Ein als Indianer vergleideter Mann, aufgenommen bei den Karl-May-Festtagen zum Radebeuler Lößnitzgrund.
Die Karl-May-Festtage in Radebeul 2023 finden vom 19. bis 21. Mai statt. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Daniel Schäfer

Winnetou-Debatte Radebeul: Karl-May-Festtage starten mit Positionspapier

19. Mai 2023, 11:30 Uhr

In Radebeul beginnen am Freitag die 30. Karl-May-Festtage. Ob es noch zeitgemäß ist, "Winnetou" und damit auch all die "Indianer"-Klischees immer wieder neu aufzuführen, darüber wird heftig gestritten. Letzter Anlass war im vergangenen Sommer ein neuer Kino-Film und zwei Winnetou-Kinderbücher, die der Verlag schließlich zurückzog. Wie also umgehen mit Karl May und seinem Erbe auf der Bühne, im Film oder Ausstellungen? Differenziert, fordert ein Positionspapier, das rund ein Jahr nach der heißen Debatte nun von der AG "Karl May vermitteln" veröffentlicht wurde. Wir haben den wissenschaftlichen Direktor des Karl-May-Museums in Radebeul, Robin Leipold, dazu befragt.

MDR KULTUR: Sie nehmen mit dem Positionspapier ein Jahr nach der hitzigen "Winnetou"-Debatte Stellung zu Karl May. Wie?

Robin Leipold, Karl-May-Museum in Radebeul: Ja, da muss ich erstmal klarstellen, die Karl-May-Gesellschaft, also die große Literaturgesellschaft, die sich mit dem Werk des Autors Karl May beschäftigt, als auch wir, die Karl-May-Stiftung, haben uns schon viele, viele Jahre in Publikationen, in Ausstellungen, in Veranstaltungen immer wieder kritisch mit dem Werk befasst.

Die Reduktion Mays auf einen Produzenten stereotyper und trivialer Abenteuerfantasien wird der Komplexität seines umfangreichen Gesamtwerks nicht gerecht.

Aus dem Positionspapier AG "Karl May vermitteln"

Letztes Jahr haben wir gesagt: "Okay, diese Debatte hat so eine große, breite Öffentlichkeit erreicht. Wir müssen jetzt alle Institutionen an einen Tisch einmal holen und überlegen, was hat Karl May noch für einen Wert? Und wie können wir Karl May noch in der Zukunft vermitteln?"

Stichwort: Positionspapier der AG "Karl May vermitteln"

In Reaktion auf die Kontroverse um Karl Mays Werk und speziell seine Winnetou-Figur initiierten die Karl-May-Stiftung und die Karl-May-Gesellschaft e. V. im November 2022 eine Arbeitsgemeinschaft zum Thema "Karl May vermitteln". Dazu trafen sich Vertreterinnen und Vertreter aus Kultur und Wissenschaft im Karl-May-Museum in Radebeul, etwa auch die Landesbühnen Sachsen. Beratend hinzugezogen wurden zwei Angehörige der Navajo Nation und der Curve Lake First Nation.

Im März 2023 veranstalteten die Karl-May-Stiftung und die Karl-May-Gesellschaft gemeinsam mit der Universität Potsdam ein dreitägiges interdisziplinäres Symposium zum Thema " Kulturelle Repräsentationen im Werk Karl Mays im Brennpunkt aktueller Diskurse". Als erstes Ergebnis haben sich die Mitglieder der AG auf jetzt veröffentlichte Positionspapier verständigt.

Das klingt jetzt aber ein bisschen so, als ob Sie sagen okay: Da läuft eine Debatte. Dann sagen wir jetzt einfach noch mal das, was wir seit Jahren schon sagen ...

Nein, so ist es nicht. Natürlich muss ich selbstkritisch anmerken, dass die Gesellschaft, die Stiftung, die Vereine zu sehr in ihrem Dunstkreis geblieben sind, ohne dass die Öffentlichkeit wahrgenommen hat, dass wir auch was zu diesen Themen zu sagen haben. Und das wollen wir ändern. Deswegen haben wir jetzt dieses Positionspapier veröffentlicht, das zusammenfasst, was für uns den Wert von Karl May darstellt. Wir verschließen uns nicht kritischen Punkten und neuen Sichtweisen auf sein Werk, wir wollen die Debatte aber sachlich und fachlich mitführen.

Als Mitgestalter der Rezeptionsgeschichte des meistgelesenen Autors deutscher Sprache sind wir uns (...) einer besonderen Verantwortung bewusst und erkennen die Notwendigkeit, sensibel und kritisch mit diesem Erbe umzugehen. Wir unterstützen die Aufarbeitung kolonialer Unrechtsstrukturen.

