Russischer AngriffskriegAutoren im Exil: Ukrainische Schriftsteller zwischen Normalität und Kriegstrauma
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat das Leben vieler Menschen radikal verändert. Dazu gehören auch die Künstlerinnen und Künstler des Landes, von denen viele im Exil leben: Die Schriftstellerin Khrystyna Kozlovska organisiert in Leipzig Lesungen und Ausstellungen, Valeria Mudra gilt in Erfurt als eine der gefragtesten Sopranistinnen. Aber auch jene, die ihre Heimat nicht verlassen haben, sorgen in der Ukraine wieder für ein lebendiges Kulturleben.
Der russische Angriffskrieg auf ihr Land kam für viele ukrainische Menschen nicht unerwartet, dennoch setzte er viele unter Schock. Auch Kunstschaffende mussten sich in eine neue Situation einfinden, darunter viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Manche flohen, manche blieben in der Heimat. Andere lebten vorher bereits im Ausland, litten aber ebenso unter dem geschaffenen Leid.
Ukrainische Schriftstellerin organisiert Ausstellung in Leipzig
So floh die Schriftstellerin Khrystyna Kozlovska vor der Invasion und lebt heute in Leipzig. Langfristige Pläne kann sie noch nicht fassen, aber sie möchte aktiv sein und im Kulturbetrieb tätig werden. Dabei will sie den kulturellen Dialog zwischen der Ukraine und Deutschland vorantreiben.
Ich weiß zwar nicht, wie die Welt in einem Jahr aussieht, aber ich tue jetzt, was ich tun kann.
Khrystyna Kozlovska, Schriftstellerin
Dafür organisiert sie beispielsweise Lesungen ukrainischer Autorinnen in Leipzig. Auch Ausstellungen hat sie initiiert: So startet am 24. Februar 2023 – dem Jahrestag des Kriegsbeginns – die Ausstellung "Before/After. Zerstörte Kulturstätten in der Ukraine" in der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig.
Schwierigkeiten des Schreibens im Exil
Am meisten aber liebt Kozlovska das Schreiben. Doch dafür "braucht man immer einen langen Lauf", sagt die Autorin. Der käme jedoch unter den derzeitigen Bedingungen nicht ohne Weiteres zustande, da sie sich um ihre Familie, vor allem um ihre kleine Tochter, kümmern müsse. Sie arbeite an Texten, bei denen sie aber noch nicht weiß, was sich daraus entwickeln wird. "Ich fahre einfach nach dem Motto: Mach weiter und dann werden wir sehen!" sagt sie.
Was jedoch in Sichtweise gerät, sind zwei Buchveröffentlichungen in ihrem Heimatland: ein Roman und eine Sammlung von Kurzgeschichten, die sie in diesem Jahr der ukrainischen Community in Leipzig vorstellen will.
Einer der Höhepunkte ihres bisherigen Lebens im deutschen Exil sei das deutsch-ukrainische Autorentreffen im Rahmen der Reihe "Brücke aus Papier" in Weimar gewesen. Autorinnen und Autoren sind hier im literarischen Austausch gewesen. Darüber, wie sich der Krieg und seine Folgen auf die Gefühle, Empfindungen auf Seelen auswirkt, wie er erschüttert und verändert.
Einfach singen – in Erfurt
Wenn Valeria Mudra auf ihre Zeit in Charkiw vor der Flucht zurückblickt, braucht sie Kraft, um darüber zu erzählen. Eigentlich möchte sie nicht im Rampenlicht stehen, möchte nicht die "Geflüchtete aus der Ukraine" sein, die nun in Erfurt Karriere macht. Sie möchte einfach nur gerne: singen.
Die bescheidene, hochgewachsene 28-Jährige mit den langen blonden Haaren, ist ausgebildete Opernsängerin. Mit ihrem kraftvollen, warmen Mezzosopran und ihrer herzlichen Art hat sie nicht nur bei einem spontanen Vorsingen am Theater Erfurt begeistert, sondern sich mittlerweile im Team ein Standing erarbeitet.
