Mo 14.11. 2022 09:00Uhr 35:00 min

Marcel Proust
Marcel Proust Bildrechte: IMAGO / Leemage
MDR KULTUR - Das Radio Mo, 14.11.2022 09:00 09:35
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MDR KULTUR - Lesezeit | Zum 100. Todestag von Marcel Proust (* 10. Juli 1871 in Paris; † 18. November 1922 ebenda) Der Tod des Baldassar Sylvandre, Freiherrn von Sylvanie (Folge 1 von 2)

Der Tod des Baldassar Sylvandre, Freiherrn von Sylvanie (Folge 1 von 2)

aus: Tage der Freuden

Von Marcel Proust

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Während zu Marcel Prousts Lebzeiten sein Debut "Tage der Freuden" aus dem Jahre 1896 (auf deutsch erstmals 1926 erschienen) kaum Beachtung fand, gilt diese Sammlung von Erzählungen heute als Vorspiel zu Prousts bekanntestem siebenbändigem Werk "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Die bedeutendsten Elemente des menschlichen Lebens kommen bereits hier zur Sprache: Charakterentwicklung, Liebe, Einsamkeit, Krankheit, Tod und Selbstentfremdung.

"Marcel Proust gefällt sich gleichermaßen darin, die verzweifelte Pracht der sinkenden Sonne und die von Eitelkeiten erregte Seele des Snobs zu beschreiben. Er glänzt im Erzählen von eleganten Schmerzen, von künstlichen Leiden, an Grausamkeit denen mindestens ebenbürtig, die uns die Natur mit mütterlicher Freigiebigkeit gewährt. Ich gestehe, daß mir solche erklügelte Leiden, solche von menschlichem Geist erfundene Schmerzen, solche Kunst-Schmerzen unendlich interessant..." (Anatole France in seinem Vorwort zur Erstausgabe).

"Die Aussicht, ein Pferd zu bekommen, und der Gedanke, daß er dreizehn Jahre alt war, machten Alexis' Augen durch die Tränen aufleuchten. Aber er war noch nicht getröstet, denn er mußte seinen Onkel Baldassar Sylvandre, Freiherrn von Sylvanie, besuchen. Er hatte ihn allerdings schon öfter gesehen seit dem Tage, an dem er gehört hatte, die Krankheit seines Onkels sei unheilbar. Aber wie hatte sich alles seitdem geändert! Baldassar hatte sich über seine Krankheit völlige Klarheit verschafft und wußte, daß er höchstens noch drei Jahre zu leben hatte. Alexis konnte natürlich nicht begreifen, daß diese kummervolle Gewißheit seinen Onkel nicht getötet oder in den Wahnsinn getrieben hatte. Er fühlte sich nicht stark genug, den Schmerz zu ertragen, wenn er ihn sah. Er war durchaus überzeugt, daß er dann mit ihm von seinem nahen Ende sprechen müsse. Wie sollte er sich die Stärke zutrauen, den Onkel zu trösten oder wenigstens das Schluchzen in seiner Kehle zu unterdrücken? Er hatte seinen Onkel immer verehrt, fast angebetet. Für ihn war er der größte, der schönste, der jüngste, der feurigste und gütigste von allen Verwandten..." (Marcel Proust; Ü: Ernst Weiss)

Marcel Proust (10.7.1871 Paris - 8.11.1922) kommt als ältester Sohn eines wohlhabenden Arzt-Ehepaares zur Welt, was ihm zeitlebens eine finanziell unbeschwerte Existenz ermöglichen wird. Bis Mitte dreißig führt er das mondäne Leben eines Dandys, danach widmet er sich ab 1908 ausschließlich seinem Romanwerk, an dem er bei Nacht am Boulevard Haussmann arbeitet. (7 Teile, erschienen 1913-27; deutsch "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit"). Im März 1922 beendete er das Werk und betrachtete dies als Erfüllung seines Lebens. Marcel Proust starb im November 1922 in Paris.
Mitwirkende
Produktion: NDR 1964
Darsteller
Mitwirkende:
Hugo R. Bartels

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