Mentor e.V. Wie ein Verein in Leipzig Kindern beim Lesenlernen hilft
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Eine aktuelle Studie geht davon aus, dass fast 30 Prozent der Kinder in den vierten Klassen nicht richtig lesen können. Ihnen will der Mentor e.V. helfen – mit einem 1:1-Lesetraining. Seit diesem Herbst werden auch in Leipzig ehrenamtliche Lesepat*innen dafür ausgebildet. In einer Schule in Leipzig-Grünau kümmert sich Mentorin Anett Mann um die Lesekompetenz von Aws, der mit seiner Familie vor dem Krieg aus Syrien hierher fliehen musste.

Aws hat einen dicken Stapel Karteikarten vor sich liegen, darauf Wörter wie "so", "wieder", "bleiben". Manchmal stockt er noch oder baut neue Buchstaben ein, doch es läuft schon viel besser als vor drei Wochen. Damals hatten sich Aws und seine Lesementorin Annett Mann zum ersten Mal getroffen. Wir sind in der 100. Schule in Leipzig-Grünau. Hier in der Schulbibliothek wollen sich Aws und Annett Mann einmal die Woche treffen: eine Stunde, ein Jahr lang, in einem 1:1-Lesetraining.
Unterschiedliche Gründe für fehlende Lesekenntnisse
Vor acht Jahren ist Aws' Familie aus Syrien geflohen. Mit den Eltern spricht der Drittklässler arabisch, mit seinem Bruder deutsch. Das Lesen fällt ihm schwer. Aber Aws ist ein engagierter selbständiger Junge, erzählt die stellvertretende Schulleiterin Grit Trepte. Als sie sich entschlossen hat, mit dem Leipziger Mentor-Verein zusammenzuarbeiten, hat sie gleich an ihn gedacht und angesprochen. Grit Trepte erklärt, dass Aws und die anderen Kinder, die bei Mentor mitmachen können, keine Leserechtschreibschwäche, also Legasthenie, haben. Sie können nicht gut lesen, weil sie fliehen mussten wie Aws, eine andere Herkunftssprache oder lange Fehlzeiten haben, "oder eben im häuslichen Rahmen durch verschiedene Gründe nicht so gelesen wird oder mit dem Kind lesen geübt wird, wie man sich es als Lehrerin gerne vorstellt und wünscht", sagt Trepte.
Lesen lernen ist keine "Einbahnstraße"
Seit September 2022 engagiert sich eine Gruppe Ehrenamtlicher für die Leseförderung. Diese Treffen seien keine "Einbahnstraße", erklärt die Koordinatorin des Vereins für Grünau, Katrina Moschner. Der Mentor bekomme auch etwas zurück: "Weil er merkt, wie sich das Kind unter Umständen entwickelt, wie es sich auf die Stunde mit dem Mentor freut, wie es einfach kleine Fortschritte macht. Aber irgendwann kommt dann der Punkt, wo man sagen kann, jetzt schlägt's um, jetzt habe ich hier was erreicht, und ich denke, das ist etwas sehr Erfüllendes."
Auch Lesementorin Annett Mann erzählt, dass auch sie etwas von Aws bekommt, nämlich einen Einblick in seine Welt. Zuerst haben sie über Fußballkarten geredet; das große Ziel der beiden ist, ein "Was-ist-Was"-Buch zu lesen, "wo es um Länder geht oder zum Beispiel Thema Vulkane, was halt Aws interessiert, und so kann ich das auch aufgreifen, man lernt dann einfach auch dazu", sagt Annett Mann.
Lesen lernen geht am besten spielerisch
Annett Mann hat an diesem Tag ein Heft mit Lesebewegungsübungen mitgebracht. Zwischen den Leseeinheiten wollen die beiden heute Kniebeugen machen oder wie ein Hund knurren. Lesen lernen geht am besten spielerisch: "Der Lehrgang, um Mentor zu werden, war da sehr hilfreich", erklärt Annett Mann, die von Beruf Physiotherapeutin ist und auch ein Kind hier an der Schule hat.
Lesen eröffnet Kindern Welten
Annett Mann selbst liebt das Lesen – wie offenbar alle Mentor-Mitglieder*innen. Koordinatorin Katrina Moschner, früher Mitarbeiterin in einem Schulbuchverlag, sagt: "Es eröffnet den Kindern eine Welt, die sie unter Umständen nie kennenlernen würden. Wer nicht liest, dem bleiben bestimmte Bereiche verschlossen. Und das ist schade. Und wenn man selbst als Kind gern gelesen oder seinen Kindern und Enkelkindern vorgelesen hat, und gemerkt hat, wie das zünden kann, der möchte das einfach weitergeben. Und das ist das, was die meisten hier, die sich als Mentor*innen engagieren, antreibt."
Studie: Fast 30 Prozent der Viertklässler*innen können nicht richtig lesen
Der Bedarf an Lesementor*innen ist enorm. Eine aktuelle Studie geht davon aus, dass fast 30 Prozent der Kinder in den 4. Klassen nicht richtig lesen können. Lesen lernen ist allerdings mehr als "nur" Lesen lernen. Lesen ist gemeinsam verbrachte Zeit mit den Eltern, in der Schule, in der Freizeit. "Und Zeit nehmen für das Kind, da würde ich sagen, das braucht 100% jedes Kind", erklärt Lehrerin Grit Trepte.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 24. Dezember 2022 | 08:40 Uhr