Interview Wie die Mitteldeutsche Kammerphilharmonie gegen gesunkene Besucherzahlen kämpft
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Laut einer aktuellen Umfrage haben viele Berufsorchester in Deutschland nach der Corona-Pandemie mit geringeren Zuschauerzahlen kämpfen. Auch die Konzerte der Mitteldeutschen Kammerphilharmonie Schönebeck sind weitaus weniger gut besucht als vor der Pandemie. Im Interview erklärt Geschäftsführerin Anita Bader, mit welchen Strategien sie das Publikum zurückholen will, warum die Zukunft des Abonnements überdacht werden muss und welche neue Zielgruppe sie im Blick hat.

MDR KULTUR: Viele Berufsorchester in Deutschland kämpfen nach der Corona-Pandemie mit geringen Zuschauerzahlen. Fehlt auch Ihnen das Publikum, das vor der Pandemie da war?
Anita Bader: Es ist noch Luft nach oben, auch uns fehlt noch Publikum. Beim Operettensommer im letzten Jahr waren wir beispielsweise bei etwa 70 Prozent Auslastung, was schon sehr gut ist. Ich habe mich sehr gefreut, dass viele Leute über die Pandemie-Zeit hinweg ihre Karten behalten und nicht zurückgegeben haben, was uns sehr weitergeholfen hat. Im Herbst waren die Buchungszahlen sehr zurückhaltend. Da dachte ich schon, das ist kein guter Trend und wir müssen wirklich überlegen, was wir jetzt tun. Das erholt sich jetzt so allmählich wieder, die Weihnachts- und Neujahrskonzerte waren sehr gut besucht. Das hat mich sehr gefreut.
Das Problem ist, dass Sie ja nicht von jetzt auf gleich ihre Publikumsstruktur umstellen können. Sie müssen tatsächlich erst mal gucken, wie Sie die Abonnementen, die Sie bisher hatten, wieder bekommen. Denn viele Abos sind natürlich im Laufe der Pandemie-Zeit gekündigt worden. Niemand lässt sich momentan auf Kartenverkäufe so weit im Voraus ein. Wahl-Abos oder Gutscheine gehen besser als das klassische Abo. Die Zukunft des Abonnements müssen wir überdenken.
Wie bekommt man die Abo-Kunden zurück? Was überdenken Sie denn in welche Richtung?
Beispielsweise schreiben wir ehemalige Abonnenten an, ob sie wieder kommen wollen. Außerdem planen wir so etwas wie eine Spielzeitpräsentation, mit der wir zeigen, was das Publikum im Laufe des Jahres erwarten wird. Dabei versuchen wir natürlich nicht nur ehemalige beziehungsweise aktuelle Kunden anzusprechen, sondern eben auch neue zu gewinnen. Das versuchen wir über verschiedene Programme. Zum Beispiel haben wir gerade ein Stummfilmkonzert veranstaltet, bei dem eine zeitgenössische Komponistin, Violeta Dinescu, zu Friedrich Murnaus Film "Tabu" gespielt hat. Das war eine großartige Sache, weil wir da auf einmal ganz viel Publikum im Saal hatten, das ich vorher noch nie gesehen habe. Also da ist offensichtlich ein Potenzial. Wir müssen uns neue Strategien überlegen, um das Publikum zu gewinnen. Es geht nicht nur um eine Rückgewinnung, sondern um eine Neugewinnung.
Umfrage zu Zuschauerzahlen nach der Pandemie:
Eine Umfrage der Deutschen Musik- und Orchestervereinigung Unisono unter 129 Theater-, Konzert- und Rundfunkorchestern ergab, das viele Berufsorchester in Deutschland nach der Corona-Pandemie mit geringeren Zuschauerzahlen kämpfen.
46 Prozent der befragten Orchester vermeldeten noch eine starke Zurückhaltung, vor allem des älteren Publikums.
Knapp zwei Drittel der Orchester (62 Prozent; 76 Orchester) haben Abonnenten verloren. 30 Prozent (36 Orchester) konnten ihre Abo-Zahlen halten.
Als wesentliche Ursachen für den Einbruch der Abonnements sahen etwa 50 Prozent (60 Orchester) das komplette Aussetzen der Abos während der Pandemie.
47 Orchester verwiesen zudem auf die Angst älterer Abonnenten, wieder in Veranstaltungen zurückzukehren.
Wie kann es gelingen, ein neues Publikum zu erreichen? Arbeiten Sie auch mit Schulen zusammen oder wie stellen Sie das an?
Wir arbeiten natürlich sehr eng mit Schulen zusammen und sind auch sehr viel in Schulen. Ungefähr 30 Prozent meiner Tätigkeit sind tatsächlich Schulkonzerte. Kinder kommen sofort in Konzerte, das ist nicht das Problem. Es geht eher darum, die Generation 45 plus, die jetzt noch nicht oder nicht genug in unsere Konzerte kommt, zu erreichen. Die müssen Sie ja auch irgendwie gewinnen und das versuchen wir über Sonderveranstaltungen wie beispielsweise Bälle. Außerdem wollen wir Café-Konzerte oder Tanzkonzerte veranstalten, die es bereits vor 75 Jahren, als wir gegründet wurden, gab. Wir wollen ausprobieren, ob dieses Format hier in Schönebeck und Umgebung ankommt, ob die Leute daran Interesse haben. Solche Sachen überlegen wir jetzt für die kommende Spielzeit, um zu schauen, wie man neue und andere Leute in unsere Konzerte bekommt.
Diese Müdigkeit eines bestimmten Publikumssegments, das jetzt vielleicht nicht unbedingt aus Gesundheitserwägungen heraus fernbleibt - woher kommt die? Und was kann man daran ändern?
Ich glaube ganz viel ist auch durch die Unsicherheit entstanden, die viele Menschen haben, die überlegen: investiere ich mein Geld lieber in meine Gasrechnung oder kaufe ich mir für 19 Euro ein Konzertticket. Ich glaube, das wird einfach noch ein bisschen dauern, bis die Leute wieder Lust haben aus dem Haus zu gehen. Ich merke das an mir selber, im Herbst habe ich mir gedacht: Mensch, wann war ich eigentlich das letzte Mal woanders als in meinen eigenen Veranstaltungsstätten? Jetzt gehe ich auch wieder ins Theater und in Konzerte, woanders hin. Da habe ich aber auch einfach eine Zeit lang gebraucht.
Das Interview führte Annett Mautner für MDR KULTUR.
Redaktionelle Bearbeitung: Lilly Günthner.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 07. Februar 2023 | 12:09 Uhr