Das Cover des Comics "Betreten auf eigene Gefahr", bei dem sich eine pinke Person die Ohren zuhält, während im Hintergrund ein Punkkonzert stattfindet.
Das Comic-Buch "Betreten auf eigene Gefahr" wird herausgegeben von Frank Willmann, der schon gemeinsam mit Anne Hahn, die Biografie von Schleimkeim-Sänger Otze "Satan, kannst du mir noch mal verzeihen" veröffentlicht hat. Bildrechte: Ventil Verlag

"Betreten auf eigene Gefahr" DDR-Kultband Schleimkeim aus Erfurt: Punksongs werden zu Comics

09. Mai 2023, 04:00 Uhr

Zu Songs der legendären Erfurter DDR-Punkband "Schleimkeim" haben verschiedene Illustratoren im Comicband "Betreten auf eigene Gefahr" Geschichten gezeichnet. Sie interpretieren die Songtexte individuell, verorten sie mal in der damaligen Zeit oder übertragen sie aufs Heute. Dazu gibt es die Originallyrics und kurze Erläuterung zur jeweiligen Sichtweise. Nicht nur im DDR-Underground war "Schleimkeim" legendär. Songs von ihnen erschienen 1983 als erste DDR-Punklieder auch auf LP – aber nur im Westen.

Punk ist der musikalische Ausdruck von Rebellion. Kein Wunder also, dass die DDR-Führung Punkmusik als Provokation empfand. Tatsächlich war es auch ein politischer Akt, als drei Jungs aus Stotternheim bei Erfurt im Jahr 1980 die Band Schleimkeim gründeten. Die Band wurde schnell zum Idol für Jugendliche, denen die Bevormundung durch den Staat zuwider war. Im Ventil-Verlag ist nun ein Buch mit Song-Comics zur Schleimkeim-Musik herausgekommen.

Songcomic über Schleimkeim aus Erfurt

"Diktator" heißt der Song von Schleimkeim, den sich der Leipziger Illustrator PM Hoffmann für seinen Songcomic im Band "Betreten auf eigene Gefahr" ausgesucht hat. Immer wachsam ist der knorrige alte Mann, den er dazu zeichnet. Mit Schürze überm Pullover und Besen in der Hand wacht er über den Innenhof. Mit Strohhut und nacktem Oberkörper hat er die Gartenanlage im Blick. Unangenehm ist dieser Typ – aber doch eigentlich zu harmlos für einen Diktator.

Zeichnung aus dem Songcomic "Betreten auf eigene Gefahr" von Frank Willmann. Schleimkeim-Sänger Otze hat Probleme mit seinem Nachbarn.
Die Bilder wirken teilweise so authentisch, als wären die Zeichner damals dabei gewesen. Bildrechte: Ventil Verlag/PM Hoffmann

Die Helfer der Diktatur

Für PM Hoffmann ist dieser knorrige Mann eine typische Figur aus seiner DDR-Kindheit. Ein Aufpasser und Treppenhausschnüffler. Ein kleiner Diktator, der den großen Diktator erst möglich mache. Ohne die wären Diktatoren gar nicht möglich, sagt er, das seien die kleinen Helfer des großen Täters.

PM Hoffmann zeigt den Treppenhausschnüffler mit wutverzerrtem Gesicht. Im Hintergrund sind Politiker wie Vladimir Putin oder die rechtspopulistische Marine Le Pen gezeichnet. Ein Kommentar zu den Hassausbrüchen von Wutbürgern, die Rechtspopulisten immer wieder als ihre Vorbilder nennen.

Mehr über Schleimkeim: Punk, Underground und Vatermord

Die Band Schleimkeim gründete sich 1980 in dem damaligen Dorf Stotternheim, das heute zu Erfurt gehört. Im Kern bestand sie damals aus den Brüdern Dieter "Otze" (Gesang) und Klaus Ehrlich (Gitarre) sowie Andreas "Dippel" Deubach (Bass). In der DDR wurde Schleimkeim schnell zur Underground-Legende, sie traten vorrangig in oppositionellen Kirchenkreisen auf.

