Buch: "WBS 70 - Fünfzig Jahre danach" Warum die DDR-"Platte" immer beliebter wird
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Anfang der 70er legte die DDR ein gigantisches Wohnungsbauprogramm auf. Die "Wohnungsbauserie 70", kurz WBS 70, war dabei der am häufigsten verbaute Typ. Im Jahr 1990 existierte die DDR nicht mehr – und die Kritik an der "Platte" wurde laut. Viele der einst begehrten Häuser standen lange leer. Seit einiger Zeit jedoch hat die "Platte" wieder Konjunktur. Ihr widmet nun das Buch "WBS 70 - Fünfzig Jahre danach" seine Aufmerksamkeit.
Plattenbauten aus der DDR haben schon länger Konjunktur. Auch wegen der vielen Postmoderne in den ostdeutschen Innenstädten, die sich nur individuell gibt und denen die "Platte" weichen musste. Architekten und Baufirmen machten ihren Reibach, die Ästhetik wurde nicht besser.
"Dann lieber 'ne ehrliche Platte!", denken inzwischen viele. Nicht zuletzt wegen der moderaten Mietpreise. Dsrüber hinaus scheint es eine Generationenfrage zu sein, den Plattenbau hopp oder top zu finden.
Verlag für die Ostmoderne
"Hipster" verteidigen die Platte oft, nachdem ihre Eltern Einfamilienhäuser gebaut und die Altstädte vor dem Verfall gerettet haben. Christoph Liepach ist so ein Plattenbau-Enthusiast, der seiner Passion jedoch nicht nur intellektuell frönt – und im sanierten Altbau wohnt, so ein Klischee. Liepach, Jahrgang 1990 und studierter Grafik-Designer, hat in Leipzig gar einen kleinen Verlag "sphere publishers" gegründet, der sich der Ostmoderne widmet, ihrer Architektur, ihrem Design und, in ihrer neuesten Publikation, der "Wohnungsbauserie 70", kurz WBS 70, dem am häufigsten verbauten Häuser-Typ des DDR-Wohnungsbauprogramms. In einem solchen ist Liepach, in Gera-Lusan, auch aufgewachsen.
Die WBS70 ist deswegen so spannend, weil er eine ganze Generation damals prägte – aber auch heute noch, weil die Wohnungsbauserie natürlich präsent ist im Stadtraum, nach wie vor. Weil sie so rationalisiert in der DDR aber auch in anderen Ostblockstaaten entstanden ist und soziologische Effekte generiert – bis heute.
Architektur spiegelt sich in Buchgestaltung
Die "Wohnungsbauserie 70", prägte Siedlungen wie Gera-Lusan, Berlin-Marzahn oder Halle-Neustadt. Es gibt Vorbehalte gegen die Tristesse der "Platte". Für Liepach einseitiges Geheule, das einzuordnen gar ein ganzes Autorenkollektiv angetreten ist, in dem Buch "WBS 70. Fünfzig Jahre danach". Darin heißt es: "Was ich an der 'Platte' ästhetisch finde, ist die Idee, dass man ein standardisiertes, normiertes System hat. Man hat verschiedene Maße, die immer wieder vorkommen, Rasterungen, die immer wieder vorkommen, und mit diesen wird versucht, Fassaden, Häuserfronten, ganze Stadtensembles zu gestalten und in einer pragmatischen Alltagsästhetik umzugehen."
Grafisch ansprechend gestaltet, nimmt das Buch "WBS 70. Fünfzig Jahre danach" teils die Ästhetik von Bauplänen auf, spielt mit Typografie, mit Farb-und Schwarz-Weiß-Fotos sowie WBS70-Grundrissen, die durchaus variantenreich sein konnten. Der Ursprung des DDR-Baukastensystems wird so allein durch die Buchgestaltung offenbar: auf dem Reißbrett.
Ineffizienz durch Sonderwünsche
Dass die "Wohnungsbauserie 70" nicht nur eine Kopfgeburt war, sondern für viele Bewohner bis heute "quadratisch, praktisch, gut", führen die Beiträge des Buches ausführlich in Pro und Contra vor Augen. Etwa zu Themen wie Wohnqualität und Architekur. Auf dem Stadtteil Dresden-Gorbitz liegt ein besonderer Fokus, wie auch auf der sogenannten "Altstadt-Platte", da wurde die "Wohnungsbauserie 70" "passend" gemacht – zu ihrem Nachteil: Durch die Dachschrägen gab es weniger Wohnraum. Liepach bemerkt dazu: "Man musste auf einmal individuelle Lösungen finden: die Dachschräge, die den Raum verkleinert und Platten, die im Werk viel problematischer herzustellen sind, weil sie individuell angefertigt werden mussten. Und somit sind die die Dächer der 'Altstadt-Platte' überhaupt nicht mehr modern und effizient in ihrer Bauweise."
Auch die "Platte" in der DDR-Propaganda verhandelt das Buch und scheut auch internationale Vergleiche nicht. Etwa zur Volksrepublik Polen, die sich mit ihrer fast identischen W70-Serie westlichen Standards stärker öffnete. Sozialen Wohnungsbau gab es schließlich nicht nur im Ostblock.
Und so sehen die WBS 70-Bauten der DDR nicht unbedingt besser oder schlechter aus als soziale Wohnungsbauten etwa in der Berliner Gropiusstadt oder in Frankreich, wo wiederum der Architekt Le Corbusier für eine Reihe schlimmer Betonklötze sorgte.
Das Buch
"WBS 70 - Fünfzig Jahre danach"
Kunsthaus Raskolnikow e. V. / Dresden
104 Seiten, Hardcover
ISBN 978-3-9821327-5-4
Verlag: sphere publishers
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 15. April 2021 | 17:40 Uhr