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Die Biografie "Im Schatten des Vaters. August von Goethe" wirft kein gutes Licht auf Johann Wolfgang von Goethe als Vater. Bildrechte: Ch. Beck

RezensionErste Biografie über Goethes Sohn: Ständige Sehnsucht nach dem Vater

von Ulf Heise, MDR KULTUR

17. Februar 2023, 07:20 Uhr

"Im Schatten des Vaters – August von Goethe" heißt die fesselnde, erste Biografie über Johann Wolfgang von Goethes einzigen Sohn, der 1789 in Weimar geboren wurde und später zum Hofstaat von Großherzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach gehörte. Autor Stephan Oswald ergründet Augusts Leben aus dessen Perspektive, räumt mit Klischees über ihn auf und beschreibt die schwierige Beziehung zu seinem berühmten Vater. Dabei wirft das Buch kein gutes Licht auf den König der Weimarer Klassik.

Johann Wolfgang von Goethe und seine Frau Christiane zeugten insgesamt fünf Kinder. Eines kam bereits tot zur Welt, drei weitere starben noch im Babyalter. Nur der Erstgeborene, August, überdauerte. Obwohl er später als Beamter am Weimarer Hof Karriere machte, blieben Veröffentlichungen über sein Leben bisher spärlich. Das ändert sich jetzt durch die erste Biografie über den einzigen Sprössling des Universalgenies. Sie stammt von Stephan Oswald, der bis zu seiner Pensionierung als Professor an der Universität Parma lehrte.

Seine Studie über August von Goethe glänzt durch enorme Spritzigkeit. Der amüsante und erfrischende Stil schließt wissenschaftliche Präzision freilich nirgendwo aus. Kategorisch missbilligt Stephan Oswald die über August von Goethe kursierenden Klischees. Er wittert darin Zerrbilder, in denen sich stupide die ewig gleichen Vorurteile wiederspiegeln. Deshalb verübt er den "Versuch einer Ehrenrettung".

Verzweifelt über Goethes häufige Abwesenheit

Psychologisch hochsensibel sondiert er das komplizierte Verhältnis Augusts zu seinem ebenso prominenten wie schwierigen Vater. Der isolierte sich gern von der Familie, um ungestört zu arbeiten oder er verfiel in den Reisemodus: "Das häufige Fernsein Goethes war die einzige Klage in Augusts Kindheit, sie bereitete ihm ständigen Kummer. Wie ein Motto könnte der Wunsch des Siebenjährigen in einem der ersten Briefe über der ganzen Korrespondenz stehen: 'Wenn ich nur wieder bei Ihnen wäre.' Die unerfüllte Sehnsucht nach der Nähe des Vaters, die sein ganzes Leben konditionierte, hat hier ihren Ursprung."

Erstmals widmet sich eine Biografie August von Goethe, dem Sohn des berühmtes Dichters. Das Ölgemälde zeigt August in dem Jahr 1807. Bildrechte: Klassik Stiftung Weimar - Goethe-Nationalmuseum

Psychische Spannungen als junger Erwachsener

Auf Dauer glückte es August nicht, die schier unendliche Distanz zu seinem Erzeuger zu überwinden. Die 1817 mit Ottilie von Pogewisch geschlossene Heirat erwies sich unter dem Strich lediglich als heimliche Flucht vor den Problemen mit seinem Senior. August litt an psychischen Spannungen, die er kaum auszubalancieren vermochte.

Der Ehealltag erschwerte ihm das Dasein, denn gemäß Stephan Oswald klafften die Temperamente in der Beziehung meilenweit auseinander. Johann Wolfgang bekam nach der Geburt eines Enkelkindes rasch Wind von den sich verschärfenden Konflikten, doch er scherte sich wenig darum.

August von Goethe verfiel dem Alkohol

Schon der Psychoanalytiker Kurt Robert Eissler enttarnte Johann Wolfgang von Goethe als Egomanen, der seine Karriere über alles hob. Genau deshalb redete er sich die Existenz seines Sprösslings schön, obwohl der sich im Rausch des Alkoholismus verlor.

Goethes Sohn war am Weimarer Hof tätig und trug eine Hofuniform, wie das Ölgemälde von 1811 zeigt. Bildrechte: Klassik Stiftung Weimar - Goethe-Nationalmuseum

Stephan Oswald zweifelt trotzdem die These an, dass August von seinem Vater gezwungen wurde, wegen seiner zuletzt ausufernden Trunksucht in Italien abzutauchen, um dort einsam zu sterben: "Abgesehen davon, dass es keinerlei Beleg für diese Behauptung gibt, unterstellt die Vorstellung, dass Goethe in seinen Briefen an den Sohn immer wieder auf das Zusammenleben nach der Rückkehr anspielte, obwohl er von Augusts baldigem Ende ausging, Goethe eine Perfidie, wie man sie keinem Vater zutrauen möchte."

Das Fazit von Stephan Oswalds Biografie über Goethes Sohn wirkt bedrückend, denn der Vater gewährte seinem Filius keinerlei Freiraum. Er spannte ihn vor die Kandare und benutzte ihn als Vasallen. Das wirft kein gutes Licht auf den König der Weimarer Klassik und bestätigt die These, dass Stammhalter, die unter der Fuchtel dominanter Männer aufwachsen, selten aus deren Schatten treten.

Angaben zum Buch

Stephan Oswald: "Im Schatten des Vaters - August von Goethe"
Verlag C. H. Beck
Gebunden, 432 Seiten
Preis: 32 Euro
ISBN: 978-3-406-79139-0

Auf Goethes Spuren in Thüringen

Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 31. Januar 2023 | 11:15 Uhr