Albumkritik zu "Feld" Weimarer Komponist und Pianist Martin Kohlstedt veröffentlicht mitreißendes neues Album
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Martin Kohlstedt bringt die Klassik in Hinterhofclubs und elektronische Musik in die renommiertesten Konzerthäuser. Der in Weimar lebende Komponist, Pianist und Produzent legt mit "Feld" sein sechstes und bisher vielleicht mutigstes Studioalbum vor. Für ihn war es ein Weg aus der Ohnmacht – für die Fans ist es ein überraschender musikalischer Aufschlag. Eine Kritik.

Alles begann mit einer Form von Ohnmacht. Nicht einmal unbedingt in Bezug auf die lähmende Starre der Pandemie, mit diesem Zustand hat sich Martin Kohlstedt bereits auf seinem Vorgängeralbum "Flur" auseinandergesetzt. Nun geht es um das, was danach kommt. Und ein Zustand innerer Ruhe ist das definitiv nicht.
Martin Kohlstedt sagt über den Entstehungsprozess seines Albums: "Da sind Kriege, da sind Inflationen, das sind Unsicherheiten. Da sind kleine Depressionen, da waren lange Winter. Da war alles Mögliche. Und ich habe auch gemerkt, dass hinter dem eigenen Damm eine Menge angestaut war. Nach dieser Zeitlosigkeit hat sich so eine Art Aufbruchsgefühl oder irgendein nicht zurückhaltbarer Aufbruch aufgestaut. Der hat sich mit 'Feld' jetzt freigesetzt."
"Feld" setzt Energie frei
Dabei war die Begegnung mit Martin Kohlstedt und seiner Musik noch nie per se bequem. Immer war ein großer Raum da, für das Ausloten der eigenen Empfindungen, sei es nun auf seiner letzten Platte "Flur" oder dem Album "Ströme" mit dem Leipziger Gewandhauschor. Doch auf "Feld" wagt Kohlstedt den vielleicht überraschendsten musikalischen Aufschlag bisher.
Das Album setzt eine für ihn ungewohnte Art von Energie frei. Wuchtig, ja fast schon bedrohlich baut sich die Musik stellenweise kaskadenhaft auf – um sich anschließend zu entladen und wieder sanft zu landen. Wie ein Bogen, der bis zum unerträglichen Widerstand gespannt wird. Dann saust der Pfeil los und bohrt sich mit voller Kraft in das Resonanzfeld des Zuhörers.
Martin Kohlstedt überrascht mit ungewohnten Klängen
Wer Martin Kohlstedt kennt, weiß, dass sowohl Klavier als auch Synthesizer einen festen Bestandteil seines Klanggewands bilden. Damit erzeugt er sein Spannungsfeld aus analoger Gelassenheit und elektronischem Aufbegehren. Doch auf "Feld" kommen einige weitere Instrumente zum Einsatz, die nicht gerade Kohlstedt-typisch sind: Percussions, Saxofon und sogar eine Harfe.
Damit eröffnet Martin Kohlstedt ein Klangspektrum, das sich klar von den Vorgängeralben abhebt. Wie immer war die Intuition seine leitende Kraft, doch diesmal durfte es etwas mehr sein. Kohlstedt beschreibt es so: "Was am Anfang losbricht, dann schockt, dann gibt es diese Zuhause-Ebene, die fast im Ambient in der Mitte so einen Kern aufmacht. Dann gibt es eine Neuformierung, die selbstbewusster ist und der egaler ist, was kommt. Hinten kommt das große Fragezeichen, damit geht eine Ruhe einher."
Das vielleicht mutigste Album des Weimarer Musikers
Was dabei herausgekommen ist, sprudelt dafür umso mehr vor Fülle. Kohlstedt selbst bezeichnet es als "schwarze Schlacke", die quasi aus seinem Inneren herausdringt, was dem künstlerischen Wert dieser Materie sicher nicht so ganz gerecht wird. Denn mit "Feld" legt Martin Kohlstedt das vielleicht mutigste Album seiner bisherigen Karriere vor.
Wie eine Box hütet die Platte eine Vielzahl an völlig unterschiedlichen Gedanken und Ansprüchen. Was aber den Mut ausmacht, ist, dass Kohlstedt sich traut, diese Gedanken nicht zwanghaft zu verknüpfen. Der gemeinsame Nenner darf fehlen, Einkehr und Aufruhr dürfen nebeneinanderstehen. Und: wirken! Damit wagt sich Kohlstedt weit hinaus auf sein ganz persönliches Feld und erzeugt eine Menge Reibung. Und das macht den Reiz dieser Platte aus. Denn wo Reibung ist, entsteht bekanntlich Wärme und Energie – genau das, was wir jetzt gerade brauchen.
Informationen zum Album
Martin Kohlstedt: "FELD"
Label: Edition Kohlstedt
Veröffentlicht am 31. März 2023
Erhältlich als digital, CD, Vinyl
Termine:
Am 19. und 20. Mai 2023 spielt Martin Kohlstedt in der Leipziger Peterskirche.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 31. März 2023 | 17:40 Uhr