Kolektiw Klanki
Sowohl ästhetisch als auch rhetorisch setzen Kolektiw Klanki neue Maßstäbe in der sorbischen Musikszene. Bildrechte: Kolektiw Klanki

Musik Kolektiw Klanki – Sorbischer Rap für mehr Gleichberechtigung

24. Dezember 2020, 04:00 Uhr

Mit ihrer ersten Single samt Musikvideo hat die Gruppe Kolektiw Klanki für ein Beben in der sorbischen Gesellschaft gesorgt. Denn sorbischen Rap von Frauen gab es bisher nicht. Noch dazu haben die Künstlerinnen in punkto Gleichberechtigung eine Ansage gemacht.

"Družki cyle doprědka" (dt. "Druschki nach vorn!") lautet es am Anfang des Songs, der Bezug auf einen besonders wichtigen Teil der sorbischen Kultur nimmt. Denn die Druschka-Tracht bezeichnet das Gewand der sorbisch-katholischen Brautjungfer, einem der heiligsten und unverletzlichen Kulturgüter der Minderheit. Deren Symbolkraft strahlt bis heute eine Reihe von gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen aus.

Kritische Selbsthinterfragung

Hinter Kolektiw Klanki stehen fünf junge Frauen, die in der sorbisch-sprachigen Lausitz aufgewachsen sind und die Tracht früher selbst getragen haben. Nach ihrem Schulabschluss zog es die ein oder andere ins Ausland und danach zum Studium nach Leipzig oder Berlin. Dieser Abstand habe einen Prozess in Gang gesetzt, Dinge, die früher als "ganz normal" wahrgenommen wurden, kritisch zu hinterfragen.

Aber was tun, wenn man dann eines Tages feststellt, dass man sich mit den religiösen und kulturellen Riten, mit denen man aufgewachsen ist, nicht mehr wohlfühlt? Wenn man die Tracht noch dieses eine Mal trägt, um die Familie nicht zu enttäuschen? Was tun, wenn man sich politisiert und realisiert, dass Bräuche teilweise veraltete Geschlechterrollen widerspiegeln?

Dann ist Rap "ein ziemlich geiles Medium, um auszudrücken, was einem auf dem Herzen liegt" sagt ein Mitglied des Kolektiws.

Männliche Dominanz

Dass sorbische Musik bisher zu 90 Prozent männlich war und Frauen in Musikvideos oft nur als schmückendes Beiwerk auftraten, war ein weiterer Punkt, der die Künstlerinnen gestört hat. Außerdem fanden sie, dass sorbische Musizierende bisher nur selten kritische Themen ansprechen.

Wir hatten einfach Lust und wir hatten was zu sagen.

Kolektiw Klanki zu ihrer Motivation

Deutlich machen Kolektiw Klanki jedoch auch: "Wir wollen die Druschka-Tracht nicht per se schlecht machen oder gar abschaffen!". Bis heute stehe das Gewand bei Sorbinnen und Sorben symbolisch für Jungfräulichkeit, Unschuld, prachtvolle Schönheit und das Unantastbare.

Bräuche und Rituale heute

Diese Zuschreibung wird den jungen Frauen nach allerdings zu wenig hinterfragt. Mit ihrem Kunstprojekt machen sie deutlich, dass sie die Maßstäbe, die an Frauen angelegt werden, und die Werte, die ihnen vermittelt werden, nicht mehr zeitgemäß finden.

Das Osterreiten ist nach Meinung der Künstlerinnen ein weiterer sorbischer Brauch, der Rollenklischees zementiert. Bisher sind ausschließlich Männer berechtigt, als Teil der katholischen Prozession, auf einem Pferd reitend die frohe Botschaft der Auferstehung Jesu Christi zu verkünden. Sinnbildlich steht der Mann in dieser Rolle für die Wichtigkeit der Religion in der sorbischen Kultur. Ihm werden Eigenschaften wie Ansehen, Ehre und Pracht zugeschrieben. Die Wichtigkeit von Frauen bei der Pflege der Tradition geht nach Ansicht der Künstlerinnen unter.

Ohne Frauen würde sowohl zu Ostern als auch das ganze restliche Jahr wenig funktionieren. Sie sind die Pfeiler, auf denen die Gesellschaft steht. Anerkennung bekommen sie dafür allerdings zu wenig. Vielmehr beschränkt sich ihr Ansehen oft auf Äußerlichkeiten und die Rolle der Sorgearbeiterin zur Entlastung der Familie. "Dabei wären viele junge Frauen durchaus qualifizierte Osterreiterinnen", sagt ein Mitglied des Kolektiws. Bislang stießen solche Forderungen allerdings auf Ablehnung.

Diskurs zu Geschlechtergerechtigkeit angestoßen

Andererseits – alle großen Veränderungen haben einmal im Kleinen angefangen. Kolektiw Klanki ist es mit ihrem provokativen Beitrag gelungen, einen gesellschaftlichen Diskurs über Geschlechtergerechtigkeit zu entfachen.

Kolektiw Klanki
Kolektiw Klanki Bildrechte: Kolektiw Klanki

Der große Zuspruch seit der Veröffentlichung des Videos zeigt, dass sie damit in ein Wespennest gestochen haben. Viele Menschen waren dankbar, dass das Thema angesprochen wurde, wenn auch auf eine extreme Art und Weise – "Aber gerade durch die Überspitzung wurde vieles auf den Punkt gebracht" sagen die Künstlerinnen. Inzwischen haben sie sogar eine Anfrage einer Lehrerin erhalten, die den Songtext im Unterricht besprechen möchte.

Eigene Wege wagen

Über soziale Netzwerke erreicht das Kolektiw vor allem viele junge Followerinnen und Follower. Insbesondere dieser Generation möchten die Künstlerinnen mit auf den Weg geben, sich nicht allen gesellschaftlichen Erwartungen zu beugen und Mut zu haben, den eigenen Weg zu gehen – unabhängig von bestimmten Geschlechterklischees.

Trotz allem Engagements sehen sich die Künstlerinnen jedoch nicht in der Rolle der Aufklärerinnen für die sorbische Welt. Schlussendlich liege es an den Einzelnen selbst, sich zu dem Thema weiterzubilden.

Um etwas zu verändern, muss man manchmal radikale Wege gehen. Den Künstlerinnen vom Kolektiw Klanki ist die Provokation auf jeden Fall gelungen. Ihre Pläne für die Zukunft sind zwar noch "rohe Eier", aber mit mehr Musik könne das Publikum auf jeden Fall rechnen, verraten sie.

Wer die Zeit bis dahin überbrücken möchte, kann dem Kolektiw Klanki beispielsweise auf Instagram folgen. Dort zeigen sie mit sog. Memes, satirischen Fotos und Videos, wie unterhaltsam der Kampf um Gleichberechtigung sein kann.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 30. November 2020 | 20:00 Uhr

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