Klassikerlesung | 01. - 17.08.2022 Karl von Holtei: Ein Mord in Riga
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Der Schriftsteller, Schauspieler und Theaterleiter Karl von Holtei (1798-1880) gehörte zu den populärsten Figuren der deutschsprachigen Literatur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Seine Volksstücke und seine achtbändige Autobiographie "Vierzig Jahre“ waren sehr beliebt. Holteis 1854 entstandene Erzählung "Ein Mord in Riga" gilt als eine der ersten deutschsprachigen Kriminalgeschichten. Es liest Manfred Schradi.

Karl von Holtei, 1798 als Sohn eines Husaren-Offiziers in Breslau geboren, entstammte einer kurländischen Adelsfamilie. 1815 nahm er als Freiwilliger am Feldzug gegen Napoleon teil. Anschließend begann er ein Jura-Studium in Breslau, wandte sich aber bald dem Theater zu, das ihn seit seiner frühen Jugend faszinierte. 1819 wurde sein erstes Bühnenstück "Die Farben" am Breslauer Theater uraufgeführt.
In den folgenden Jahren führte Holtei ein ruheloses Wanderleben. Als Schauspieler, Regisseur und Theaterleiter war er an vielen deutschsprachigen Bühnen tätig, er lebte einige Jahre in Breslau, Berlin, Darmstadt und Riga. Engagements und Gastspielreisen führten ihn unter anderem nach Paris, Wien, Hamburg, Dresden und Weimar. 1850 ließ er sich in Graz nieder und begann Romane zu schreiben.
Der umtriebige Künstler pflegte regen Kontakt zu berühmten Zeitgenossen wie Johann Wolfgang von Goethe, Johanna Schopenhauer, Joseph von Eichendorff und Gustav Freytag. Der mit Holtei befreundete Germanist Karl Weinhold sagte über ihn: "Holtei ist ein vielseitig entwickeltes Wesen; er ist Dichter, Redacteur, Schauspieler, Liedersänger, künstlerischer Vorleser, Meister im plaudernden Gespräch und im Briefwechsel gewesen; Er war ein wilder fahrender Geselle und ein fleißiger Bücherschreiber."
Karl von Holtei verfasste etwa 120 Werke, darunter zahlreiche Bühnenstücke, Lieder, Erzählungen, Romane und autobiografische Schriften. Als künstlerische Leistung von bleibendem Wert werden seine "Schlesischen Gedichte" angesehen. Karl von Holtei starb 1880 in Breslau.
Ein Mord in Riga
"Ein Mord in Riga" gilt als eine der ersten deutschsprachigen Kriminalgeschichten. Den Schauplatz der Handlung kannte Karl von Holtei aus eigenem Erleben: Von 1837 bis 1839 leitete er das deutschsprachige Theater in Riga. Anschaulich beschreibt er das heitere und kultivierte Leben der Rigaer Bürger und Kaufleute, aber auch das harte Los der unteren Stände. Seine Erzählung gibt Einblicke in die gesellschaftlichen Strukturen der von Deutsch-Balten, Letten und Russen bewohnten Stadt, die damals zum russischen Zarenreich gehörte.
Zitat aus "Ein Mord in Riga" "Ich begreife vollkommen die Anhänglichkeit des rigischen Kaufherrn für seine Stadt. [… ] Ihre bürgerlichen, kaufmännischen, gewerblichen Institutionen haben noch so viel Reichsstädtisch-Selbständiges aus den blühenden Zeiten der Hanse an sich; ihr gerichtliches Verfahren neigt in allen Ziviljustizsachen noch so ganz zum alten einfachen Wesen hin; ihre Gilden und Zünfte bewahren manche schöne Vorrechte, und nur in der politischen Verwaltung macht sich der eiserne Arm aus Petersburg fühlbar, was freilich mitunter schwer trifft, wie uns alle, was aber wieder durch immense Vorteile aufgewogen wird."
