Ein Foto von Erich Mühsam, Dichter, Anarchist und Bohemien. 1934 von den Nazis ermordet.
Erich Mühsam war Dichter, Anarchist, Bohémien. Schon während der Weimarer Republik warnte er vor dem heraufziehenden Faschismus. Vor 90 Jahren wurde er im KZ Oranienburg erordet. Bildrechte: picture alliance / -/dpa | -

Klassikerlesung | 01.07. bis 24.07. 2024 Erich Mühsam: Tagebücher und andere Prosa

01. Juli 2024, 04:00 Uhr

Erich Mühsam – Ein Leben zwischen Anarchismus, Bohème und Verfolgung

Erich Mühsam wurde 1878 in Berlin als Kind jüdischer Eltern geboren und wuchs in Lübeck auf. Bereits im Alter von elf Jahren begann er zu schreiben und verfasste als Jugendlicher erste satirische Texte für den Zirkus in Lübeck. Weil er der Zeitung "Lübecker Volksbote" Schulinterna zuspielte, wurde er des Gymnasiums verwiesen und absolvierte eine Ausbildung zum Apothekergehilfen.

Anarchistische Kreise in Berlin

Mit 23 Jahren ging Mühsam 1901 nach Berlin, um dort als freier Schriftsteller, Dichter und Publizist zu leben. Er arbeitete bei Zeitschriften wie "Der arme Teufel", die den anarchistischen Kreisen zugeschrieben wurde. Außerdem unterhielt er Kontakte zur "Neuen Gemeinschaft", eine anarchistisch-kommunistische Kommune um Julius Hart, Heinrich Hart und Gustav Landauer. Er befreundete sich mit dem Schriftsteller Paul Scheerbart.

Aussteiger-Kommune Monte Verità

In den Jahren 1904 bis 1908 reiste Mühsam nach Italien, Wien, Paris und München und mehrfach nach Ascona zur Aussteiger-Kommune auf dem schweizerischen "Monte Verità". Durch die Freundschaft mit dem Siedler Karl Gräser entwickelte er die Idee einer Gemeinschaft und Herberge für Menschen, die von der Gesellschaft geächtet sind, wie Landstreicher, Bettler, Huren und Verbrecher.

Karlsruhe: In der Ausstellung «Die Ermordung von Gustav Landauer» im Generallandesarchiv Karlsruhe liegt in einer Vitrine neben einem Porträt-Foto von Gustav Landauer ein Aushang aus dem Jahr 1919, in dem sich die SPD-geführte Regierung Württembergs gegen die Münchner Räterepublik ausspricht
Bild aus der Ausstellung "Die Ermordung von Gustav Landauer" im Generallandesarchiv Karlsruhe: Neben dem Porträt von Gustav Landauer ein Aushang aus dem Jahr 1919, in dem sich die SPD-geführte Regierung Württembergs gegen die Münchner Räterepublik ausspricht. Auch Erich Mühsam ist dort erwähnt. Bildrechte: picture alliance/dpa | Christopher Hirsch

Bohéme in München-Schwabing

1909 ließ er sich in München-Schwabing nieder und wurde dort zu einer zentralen Figur der Münchner Bohème. Er befreundete sich u. a. mit Heinrich Mann, Frank Wedekind, Lion Feuchtwanger und Franziska zu Reventlow. Über diese Zeit schrieb er Ende der 1920er-Jahre in seinen "Unpolitischen Erinnerungen". Unter anderem gründete er politische Gruppen, zwecks Agitation des Lumpenproletariats für den Anarchismus. 1915 heiratete Mühsam Kreszentia Elfinger, genannt Zenzl.

Tagebücher Erich Mühsams "Tagebücher" entstanden zwischen 1910 und 1924. 35 von insgesamt 42 Heften sind erhalten geblieben. Die rund 7.000 Seiten brachten Chris Hirte und Conrad Piens im Verbrecher Verlag heraus. Der Verlag veröffentlichte das gesamte Mammut-Projekt auch online: Sämtliche Tagebuchaufzeichnungen Mühsams sind als Volltext auf muehsam-tagebuch.de ohne Bezahlschranke oder Registrierung zugänglich.

