Interview 75 Jahre MDR-Kinderchor: Tom Pauls erinnert sich an seine Zeit als Chorknabe

Vor 75 Jahren wurde der Rundfunk-Kinderchor Leipzig gegründet, der heutige MDR-Kinderchor. Dort hat auch der Kabarettist Tom Pauls als Kind gesungen. Im Interview erinnert er sich an diese Zeit und an Chorgründer Hans Sandig, der den Chor jahrzehntelang geleitet hat.

Kabarettist Tom Pauls: ein Mann mit grauem Haar und Brille blickt interessiert in die Kamera
Der Kabarettist und Schauspieler Tom Pauls hat bis 1972 im damaligen Rundfunk-Kinderchor Leipzig gesungen (dem heutigen MDR-Kinderchor). Bildrechte: Robert Jentzsch

MDR KULTUR: Der Gründer des Chors, Hans Sandig, ist der bei Ihnen noch präsent?

Tom Pauls: Unglaublich präsent. Ein gestrenger Chorleiter, der genaue Klangbilder vor sich hatte. Er wusste, wie der Chor zu klingen hat, war relativ streng, und ich würde fast sagen erbarmungslos. Man muss sich das vorstellen: Ich war sieben Jahre, acht Jahre alt, und dann vier Stunden Aufnahmen im Funkhaus, wo wir uns wirklich manchmal erst nach zwei Stunden auf die Chortreppen setzen durften, und nochmal und nochmal und nochmal – das hat mich sehr geprägt, insbesondere in der Disziplin, Geduld zu haben und durchzuhalten.

Da kriegt man schon einen Einblick, was man sonst noch so lernt außer Singen im Chor. Ich weiß nicht, wie das damals war, aber heute wird ja jeder Junge im Chor mit Kusshand begrüßt. Es scheint heute nicht das Coolste zu sein, so als Junge im Chor. Wird das irgendwie durch das Überangebot an Mädels ausgeglichen?

Das weiß ich nicht mehr, aber damals waren es auch mehr Mädchen. Wir waren viel mehr Mädchen, und die Jungs waren, sagen wir mal – ich würde fast sagen androgyn, viele. Das war mir aber wurscht. Ich wollte ein strahlender Sopran sein. Und was viel wichtiger ist: Ich wollte darstellender Sänger sein. Ich glaube, ich bin auch durch den Gesang zur darstellenden Kunst gekommen, und ich habe auch bestimmte Rollen in diesem Chor gekriegt durch meine Art und Weise zu interpretieren.

Welche Rollen?

Na zum Beispiel den Fettwanst. Der Dr. Hans Sandig hat ja so viele Kantaten geschrieben, und da gab es eine Kantate, wo ich den Fettwanst spielte, also ein abschreckendes Beispiel für ungesunde Ernährung. Und ich war ein ganz Schmaler, da kriegte ich so einen Bauch umgeschnallt, da musste ich ins Theater, ins Schauspielhaus, haben sie mich angescheuselt, wie der Sachse sagt. Und da hatte ich so einen dicken Bauch und ein Lätzchen und oben einen halben Ball mit einer Fasanenfeder. Ich sah aus wie das Michelin-Männchen beim Fasching.

Und dann musste ich singen: "Wenn ich ein Tischleindeckdich hätt''. Und der Chor antwortete immer: "Hahahahaha" – "Ich weiß genau, was ich dann tät" – "Haha-hahaha" – "Ich wünschte mir zuerst mal, dann …" und der Chor: "Na was?" – "Ein Knödel, groß wie'n Äppelkahn, ein Knödel, groß wie'n Kahn". Und dann kam die Moral von der Geschichte. Da hat der Chor gesungen: "Iss Obst, Gemüse, Fisch und Quark/Auch Vollkornbrot macht groß und stark" und sowas. Also sehr didaktisch für die Zeit. Aber wir haben Spaß gehabt.

Kabarettist, Schauspieler – ohne Singen, da geht gar nix. Aber Darstellung haben wir jetzt auch schon gehört. Ich nehme an, der Kinderchor hat da geholfen, aber ich denke da auch an so Aktivitäten wie beim Zwinger-Trio: Ist das ein großes Ganzes bei Ihnen geworden?

Ja, muss ich sagen. Ich habe dann irgendwann aufgehört, bin einfach nicht mehr hingegangen. 1972 war das. Das wurde immer ideologischer: "Dank euch ihr Sowjetsoldaten" und "Hammer und Zirkel im Ährenkranz/Zeichen des Glücks an der Wiege" – und zu Hause hatte ich schon von meiner West-Oma die Schallplatten von Jimi Hendrix.

Jetzt muss ich natürlich nach einem Lieblingslied fragen aus dem Chorleben. Ich kenne Menschen, die fallen keineswegs unter die Ostalgiker, aber bei "Unsere Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer" knien die förmlich nieder. Sie dürfen jetzt ganz frei reden: Ihr Lieblingslied aus der Kinderzeit?

Nee. Also das Lied ist ja wirklich ganz nett. Aber mein Lieblingslied des Rundfunkchors, und das werden Sie alle kennen, die in der DDR aufgewachsen sind: "Hü, mein Ponypferdchen, trappeltrippeltrapp" – also "Besuch im Zoo", das Lied vom Pony Hopp. Das kennen alle. Und das das bringe ich heute noch manchmal aus Gag bei einem meiner Programme.

Das Interview führte MDR KULTUR-Radiomoderatorin Annett Mautner. Redaktionelle Bearbeitung: Hendrik Kirchhof

Mehr zum Jubiläumskonzert des MDR-Kinderchors

Jubiläumskonzert 75 Jahre MDR-Kinderchor
Mit dem Chor und dem MDR-Sinfonieorchester

Wann und wo?
Sonntag, 19. März 2023, 16 Uhr
Gewandhaus zu Leipzig, Augustusplatz 8, 04109 Leipzig

Mehr zum Thema Chor und singen

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 13. März 2023 | 07:40 Uhr

Mehr MDR KULTUR