Die Geschichte beginnt mit der Rückkehr des Herrn Oberältesten Singwald und seiner Frau nach Riga. Von ihrer fast viermonatigen Auslandsreise haben sie Simeon, einen neuen Hausangestellten, mitgebracht. Der Hausherr ist zufrieden mit dem jungen Burschen, aber Frau Singwald hat Vorbehalte. Auch die Dienerschaft ist gespalten: Lieschen, die Köchin, ist Simeon zugeneigt, der Kutscher Isaak betrachtet ihn mit Argwohn, und Dorchen, die Kammerzofe, ist ihm gar feindselig gesinnt.
Bald nach seiner Ankunft in Riga lässt sich Simeon von einem Gelegenheitsmacher zum Handel mit Schmuggelware verleiten. Von diesem verraten, droht ihm eine hohe Geldbuße. Auf Bitte seiner Gemahlin übernimmt Herr Singwald für Simeon die Kaution. Dem Oberältesten kommen Zweifel, doch sein Diener verhält sich fortan tadellos.
Wenig später erschüttert ein grausames Verbrechen die livländische Hauptstadt: Der reiche Teehändler Muschkin wird ermordet aufgefunden. Der Polizei-Pristaff Schloß hat den Schuldigen schnell ausgemacht: Muschkins Diener Iwan. Denn der ist plötzlich verschwunden und mit ihm die eiserne Geldkiste des Ermordeten. Ein Beil, das Iwan gehörte, liegt blutbeschmiert neben der Leiche. Der Pristaff nimmt die Verfolgung auf und kann den Entflohenen unweit der Stadt festnehmen, doch Iwan beharrt auf seiner Unschuld. Nach Tagen im Gefängnis, durch Prügel und Durst mürbe gemacht, bekennt er sich zu der Tat. Da taucht ein zweiter Verdächtiger auf und führt Pristaff Schloß auf eine neue Spur.
Zitat aus "Ein Mord in Riga" "Schloß hatte in diesem Augenblicke eine jener unerklärlichen Ahnungen, wie sie den in solchen Gebieten heimischen Beamten bisweilen mit einer Art von Divination erfüllen. Ein unbegreifliches Gefühl sagte ihm, dass er im Begriffe stehe, auf eine wichtige Entdeckung geleitet zu werden. Heftig sprang er empor und führte das bebende Mädchen in sein Arbeitszimmer. Dort forderte er sie auf, sich zu fassen und ihm ruhig zu sagen, was sie anbringen wolle. Sie bat tausendmal um Verzeihung, dass es gar nichts Bestimmtes sei, was sie melden könne, dass ihre Anklage jedes Beweises entbehre; dass sie gleichwohl reden müsse, weil ein dunkler Argwohn ihr die Brust zersprenge. "Ich glaube", stammelte sie, "unser Simeon, des Herrn Diener, ist ein schlechter Mensch und hält es mit bösen Leuten."
Der Sprecher Manfred Schradi
Manfred Schradi, geboren 1921, war Schauspieler, Philosoph und Germanist. Nach Engagements u. a. am Tübinger Stadttheater wechselte er 1962 zum Hörfunk und war als Sprecher, Regisseur und Autor bei verschiedenen Rundfunkanstalten tätig. Schradi war ein Könner seines Fachs. Als "Stimme der Kultur" las er große literarische Klassiker wie Dantes "Göttliche Komödie" und Homers "Odyssee". Manfred Schradi starb 1996.
Angaben zur Sendung
MDR KULTUR Klassikerlesung
Karl von Holtei: Ein Mord in Riga (13 Folgen)
Gekürzte Lesefassung
Es liest: Manfred Schradi | Produktion: SR 1981
Sendung 01. - 17.08.2022 | Montag bis Freitag | jeweils 15:10 Uhr
Alle Folgen dieser Lesung stehen hier 30 Tage zum Hören bereit. Ein Audio enthält jeweils zwei Folgen der Radiosendung.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR Klassikerlesung | 25. Juli 2022 | 15:10 Uhr