Das Leben habe sich komplett verändert, erzählt sie. Während Kollegen in ihrem alten Zuhause – in Charkiw – nach wie vor Theaterprojekte stemmten, verfolge sie von Erfurt aus, was in der Ukraine passiert. Der Kopf sei immer auch ein Stück dort, obwohl ihr Mann und auch ihre Mutter inzwischen in Erfurt lebten. Die Leichtigkeit des Seins – für sie und viele andere gibt es das im Exil, trotz einer grandiosen Karriere, nicht. Sie sind zerrissen und von einer tiefen Ernsthaftigkeit geprägt. Doch das Singen, die Arbeit, die Musik und auch die neue Umgebung, neue Freunde und Kollegen würden helfen, viele düstere Wolken auf der Seele wegzuwischen. Und sei es nur für Momente.
Ukrainische Kultur in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen
Sehnsucht nach Literatur und Kultur im Krieg
Auch der Übersetzer und Publizist Juri Durkot aus dem ukrainischen Lwiw war beim Autorentreffen "Brücke aus Papier" dabei. Er hatte gleich zu Beginn des russischen Überfalls angefangen, Tagebuch zu schreiben, um im Chaos des Krieges wenigstens die eigenen Gedanken zu ordnen, wie er sagt.
Er schildert, dass er kurz nach dem Angriff unter Schock stand. Mit ihm auch viele andere Autorinnen und Autoren, die sagten, dass sie unter diesem Schockzustand nicht mehr literarisch schreiben könnten. Selbst lesen wäre unmöglich gewesen – die Konzentration habe gefehlt.
Es ist auch sehr wichtig, dass viele Ukrainerinnen und Ukrainer ziemlich bald den Humor wieder entdeckt haben. Und das bedeutet, diese Sehnsucht nach dem normalen Leben.
Juri Durkot, Schriftsteller
Doch die Situation habe sich nach und nach geändert, die literarischen Stimmen sind wieder hörbar geworden. Die Menschen haben sich nach Literatur und Kultur gesehnt, nach Konzerten, Theateraufführungen, einer Ausstellung oder einer Lesung. Psychologisch sei das eine Art Sehnsucht nach Normalität, so Durkot.
Gedichte zwischen Bomben und Granaten
So wie Durkot hat auch Oksana Stomina Tagebuch und Gedichte geschrieben, in der Stadt Mariupol am Asowschen Meer im Südosten der Ukraine lebend, die massiv den tödlich-zerstörerischen Krieg erfuhr. Viele Menschen seien geflohen. Doch Stomina blieb in dem Ort, der vor dem Krieg 440.000 Einwohner zählte. Sie musste in halbwegs sicheren Kellern Schutz vor Bomben und Granaten suchen. Dadurch sind ihre Texte auch von einer ganz besonderen Eindringlichkeit, vor allem ihre Gedichte.
Vermittlerin zwischen der Ukraine und dem Westen
Die Dichterin und Übersetzerin Halyna Petrossanjak hingegen hatte ihre Heimat schon vor vielen Jahren verlassen. Sie lebt nun in einem kleinen Ort bei Basel und hat von dort aus beide Welten gleichermaßen im Blick, die Ukraine und den Westen. In gewisser Weise steht sie so zwischen beiden Realitäten, ist eine Art Vermittlerin.
Dies führt zu künstlerischen Betrachtungen, die sich so vielleicht auch nur von dieser Mitte aus anstellen lassen. So staunt sie, dass weite Teile der reichen Gesellschaften im Westen größte Achtsamkeit im Umgang mit Tieren üben – aber nur bedingt zur Kenntnis nehmen, dass russische Truppen in der Ukraine Menschen töten.
Quellen: Radiointerviews von MDR KULTUR, Blanka Weber, Redaktionelle Bearbeitung: op, ts
Feature über Kooperation zwischen Odessa und Erfurt zur Rettung der Kunst
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 17. Februar 2023 | 18:05 Uhr