Neuerscheinung Bilderbuch-Geschichte: Wie "Das therapeutische Nashorn Tipsy" erfunden wurde
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Autorin Silke Opitz und Illustratorin Ina Hattenhauer erinnern auf ungewöhnliche Weise an die Sonneberger Spielzeuggestalterin Helene Haeusler: In einem Kinderbuch erzählen sie die Geschichte ihrer berühmten "Rupfentiere". Die großen, robusten Spielfiguren aus Jute, ausgestopft mit Holzwolle, waren vor allem für Kinder mit Beeinträchtigungen gedacht. Haeuslers Erfindung wurde dann zum Renner in vielen DDR-Kitas – und ein Exportschlager. Der Versuch, die Ost-West-Politik in die Handlung einzuflechten, sprengt dabei etwas das Bilderbuch-Format.
Tipsy, das ist – zumindest im Spielzeug-Maßstab gesehen – ein ziemlich großes Nashorn. Etwa einen Meter lang mit einer rauhen Haut aus Jute und einem Horn aus rotem Leder. Zur Ausstattung gehören ein Sattel aus blauem Leder und ein praktischer Griff, der Kindern hilft beim Draufklettern und Festhalten. Erfunden, entworfen und zusammengenäht wurde dieses Nashorn von der Spielzeuggestalterin Helene Haeusler mitten im Thüringer Wald, wie man im Bilderbuch von Silke Opitz und Ina Hattenhauer erfahren kann.
'Und damit du mich nicht vergisst, gibt's auch noch was auf den Popo', lächelte Frau Häusler. Tipsy dachte schon an einen Klaps. Aber es waren zwei ineinander verschlungene Ringe, die auf seine Po-Backe genäht wurden. Der eine blau, der andere rot. (...) Tipsy fand seinen Po jetzt fast so schön wie sein Nashorn. Aber nur fast.
Griffige Tiere mit heilender Wirkung
Die zwei ineinander greifenden Ringe sind das Markenzeichen der Sonneberger Gestalterin. Inspiriert vom Bauhaus entwarf die 1904 Geborene mit ihren Schülerinnen an der Fachschule für Spielzeug jahrzehntelang schlichte und robuste Spieltiere. Rupfen – auch Jute oder Sackleinen genannt – spielte dabei als Material die Hauptrolle, erklärt Buchautorin Silke Opitz:
"Helene Haeusler hat Jute als natürliches Material mit besonderen taktilen Eigenschaften entdeckt. Denn es lässt sich gut greifen und sehr einfach kombinieren mit diversen Ledern. Schließlich ließen sich daraus große Sitztiere herstellen, die therapeutisch genutzt werden konnten, eben auch für eine Physiotherapie."
Kampf der Gesundheits-Systeme
Haeusler erreichte, dass Rupfentiere wie Tipsy in Krankenhäusern und Polikliniken zur Bewegungstherapie eingesetzt wurden. Ihre Kreationen waren so erfolgreich, dass sie irgendwann fast nur noch in den Westen exportiert wurden, um kostbare Devisen einzubringen. Genau um diese Geschichte dreht sich auch die Handlung im Bilderbuch: Nashorn Tipsy muss sich von Nilpferd Mocky verabschieden, denn das wird eines Tages in eine Kiste gepackt, um über die Grenze transportiert zu werden.
Was ist bloß dieser Export? Eine Rakete? Wirst du damit in den Westen geschossen?', fragte Tipsy mehr sich selbst als Mocky. Tipsy hatte zwar viel Fantasie, konnte sich aber unter dem Wort 'Export' nichts vorstellen. Mocky dagegen hatte vor allem Angst. Das Nilpferd war ja ein ganz neues Spieltier, das bisher nichts von der Welt gesehen hatte.
So geht es in diesem Kinderbuch also nicht nur um Helene Haeusler und ihren Einsatz für Menschen mit Behinderung, sondern gleich um die ganz große Weltpolitik: um zwei Gesundheitssysteme, eine Grenze, die Ost und West trennt, und dann auch noch um die Wiedervereinigung. Ganz schön viel Stoff – zu viel Stoff tatsächlich, der da mithilfe von Tipsy und Mocky erzählt werden soll. Die Spannung erlahmt teilweise, und den meisten Kindern erschließen sich die Hintergründe wohl nur durch ausführliche Erklärungen am Rande.
Liebevoll illustriert
Zum Glück überzeugen die Illustrationen der Weimarerin Ina Hattenhauer um so mehr – sie hat die Rupfentiere liebevoll auf Papier gebannt. Einfach sei es allerdings nicht gewesen, mit den steifen Objekten zu arbeiten, erzählt sie: "Wenn der Text vorgibt, dass sie traurig sind oder lachen oder was sagen, musste ich beim Illustrieren überlegen, wie ich dem Original gerecht werde, also den Schnitten und wie sie so funktionieren, aber trotzdem Emotionen darstellen kann. Ich habe mir ein bisschen damit geholfen, diese eingenähte Mund-Wulst hoch- oder runtergehen zu lassen, je nach Emotion."
Auch wenn die Geschichte sich im großen Ganzen leider verheddert – einen Verdienst hat dieses Buch auf jeden Fall: Es bringt uns eine Frau näher, die völlig zu Unrecht fast in Vergessenheit geraten ist. Helene Haeusler hat von Sonneberg aus Maßstäbe in der Spielzeuggestaltung gesetzt – für alle Kinder diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs. Haeusler Schülerin Renate Müller führte ihre Ideen fort.
Buch- und Ausstellungstipp
Silke Opitz, Ina Hattenhauer, Andrea Peter:
Das therapeutische Nashorn Tipsy
Revolver-Verlag
64 Seiten
ISBN 978-3-95763-499-3
Bis zum 24. Dezember läuft auch eine Ausstellung zum Buch im Bauhaus-Atelier in Weimar, dem Laden der Bauhaus-Universität.
Im Innenhof des Hauptgebäudes
Geschwister-Scholl-Straße 6a
99423 Weimar
Öffnungszeiten
Mo – Fr: 11 – 16 Uhr
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 09. Dezember 2020 | 14:45 Uhr