1983 erschienen Songs von ihnen auf der Split-LP "DDR von unten", die nur im westlichen Teil Deutschlands erscheinen konnte. Es war das erste Punkalbum mit DDR-Bands. 1996 löste sich Schleimkeim auf. Sänger "Otze" tötete 1999 seinen Vater mit einer Axt und verbrachte den Rest seines Lebens in einer psychiatrischen Einrichtung, wo er 2005 starb. Die Restband fand 2008 wieder zusammen und tritt gelegentlich auf. Bekannte Songs sind "Spion im Café" oder "Untergrund und Anarchie".

Zeichnung aus dem Comic mit Personen wie Marine Le Pen oder Vladimir Putin und dem Spruch "Ich hab Hass, will mich rächen, will euch alle niederdreschen."
Die Comiczeichner haben ihren Blick von den Anliegen der DDR-Punkband bis zu den aktuellen globalen Probleme geweitet. Bildrechte: Ventil Verlag/PM Hoffmann

Punkmusik hat PM Hoffmann schon in der DDR kennen gelernt. Bei einem Ferienjob in der Leipziger Konsumzentrale. Damals war er 15 Jahre alt und hat mit Punks zusammengearbeitet, die in der Pause ihren Kassettenrecorder rausgeholt haben. PM Hoffmann war von der Punk-Musik tief beeindruckt. Davon erzählt Hoffmann in einem Text zu seinem Comic.

Subkultur in Ost und West zugleich

Lara Swiontek schreibt, dass sie Schleimkeim erst kürzlich entdeckt und durch die Bandgeschichte viel über die Subkultur der DDR gelernt habe. Sie hat den Song "Bundesrepublik" gezeichnet – darin spielt eine punkige Puppenspielerin die rechte Naziszene der Bundesrepublik nach. "Bundesrepublik" war ein ironischer Kommentar der Band auf die Ausreisewelle aus der DDR Ende der 80er-Jahre.

Für Swiontek verkörpert dieser Song das Gefühl der Ausweglosigkeit. im Westen sei alles Scheiße, da seien Nazis und Reiche, die die Armen unterdrücken. Und im Osten sei eben auch alles nicht gut. Schleimkeim reagierte darauf mit Rebellion: Weil eh alles egal sei, könne es auch zerstört und ins Lächerliche gezogen werden.

Zeichnung aus dem Comic. Otze liegt auf der Couch und seine Mutter bietet ihm Thüringer Klöße an, die er unwirsch ablehnt.
Auch der familiäre Background von Schleimkeim-Sänger Otze spielt eine Rolle und zeigt den Punkmusiker als typischen Heranwachsenden. Bildrechte: Ventil Verlag/PM Hoffmann

Gegen Kapitalismus und DDR-Realität

Die Band war gegen den Kapitalismus – aber eben auch gegen die DDR mit ihrer Spießerkultur. Frank Willman ist Experte für DDR-Alltagskultur und hat den Schleimkeim-Comicband herausgegeben. In Zwischentexten erzählt er, wie die Band zum Idol für unangepasste Jugendliche wurde – und wie sie durch die Stasi beobachtet wurde.

Der Leipziger PM Hoffmann ist bis heute von Schleimkeim beeindruckt. Weil die Band sich treu geblieben sei – auch unter widrigsten Umständen in der DDR. Vermutlich habe sich so ein starkes Band zwischen Musikern und Publikum gebildet. Im Jahr 1996 löste sich Schleimkeim auf, fand später wieder zusammen und spielt bis heute immer wieder einzelne Konzerte, die meistens ausverkauft sind.

Der Comic "Betreten auf eigene Gefahr"
Schleimkeim-Songcomics
Herausgegeben von Frank Willmann
128 Seiten, Hardcover, 25 Euro
ISBN 978-3-95575-200-2
Ventil Verlag

Redaktionelle Bearbeitung: op

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 06. Mai 2023 | 07:45 Uhr