Empfehlungen Klima und andere Katastrophen: Vier Hörspiele aus der Reihe "2035"

Sie schwänzen die Schule – doch nicht um zu feiern, sondern um das Klima zu retten. Das prägt aktuell junge Menschen, die gemeinsam im Leipziger Hörspiel "Lost Generation" davon erzählen, was sie für die Zukunft in zwölf Jahren befürchten. Das ist nur eine der zehn Zukunftsvisionen aus der Reihe "2035. Die Zukunft beginnt jetzt". Wir empfehlen vier Produktionen, die man hören sollte.

ARD-Gemeinschaftsprojekt 2035, Episode 7 "Lost Generation"
In der Reihe "2035" blicken junge Menschen in die nahe Zukunft. Bildrechte: rbb/Aziz Ackarki, Unsplash

Die Grundidee der Hörspiel-Reihe "2035" ist klar: Wie werden Leute, die so etwa 2022 ihren Schulabschluss machen, im Jahr 2035 leben. Das ist das Jahr vom Kohleausstieg – weit weg irgendwie, aber so nah dran, dass man sich doch schon ungefähr ausmalen kann, was da los sein könnte: Mit mehr als 1,5 Grad Erderhitzung und steigenden Meeresspiegeln, mit Künstlicher Intelligenz, die alle Lebensbereiche durchdringt und vielem mehr.

Medienkritik aus der Zukunft: "9 Dinge, die Du 2035 nicht erwartet hättest. #6 wird dich umhauen"

Diese Zukunftsvision startet als Gamer-Video. Wir hören, wie jemand ein Strategiespiel kommentiert. Es geht um Einflusssphären und Handelsbeziehungen, um politische versus wirtschaftliche Macht. Und seltsam: irgendwie hört sich das alles nach dem Planeten Erde in den 2020er-Jahren an. Das Hörspiel vom Hessischen Rundfunk denkt das Gaming-Format weiter, legt in einer Art Comedy-Format bloß, was an imperialem Zynismus und pubertärer Omnipotenzfantasie in diese populäre Freizeitbeschäftigung eingeschrieben ist. Nur schlüssig, dass es aus der Gamerwelt auf den Mars switcht – zu den Herren Elon und Jeff, die den Planeten erobern und vermarkten wollen. Dies wird als Sitcom erzählt, Schenkelklatscherhumor und vom Band eingespielte Publikumslacher inklusive. Dabei bleibt es nicht: Die Tagesschau ist 2035 auf ein 15-Sekunden-Format geschrumpft, niemand will mehr die Details. Und das Kulturradio sendet Einschlafhilfen im AMSR-Style, surfaces for dreams. Eine hübsch verpackte Medienkritik, die das Heute meint, nicht die Zukunft – wie jede gute Science-Fiction.

Dystopie der Klima-Krise: "Lost Generation?!"

Dieses Hörspiel hingegen ist eine echte Dystopie. Eine negative Utopie also, und sie handelt von der verlorenen Zeit, von der verlorenen Generation. "Lost Generation?!" spielt mit dokumentarischem Material, das die Leipziger Soundkünstlerin Carina Pesch mit Aktvist*innen aus der Klimaprotestszene aufgenommen hat. Genauer mit den Menschen, die Schule oder Studium unterbrochen oder abgebrochen haben, um sich dem Hungerstreik vor dem Kanzleramt und vor der Bundestagswahl anzuschließen – war das verlorene Zeit? Mit ihnen zusammen entwirft die Autorin ein düsteres, aber nicht unwahrscheinliches Bild von 2035: Trockenheit hat Wälder sterben lassen und sorgt für Trinkwassermangel in Leipzig. Ein Polizeistaat erstickt jeden Widerstand, egal ob er von links oder von rechts kommt. In kleinen Gruppen und Gemeinschaften versuchen die Klimaaktivist*innen von einst, das pure Überleben zu organisieren – und werden mit sich selbst und ihren Widersprüchen konfrontiert. "Wie weit darf man gehen, wie weit muss man gehen?" – um diese Frage einer imaginierten Über-Ich-Instanz kreisen die Reflexionen und Visionen, die als ein extrem eindringlicher Fiebertraum in Szene gesetzt sind. Eindringlich bis zur Zudringlichkeit - und gerade deshalb konsequent und preisverdächtig.

Aktivistinnen der Letzten Generation haben sich auf einer Fahrbahn festgeklebt.
Auch in Leipzig protestieren junge Menschen gegen zu hohe Emissionen. Bildrechte: dpa

Klima und Kunst

Mysteriöser Katastrophen-Thriller: "Landunter"

"Meer steigt, Land sinkt", so die Lage im norddeutschen Watt. Die Aussichten für Lüttegeest sind fatal. Weil früher oder später die Flut über den Deich kommen wird, wurden alle Menschen des fiktiven Ortes im Hörspiel von Wilke Weermann (Radio Bremen) umgesiedelt. Alle bis auf Merle, die sich weigert und nun durch Lasse vom Landratsamt zur Vernunft gebracht werden soll. Als mysteriöse Dinge vor sich gehen wird klar: Der Geisterort ist weniger verlassen, als es scheint. Merle hat in Lüttegeest – technologisch vermittelt – Zugang zum Bewusstsein ihrer toten Mutter, den kann und will sie nicht aufgeben. "Landunter" erzählt eine Geschichte von Gezeiten und Abschied, vom steigenden Meeresspiegel und von der Bewusstsein-Sturmflut, die uns im Heute eigentlich wachrütteln müsste …

Wanderweg von Neßmersiel aus durchs Watt bei Ebbe
Bildrechte: MDR/Kathrin Welzel

Erinnerungen von Künstlichen Intelligenzen: "Ein Käfer, der Erinnerung frisst"

2035 befällt ein auf seltene Erden und Metalle spezialisierter Käfer Serverfarmen und frisst so die Daten aus der Terra-Cloud. Vom Datenverlust betroffen ist auch Mika – alle Aufnahmen seiner verstorbenen Mutter sind weg. Durch einen Tipp lässt er sich auf einen Soundwalk aus dem Jahr 2022 ein – total retro mit einem Tablet. Das in Kunstkopfstereofonie (also retroretro) produzierte Hörspiel reflektiert über Erinnerung und Gedächtnisverlust, über Memoria und Memorials als Futter für Künstliche Intelligenzen: Die Zukunft setzt sich aus den Mustern der Vergangenheit zusammen. Teilweise fehlt dem Stück bei aller erzählerischen Raffinesse der wirklich utopische Zugang: Es wird mehr über Futuristisch- Katastrophisches gesprochen, als dass es hörbar gemacht werden würde. Auch das eine Botschaft: Die Stimme der Mutter bleibt eben die Stimme der Mutter, aber nach ihrem Tod stimmt etwas nicht. Diese Produktion von Deutschlandfunk Kultur wurde Hörspiel des Monats Dezember 2022.

Redaktion: Thilo Sauer

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 06. März 2023 | 22:00 Uhr

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