Interview Zukunft der Buchwissenschaften in Leipzig: Warum das gedruckte Buch nicht tot ist
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Die Buchwissenschaften haben an der Universität Leipzig eine lange Tradition. Mit der Neubesetzung der Professur sahen manche den traditionsreichen Studiengang gefährdet oder gar vor dem Aus. Seit Februar ist nun der Medienwissenschaftler Sven Stollfuß neuer Professor für Medienwandel an der Uni Leipzig. MDR KULTUR hat mit ihm über die Zukunft der Buchwissenschaften, den Einfluss digitaler Medien auf die Buchkultur und Bookstagram gesprochen.

MDR KULTUR: Der Medienwandel ereilt uns in vielen Bereichen. Welchen Stellenwert hat das Buch dabei? Wo steht es und wie verändert es seine Rolle?
Sven Stollfuß: In unserer Forschung und in den Lehraktivitäten an der Professur hat das Buch und wird es auch weiter einen wichtigen Stellenwert haben, weil wir uns in den nächsten Jahren insbesondere mit den weiteren Transformationsprozessen der Buchkultur durch digitale Medien befassen wollen. E-Books und unterschiedliche digitale Plattformen verändern die Produktion und auch die Publikation von Büchern und von Lese- und von Schreib-Medien.
Trauern Sie der alten Buchwelt auch ein bisschen hinterher?
Das Trauern impliziert ja, dass die alte Buchwelt verloren ist, aber das ist nicht der Fall – faktisch nicht, weil wir ja weiterhin auch gedruckte Bücher lesen. Wir setzen uns auch weiterhin mit Verlagen und mit dem Buchhandel auseinander. Auch in der Forschung bleibt das klassische Buch und die an den Druckerzeugnissen orientierte Buchkultur mit den Materialitäten, den Ästhetiken und Strukturen weiterhin Teil sowohl der Forschung als auch der Lehre. Insofern ist die Herausforderung und auch das Wichtige, was wir jetzt an der Professur umsetzen wollen und werden, uns mit digitalen Formen auseinanderzusetzen, aber nicht den Bezug zum klassischen Buch und auch zu den tradierten Akteur*innen zu verlieren.
Heißt das Lösen vom Buch auch zum Grundgedanken des Publizierens zurückkehren, also Inhalte möglichst vielen zugänglich zu machen und zu vermitteln? Wer sind die neuen Akteure?
Wenn wir über das Vermitteln nachdenken und fragen, wo wir eigentlich auf Bücher oder auf Geschichten hingewiesen werden, dann spielen auch die sozialen Medien und Phänomene wie "Bookstagram" oder "BookTok" eine wichtige Rolle. Diese Communitys sind nicht nur für die Forschung, sondern auch für den Buchhandel und für Verlage interessant. Denn sie tauschen sich in den sozialen Netzwerken über ihre neuen Lieblingsgeschichten, über Lieblingsbücher, aber auch über neu entdeckte Autor*innen aus und sprechen über Literatur.
Das kann auch interessant für Verlage sein, die Verbindungen zu Bookstagram- oder BookTok-Communities pflegen wollen. Auch der Buchhandel kann darauf reagieren und die neuesten Trends aus der Diskussion in sozialen Netzwerken in den Buchhandel bringen. Wenn Bookstagrammer*innen oder BookToker*innen auf die Buchmesse eingeladen werden, sieht man eben, dass die tradierten Akteur*innen der Buchkultur und die potenziellen neuen Akteur*innen im Miteinander und nicht im Gegeneinander zu sehen sind.
Leipzig ist stolz auf seine Geschichte und lebendige Gegenwart als Buchstadt. Welche Kooperationen können Sie sich mit der Buchszene in der Stadt vorstellen?
Es sind Kooperationen geplant und zum Teil auch schon in Arbeit. Eine der wichtigen Aufgaben ist der Transfer zwischen dem, was wir hier in der Forschung betreiben auf der einen Seite, und der Buchkultur und der Buchszene in der Stadt auf der anderen Seite. Wir werden gerade in der Anfangsphase der Professur ein Netzwerk aufbauen, um mit den lokalen Akteur*innen der Buch- und Medienwirtschaft sowie der Kulturszene in einen vor allen Dingen kontinuierlichen Austausch zu kommen. Das können etwa gemeinsame Diskussionsveranstaltungen oder auch Podien auf der Buchmesse sein.
Wir haben zudem die Möglichkeit im Rahmen unserer Studiengänge in Kooperationen mit interessierten Partner*innen aus der lokalen Buchszene über ein ganzes Semester gemeinsam an Ideen zu arbeiten und Projekte umzusetzen. Diese können dann beispielsweise im Rahmen eines Diskussionsabends vorgestellt werden. Darauf bin ich schon sehr gespannt. Dieses Jahr bin ich bereits als Diskutant auf die Leipziger Buchmesse eingeladen und ich freue mich auch auf die weiteren Zusammenarbeiten.
Das Interview führte Moderatorin Annett Mautner für MDR KULTUR. Redaktionelle Bearbeitung: Lilly Günthner
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 07. Februar 2023 | 08:40 Uhr