum jemand ihren Namen. Ihr Buch "Plötzlich Hip(p)" soll das ändern. Was war Ihr Motiv, dieses Buch mit dem erkennbar doppeldeutigen Titel zu schreiben?
Ilona Haberkamp: In der Tat war Jutta Hipp jahrzehntelang vergessen und ist vielen jüngeren Jazzmusikerinnen und -musikern immer noch kein Begriff. Wahrscheinlich weil sie sich sehr jung aus der Musikszene verabschiedete und Deutschland für immer verlassen hat. Auch die Anzahl ihrer Platten ist übersichtlich.
Der Titel meines Buches ist doppeldeutig und bezieht sich einerseits auf ihren kometenhaften Aufstieg im Nachkriegsdeutschland und später auch in New York. Sie war eine Sensation, ein Shootingstar, wie man heute sagt, und war plötzlich hip. Aber man kann auch ganz schnell wieder nicht mehr hip sein. Meine Intention mit dem Buch war es, Jutta Hipp wieder ins Spiel zu bringen und ihr ein Comeback zu bieten, auch weil ich sie persönlich kennengelernt habe.
Sie haben Jutta Hipp als junge Musikerin 1986 in New York besucht. Wie haben Sie sie kennengelernt?
Ich war selbst jung und habe geguckt, wen es eigentlich vor meiner Zeit gab. Mit einer Freundin bin ich auf Jutta Hipp gestoßen, und wir haben gesagt: Da fliegen wir jetzt hin. Unsere drängende Frage war, warum sie aufgehört hat mit der Musik. Dann haben wir eine lebenslustige, warmherzige und humorvolle Frau kennengelernt. Als ich sie kennenlernte, war sie 61 Jahre alt. Sie hatte schon mit 35 ihre Karriere beendet.
Die erste Station von Jutta Hipps Karriere war Leipzig. Wie muss man sich die Situation in den 40er- und 50er-Jahren vorstellen?
Jutta Hipp hat in den Kriegsjahren, also noch zur Nazi-Zeit, den Jazz für sich entdeckt. Der Hot Club in Leipzig war einer der ersten informellen Jazzclubs in Deutschland. Man muss sich heimliche Treffen vorstellen, der Feindsender wurde heimlich gehört und der Jazz galt noch als Freiheit. Jutta Hipp beschrieb den Jazz als eine Art Religion. Als sie nach dem Krieg in den Westen floh, tingelte sie durch die amerikanischen Clubs und hat da viel dazugelernt – also Learning by Doing.
Wie kam es zu dem frühen Karriereende mit 35 Jahren?
Da sind viele Faktoren zusammengekommen. Einer davon war der Alkohol. Durch ihren Alkoholkonsum verkrachte sie sich mit ihrem Förderer und Manager. Sich vermarkten konnte sie nicht, sie war nicht geschäftstüchtig. Außerdem hatte sie es als erste weiße Frau in der Jazzszene schwer – es gab den Vorwurf von Schwarzen Künstlern, dass sie ihnen die Jobs wegnähme. Sie hat dann gegenüber den Afroamerikanern ein Schamgefühl entwickelt und sich zurückgezogen. Der Alkohol hat sie dann sehr runtergezogen.
Sie war eine Pionierin ihrer Zeit und war ihrer Zeit um Längen voraus. Sie hat eine außergewöhnliche Lebensgeschichte, die man mit keiner anderen Frau aus der Musikszene vergleichen kann.
Ilona Haberkamp, Biografin
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In Leipzig gibt es inzwischen immerhin den Jutta-Hipp-Weg. Mit Blick auf ihre Lebensleistung, wofür sollte man ihr Respekt und Anerkennung zollen?
Sie war eine Pionierin ihrer Zeit und war ihrer Zeit eigentlich um Längen voraus. Sie hat eine außergewöhnliche Lebensgeschichte, die man mit keiner anderen Frau aus der Musikszene vergleichen kann. Jutta Hipp hat die Emanzipation gelebt, als es das Wort noch gar nicht gab. Ihr künstlerisches und musikalisches Vermächtnis zeigt eine hochtalentierte Frau, die sich hören lassen kann – und sie hatte auch etwas zu sagen.
Angaben zum Buch:
Ilona Haberkamp: "Plötzlich Hip(p) - Das Leben der Jutta Hipp zwischen Jazz und Kunst
Wolke Verlag"
224 Seiten, 28 Euro
ISBN: 978-3-95593-137-7
Das Interview führte Moderatorin Annett Mautner für MDR KULTUR.
Redaktionelle Bearbeitung: Lilly Günthner
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 02. Februar 2023 | 16:10 Uhr