Münchner Räterepublik und Weimarer Republik

Polizeifoto des antifaschistischen Schriftstellers Erich Mühsam während seiner Haft im Lager Oranienburg, wenige Monate vor seiner Ermordung
Polizeifoto des antifaschistischen Schriftstellers Erich Mühsam während seiner Haft im Lager Oranienburg, wenige Monate vor seiner Ermordung Bildrechte: IMAGO / Foto12

Während eines Schweizer Kurheim-Aufenthalts 1910 beschloss Erich Mühsam, Tagebuch zu schreiben. Bis 1924 entstanden tausende Seiten über sein Leben als anarchistischer Aktivist und Kämpfer für eine herrschaftsfreie Gesellschaft. 1916 nahm er an den Hungerdemonstrationen auf dem Münchner Marienplatz teil und unternahm den Versuch, einen Aktionsbund antimilitaristischer Gruppen zur revolutionären Beendigung des Ersten Weltkrieges zu initiieren. Gemeinsam mit Ernst Toller und Gustav Landauer gehörte er 1919 zu den führenden Köpfen der Münchner Räterepublik. Nach deren Sturz wurde er zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt, 1924 jedoch begnadigt und aus Bayern ausgewiesen. Im Berlin der Weimarer Republik kämpfte er für die Freilassung politischer Gefangener und warnte vor dem heraufziehenden Faschismus.

Unpolitische Erinnerungen Erich Mühsam schrieb seine "Unpolitischen Erinnerungen" zwischen 1927 und 1929 als Auftragsarbeiten für Berliner Vossische Zeitung. Darin erzählt er von Kneipen, Kaffeehäusern und Kabaretts, stellt die Künstler der Bohème vor und beschreibt die geheimen Gesellschaften, Freundeskreise, Stammtische und Wohngemeinschaften.

Von den Nazis ermordet

Nach dem Reichstagsbrand wurde er von den Nationalsozialisten inhaftiert, schwer misshandelt und am 10. Juli 1934 im KZ Oranienburg ermordet. Mühsam wurde in Dahlem beigesetzt. Seine Witwe Zenzl emigrierte und ging 1936 in die Sowjetunion, wo sie den Nachlass ihres Mannes an das Maxim-Gorki-Institut Moskau übereignete. Sie selbst kam in den Gulag und wurde erst nach Stalins Tod in die DDR entlassen, wo sie 1962 starb.

Mehr zum Thema: Gespräch über den Röhm-Putsch

Buchcover - Peter Longerich: "Abrechnung, Hitler, Röhm und die Morde vom 30. Juni 1934" 30 min
Bildrechte: Molden Verlag Wien

Ausführliche Angaben zur Sendung

MDR KULTUR Klassikerlesung
01.07. - 24.07. 2024
Erich Mühsam: Tagebücher und andere Prosa (18 Folgen)

Sendung im Radio: 01.07. - 24.07. 2024 | Montag bis Freitag 15:10 Uhr

Ascona
(2 Folgen)
Produktion: BR 1983
Gelesen von Georg Kostya
Sendung im Radio: 1.-2. Juni 2024
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Die Hamster
(1 Folge)
Produktion: HR 1984
Gelesen von Hans Dieter Schwarze
Sendung im Radio: 3. Juni 2024
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Das Lebensprogramm
(1 Folge)
Produktion: HR 1980
Gelesen von Heiner Schmidt
Sendung im Radio: 4. Juni 2024
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Aus Tagebüchern
(1 Folge)
Produktion: Rundfunk der DDR 1988
Gelesen von Gerd Grasse
Sendung im Radio: 5. Juni 2024
Diese Lesung steht bis zum 8. Oktober 2024 online.

Tagebücher 1910-1924
(4 Folgen)
Produktion: WDR 1995
Gelesen von Matthias Haase
Sendung im Radio: 8.-11. Juni 2024
Diese Lesung steht bis zum 8. Oktober 2024 online. Die 4 Folgen, die im Radio ausgestrahlt werden, sind zusammengefasst in 2 Folgen.

Unpolitische Erinnerungen
(4 Folgen)
Produktion: NDR 1979
Gelesen von Werner Rundshagen
Sendung im Radio: 12.7.-17.7. 2024
Diese Lesung steht bis zum 8. Oktober 2024 online. Die 4 Folgen, die im Radio ausgestrahlt werden, sind zusammengefasst in 2 Folgen.

Unpolitische Erinnerungen
(2 Folgen)
Produktion: SFB 1984
Gelesen von Jürgen Thormann
Sendung im Radio: 18.7.-19.7. 2024
Diese Lesung steht bis zum 8. Oktober 2024 online. Die 2 Folgen, die im Radio ausgestrahlt werden, sind zusammengefasst zu 1 Folge.

Bei Meiers
(1 Folge)
Produktion: HR 1993
Gelesen von Helge Heynold
Sendung im Radio: 22.7. 2024
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Die Bohème
(1 Folge)
Produktion: HR 1993
Gelesen von Helge Heynold
Sendung im Radio: 23.7. 2024
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Vom Wirken des Künstlers. Ein Gespräch bei Königsberger Klopsen
(1 Folge)
Produktion: HR 1993
Gelesen von Helge Heynold
Sendung im Radio: 24.7. 2024
Gekürzte Fassung
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Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR Lesezeit | 01. Juli 2024 | 15:10 Uhr