Kinderbücher Welche Helden sind gut für mein Kind?
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Ob vorlaute Pippi oder brave Conni – Kinderbuchhelden können sehr unterschiedlich sein. Professor Michael Ritter lehrt an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Grundschuldidaktik Deutsch und beschäftigt sich als Erziehungswissenschaftler intensiv mit Kinderliteratur. Helden zeichneten sich durch außergewöhnliche Fähigkeiten aus. Bei Superhelden seien das besondere Kräfte, Helden im traditionellen Sinn würden eher durch ihre besonderen Taten, die sich vom normalen menschlichen Handeln abheben, heldenhaft. Welche Helden sich der eigene Nachwuchs aussucht, das stößt bei Eltern nicht immer auf Gegenliebe:
Kinder haben einen ganz eigenen Standpunkt und folgen nicht den Wertvorstellungen, die wir Erwachsenen im Hinterkopf haben.
Pippi Langstrumpf: aufmüpfig und eigenständig
Schon beinahe ein Heldinnen-Urgestein ist Pippi Langstrumpf. Die freche Seemannstochter von Astrid Lindgren habe unsere Vorstellungen vom Kind maßgeblich geprägt hat, erklärt Ritter. Zur Erscheinung des Buches habe sie mit ihrem Verhalten "gänzlich mit den Konventionen des Kindseins gebrochen."
Pippi Langstrumpf gilt uns heute als Idealtypus des selbstständigen, des anarchischen, nicht vom Erwachsenen korrumpierten Kindes; sie ist durch ihre Eigenständigkeit faszinierend.
Conni: angepasste Vorzeigetochter
Fast gegensätzlich zur vorlauten Pippi kommt Vorzeigetochter Conni daher. Die Kinderbuchfigur sei vor allem gewöhnlich, dahinter stecke ein pädagogisch motiviertes literarisches Konzept, das Kinder mit Erfahrungen in Berührung bringen möchte, die demnächst in ihrem Leben anstehen, weiß Ritter. Bücher wie "Conni kommt in den Kindergarten" würden allgemeingültige, stellvertretende Erfahrungssituationen schaffen, in denen "das Kind im Schonraum der heimischen Lektüresituation erleben kann, wie das denn wohl sein könnte."
Conni ist keine Heldin, die sich aufgrund ihrer Eigenschaften 'verbesondert', sondern sie ist Heldin, weil sie das '0815-Otto-Normal-Kind' ist und damit zur Identifikationsfigur par excellence werden kann.
Conni sei dafür da, um zu identifizieren, zu sozialisieren und allgemeingültige Erfahrungen zu machen. Mit ihrem Identifikationspotenzial unterscheide sich Conni dabei stark von Heldinnen, wie Pippi, die vielmehr eine Projektionsfläche für Fantasien sei.
Harry Potter: gewöhnlich und doch außergewöhnlich
Es ist eines der meistgelesenen Kinderbücher überhaupt. Die Harry-Potter-Reihe entwickle sich gerade vom Bestseller zum Klassiker, denn die Erzählung erweist sich zunehmend als langlebig und spreche unterschiedliche Generationen an, analysiert Ritter. Harry Potter sei zunächst eine relativ gewöhnliche Figur in einem typischen Adoleszenz-Roman, erfreut sich jedoch mit seinem besonderen Zauberwelt-Setting großer Beliebtheit.
Harry Potter ist ein Held wider Willen, der aufgrund seiner Bestimmung in eine Rolle hinein gedrängt wird, die ihn immer wieder in Situationen bringt, die er dann heldenhaft bewältigen muss.
Rico und Oskar: Helden mit Mankos
Die Erzählungen um Rico und Oskar von Andreas Steinhöfel bilden trotz allerlei Gemeinsamkeiten den Gegenentwurf zu "Emil und die Detektive", erklärt Ritter. Während der kindliche Held im Klassiker idealisiert, perfekt und stark gezeichnet werde, seien Rico und Oskar eigentlich unnormale Helden mit ein paar Beeinträchtigungen. Hier werde deutlich, wie sich unser Umgang mit dem Phänomen des Helden verändert hat, so der Erziehungswissenschaftler.
Helden und Heldinnen heute sind nicht mehr die ganz glatten, perfekten Figuren, sondern Menschen, die auch zweifeln, Probleme haben und gerade deshalb besonders werden.
Conor: bewegend und unheimlich nah
"Sieben Minuten nach Mitternacht " war 2012 nominiert für den deutschen Jugendliteraturpreis in der Sparte Kinderbuch. Die bewegende Geschichte begleitet den jungen Conor im Prozess des Loslassens von seiner an Krebs erkrankten Mutter. Eines Nachts verwandelt sich eine Eibe vor seinem Haus in ein Monster, das ihn "mit Geschichten konfrontiert, die zeigen, dass die Welt oft nicht geradlinig ist". Das Buch und dessen Held haben Erziehungswissenschaftler Ritter besonders beeindruckt:
Das Buch versucht dieses schwierige Thema nicht auf eine psychologisch weichgespülte Art zu erzählen, sondern lässt Widersprüche und Aggression zu und erzeugt gleichzeitig eine starke Nähe zu Conor.
Ein Held wird nicht unbedingt zum Vorbild
Bleibt die Frage, ob diese Heldinnen und Helden auch Vorbilder für die jungen Lesenden sind oder gar "schlechter Umgang" sein können. Hier gibt Ritter Entwarnung. Bücher hätten zwar eine Sozialisationsfunktion mit Wertvorstellungen, Weltentwürfen und Erfahrungen. Eine freche Pippi führt aber nicht zwangsläufig zum vorlauten Kind.
Ich wehre mich ein bisschen gegen die Vorstellung, dass ein Verhalten in einem Buch zu einer unmittelbaren Verhaltensübernahme und Wertvorstellungsübernahme bei den Lesenden führt.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 01. Juni 2018 | 18:05 Uhr