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Buchgestalter Lyosha Kritsouk aus Moskau arbeitet nach seiner Flucht beim Verlag Spector Books in Leipzig. Bildrechte: Lydia Jakobi

Spector BooksWie ein russischer Grafikdesigner bei einem Leipziger Verlag Zuflucht fand

von Lydia Jakobi, MDR KULTUR

Stand: 22. Februar 2023, 09:24 Uhr

Infolge des Ukraine-Kriegs sind schätzungsweise 18 Millionen Menschen aus ihrer Heimat geflohen. Aber auch aus Russland sind bereits Hunderttausende ausgewandert, darunter viele regimekritische Kulturschaffende. In Leipzig hat der Grafikdesigner Lyosha Kritsouk aus Moskau nun bei Spector Books eine neue berufliche Heimat gefunden. Der Verlag half dem russischem Buchgestalter sogar bei der Flucht.

Mera ist mit Lyosha Kritsouk den weiten Weg aus Moskau nach Leipzig gekommen. Sie springt an der Besucherin hoch und drückt ihr die Pfoten gegen den Bauch. Die neue Umgebung, die Büroräume des Leipziger Verlags Spector Books, irritierten sie, erklärt Kritsouk und krault seiner Hündin die Ohren. Dass er Russland irgendwann verlassen müsse, sei ihm mit Beginn des Krieges klar gewesen. "Denn die Kultur leidet immer als erste."

Buchgestalter aus Moskau floh vorm Ukraine-Krieg

Lyosha Kritsouk ist Grafikdesigner und Buchgestalter. Ein hochgewachsener Mann mit dichtem, braunem Bart und Strickpulli. Er wurde in Sankt Petersburg geboren, zog aber schon als Kind mit seiner Familie nach Moskau. Nach Ausflügen in die Architektur entdeckte er das Zeichnen, Gestalten, die Schönheit von Schrift, Farbe und Form für sich. "Als Buchgestalter versuche ich, den Inhalt zu verstehen, ihm etwas Neues hinzuzufügen, eine Ebene zu ergänzen", sagt Kritsouk. Er verstehe sich als eine Art Kollaborateur für den Text.

Bevor er nach Deutschland floh, arbeitete der Enddreißiger für die russische Kunststiftung "V-A-C", designte Plakate und Kataloge. Zum Beispiel für eines der Großprojekte der Stiftung: das Kulturzentrum GES-2, ein umgestaltetes Kraftwerk in Sichtweite des Kremls, das schon bei seiner Eröffnung 2021 mit dem Centre Pompidou verglichen wurde. Hier lernte Kritsouk Jan Wenzel kennen, einen der Gründer von Spector Books, der in den vergangenen Jahren vielfach die Städte Osteuropas bereiste.

Hier den Beitrag von Lydia Jakobi hören

Leipziger Verlag half dem Russen bei der Flucht

Im Dezember 2021 war Wenzel das letzte Mal in Moskau. Damals habe man die politischen Spannungen schon gespürt, erinnert sich Lyosha Kritsouk. Dann griff Russland die Ukraine an, die Ausstellung im Kulturkraftwerk GES-2 wurde geschlossen. Kritsouk fragte Wenzel, ob er nicht in Leipzig unterkommen und bei Spector Books arbeiten könne. In Moskau sehe er für sich keine Zukunft mehr. Und Wenzel sagte zu.

Für uns war der Überfall Russlands auf die Ukraine eine große Zäsur und wir waren der Meinung, dass Solidarität konkret werden muss.

Jan Wenzel, Verleger von Spector Books

"Für uns war der Überfall Russlands auf die Ukraine eine große Zäsur und wir waren der Meinung, dass Solidarität konkret werden muss", erinnert sich der Verleger. Lyosha Kirtsouk und einer weiteren Buchgestalterin aus Russland bei der Flucht zu helfen, sei für Spector Books ein Weg gewesen, mit dem Schock umzugehen.

Fotobuch über Filmstadt Wolfen als erstes Projekt

Ende 2022 kam Kritsouk, nach Umwegen über Istanbul und Georgien, in Leipzig an und ist nun festangestellter Grafikdesigner bei dem Kunstbuchverlag. Die deutschen Texte zu setzen, sei gewöhnungsbedürftig, sagt Kritsouk. "Das Schwierigste ist die Silbentrennung. Wenn ich eine Zeile hübsch machen will, muss ich immer nachschauen, wie die Wörter im Deutschen getrennt werden. Das ist für mich nicht so offensichtlich."

Der Leipziger Verlag Spector Books wird von Jan Wenzel und Anne König geleitet. Bildrechte: Stiftung Buchkunst / Gert Mothes

Eines seiner ersten Projekte: Das Fotobuch "Wolfen" über die einstige Filmstadt in Sachsen-Anhalt, deren schwer fassbare Geschichte der Fotograf Tobias Zielony in einer Mischung aus Bild und Text, Essay und Science-Fiction erzählt.

Moskauer befürchtet Auslöschung russischer Kultur

Zwischen dem Arrangieren der Texte liest Lyosha Kritsuk Nachrichten von der Front. Dieser Krieg sei eine Katastrophe, sagt Kritsuk. Die Großmachtfantasien Moskaus, die ehemaligen Nachbarn, die jetzt eine Waffe auf andere Menschen richten. Und die Auslöschung der russischen Kultur. "Die Regierung beklagt, dass andere die Werte Russlands bedrohen würden", so der Buchgestalter, "aber eigentlich sind die Russen selbst am besten darin, ihre Kultur zu zerstören, indem sie die Autoren, Filmemacher und Künstler ausschließen, die eine andere Meinung haben. Das tut weh."

Leipzig, Sachsen und der Ukraine-Krieg

Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 21. Februar 2023 | 13:10 Uhr