Aus dem Positionspapier AG "Karl May vermitteln"

Wenn ich Ihre Position, so wie ich sie aus dem Papier entnehme, zusammenfasse, sagen Sie: Karl May ist Kulturgut und als solches unbedingt erhaltenswert, muss aber kritisch betrachtet werden. Wie geht das zusammen, Herr Leipold?

Ich finde, das geht ganz gut zusammen. Also das ist definitiv unsere Haltung: Karl May gehört zum deutschen Kulturgut. Und natürlich muss man sich damit beschäftigen, zu welcher Zeit Karl May geschrieben hat. Das ist eben ein Teil der kritischen Aufarbeitung, zu fragen: Was sind denn die Stereotypen, die Karl May mit tradiert hat und bis heute überliefert hat, warum gab es die, wie sind sie entstanden? Das ist eine Frage. Die andere Frage ist, was steckt darüber hinaus in Karl Mays Werk? Was hat der Mensch vor 100 Jahren uns schon für eine Botschaft vermitteln wollen? Und die, finde ich, ist heute aktueller denn je.

Wir (...) halten es für grundsätzlich falsch, historisch gewachsene Elemente der Kultur mittels einer rückwirkenden Umbewertung aus dem öffentlichen Diskurs oder dem Bildungssystem auszuschließen.

Aus dem Positionspapier AG "Karl May vermitteln"

Sie sagen ja sogar, dass seine Werke ein Vehikel sein können in den heutigen Debatten über Rassismus und Dekolonisierung. Inwiefern?

Karl May hat zu einer Zeit geschrieben, wo sich kaum jemand für fremde Kulturen in Deutschland eingesetzt hat. Er hat sich da hingeträumt sich einen indigenen Menschen zu seinem Blutsbruder erträumt. Also in Freundschaft und Völkerverständigung vereint wollte er die Welt sehen und das in einer Zeit, wo in Europa der Kolonialismus ganz oben war, die Staaten mit den Waffen gerasselt haben bis fast zur Vernichtung, in dieser Zeit ist er dafür eingetreten, zu sagen: Moment mal, wir müssen doch schauen, was wir voneinander lernen können und mit Respekt auf andere Menschen und Kulturen zugehen. Das sind Botschaften, die heute immer noch aktuell sind, die hat dieser Mensch schon vor 150 Jahren geschrieben.

Karl May
Karl May als Old Shatterhand verkleidet auf einem Foto aus dem Jahr 1896. Bildrechte: Karl-May-Haus / Tittmann

Jetzt hat das Karl-May-Museum in Radebeul nicht die Reichweite, die zum Beispiel die großen Karl-May-Spiele in Bad Segeberg haben, wo 400.000 Menschen im Jahr hinströmen. Stehen denn auch solche großen Player hinter ihrem Positionspapier?

Wir haben versucht, die großen Bühnen mit an den Tisch zu bringen. Das hat leider nicht funktioniert. Es waren vor allem kleine Bühnen, die Amateurbühnen, die das in ihrer Freizeit machen, bereit zu kommen und mit zu überlegen, wie wir Karl May heutzutage auf den Bühnen vermittteln. Leider haben die großen Bühnen diese Möglichkeit nicht ergriffen. Was wir tatsächlich schade, weil es gerade die großen Bühnen sind wie Bad Segeberg und Elspe, die natürlich mit ihren vielen Zuschauern auch sehr, sehr stark das Bild von Karl May prägen.

Und auch sehr, sehr stark Stereotype reproduzieren.

Richtig. Wir hatten zu dieser ersten Sitzung auch verschiedene Indigenen-Vertreter mit eingeladen, die auch gekommen sind. Also es wäre auch die Möglichkeit eines Austausches da gewesen.

Sie verstehen dieses Positionspapier aber ja auch als eine Art Selbstverpflichtung. Wozu verpflichten Sie sich denn konkret? Was wird am Museum bei Ihnen passieren in Folge dieser Debatte?

Es ist die Verpflichtung, sich weiter hier im Museum in Veranstaltungen, Lesungen, Ausstellungen mit der indigenen Kultur und Kulturgeschichte, auch schwierigen Themen im Werk Karl Mays auseinandersetzen. Aber auf der anderen Seite sagen wir auch: Guckt mal, dieser Mensch hat Ecken und Kanten, aber auch ganz wichtige Botschaften. Karl May ist auch im 21. Jahrhundert ein Mensch, mit dem man sich beschäftigen muss und sollte.

Das Gespräch führte Ellen Schweda. Redaktionelle Bearbeitung: Katrin Schlenstedt

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 19. Mai 2023 | 07:10 Uhr