Lesezeit | 14.09. - 30.09.2020 Thilo Krause: Elbwärts
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Thilo Krause erzählt in "Elbwärts" von der Rückkehr in eine fremd gewordene Heimat. Der in Dresden geborene und heute in Zürich lebende Schriftsteller wurde für seinen Debütroman mit dem Robert-Walser-Preis 2020 ausgezeichnet. Auf MDR KULTUR senden wir das Werk als 13-teilige Lesung mit Nico Holonics.

Der Erzähler, ein junger Mann Mitte 30, und seine Freundin kommen mit ihrer kleinen Tochter nach Jahren zurück in die Sächsische Schweiz. Sie sind beide in der Gegend aufgewachsen. Im Nachbarort seines alten Dorfes haben sie ein Haus gekauft, mit Obstbäumen, Schaukel und Sandkasten.
Doch es ist nicht nur Heimweh, dass den Erzähler zurückkehren lässt. Seiner Freundin Christina verschweigt er jenes Ereignis, dass seine Kindheit prägte. Bei einer gemeinsamen Klettertour stürzte sein bester Freund Vito ab und verletzte sich so schwer, dass er ein Bein verlor. Das Gefühl der Schuld lässt ihn seitdem nicht los.
In der heimischen Landschaft holen ihn die Erinnerungen ein: an den Unfall und den öffentlichen Tadel in der Schule, aber auch an den trotzigen Ausreißversuch, als er und Vito sich in einer Höhle versteckten.
Den Sehnsuchtsort seiner Kindheit kann er nicht wiederfinden. Nach zwanzig Jahren hat sich viel verändert, misstrauische Dorfbewohner machen ihm die Rückkehr schwer. Im Wald, den er einst mit Vito durchstreifte, halten Neonazis ihre Sommercamps ab. "Mir ist, als hätten die Nazis sich direkt in den Vorgarten meiner Kindheit erleichtert", stellt der Erzähler schockiert fest. Und in der fremd gewordenen Heimat droht ihm auch seine Familie zu entgleiten.
Den Apfelbäumen und dem Himmel bin ich nach. Ein unheimlicher Sog, wie hinter Heckscheibe und Rücklichtern die Luft verwirbelt in den Alleen, den kleinen Straßen über Land, wenn alles rauscht und trommelt. […] Ich in diesem Sog und Christina auch, aber reicht das, um zu sagen, warum sie hier ist? Ein Schreck, der mir in die Glieder fährt, ein jähes Erwachen. Was als Grund getaugt hat, ist verschwunden.
Thilo Krause erzählt in "Elbwärts" von der Rückkehr an den Ort der Kindheit und der Auseindersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Für seinen eindringlichen Debütroman wurde der Schriftsteller mit dem Robert Walser-Preis 2020 ausgezeichnet. In der Jurybegründung heißt es:
In Bildern von großer dichterischer Intensität gelingt es Krause, das Eintauchen-Wollen in eine unwiederbringlich verlorene, nicht mehr zu berichtigende Vergangenheit sinnlich fassbar zu machen.
Der Autor Thilo Krause
Thilo Krause, geboren 1977 in Dresden, studierte Wirtschaftsingenieurwesens in Dresden und London und promovierte 2007 an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Seit 2005 veröffentlicht er literarische Texte in Zeitschriften und Anthologien. 2012 erhielt er für sein Lyrik-Debüt "Und das ist alles genug" den Schweizer Literaturpreis, 2016 den Clemens-Brentano-Preis der Stadt Heidelberg und den ZKB Schillerpreis. 2018 erschien sein Gedichtband "Was wir reden, wenn es gewittert", für den er mit dem Peter-Huchel-Preis ausgezeichnet wurde. Thilo Krause lebt mit seiner Familie in Zürich.
Der Schauspieler Nico Holonics
Nico Holonics, geboren 1983 in Leipzig, absolvierte sein Schauspielstudium an der Hochschule der Schauspielkunst "Ernst Busch" Berlin. Sein erstes Engagement zog ihn 2007 ans Münchner Volkstheater. 2010 wechselte Holonics an die Münchner Kammerspiele. Für seine darstellerischen Leistungen wurde er 2010 mit dem Bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnet. Von 2012 bis 2017 war er Ensemblemitglied am Schauspiel Frankfurt, seit der Spielzeit 2017/18 gehört er zum Berliner Ensemble.
Angaben zur Sendung
MDR KULTUR-Lesezeit
"Elbwärts" (13 Folgen)
Von Thilo Krause
Es liest: Nico Holonics
Produktion: MDR 2020 | Erstsendung
Sendung: 14.09. - 30.09.2020 | 09:05-09:35 Uhr
Wiederholung: 14.09. - 30.09.2020 | 19:05-19:35 Uhr
Die Folgen dieser Lesezeit stehen hier 14 Tage zum Hören bereit.