Klassikerlesung | 01.09. - 08.09. 2023 Ludvig Holberg: Nicolai Klims unterirdische Reise
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Ein Mann fällt ins Erdinnere und trifft dort auf eine Gesellschaft mit vernunftbegabten, sprechenden Bäumen. Doch als Mensch macht Nicolai Klim keine besonders gute Figur. So will er zum Beispiel die Gleichberechtigung der weiblichen Bäume abschaffen und landet dafür fast am Strick. Ludvig Holbergs fantastisch-satirischer Roman von 1741 inspirierte unter anderem Jonathan Swift, Edgar Allan Poe oder Arno Schmidt.

"Nicolai Klims unterirdische Reise", der fantastisch-satirische Roman von Ludvig Holberg erschien erstmal 1741 und ist mit Sicherheit ein sehr wundersames Buch. Der ziemlich eingebildete Nicolai Klim kehrt 1664 mit seinem Universitätsabschluss in seine Heimatstadt Bergen zurück. Er ist mittellos und will sich mit einer aufregenden geologischen Exkursion einen Namen machen. Dabei stürzt er in eine Spalte des Berges Fløyen: Er fällt und fällt und fällt durch das hohle Erdinnere und landet irgendwann auf dem fremden Planeten Nazar. Er wird 12 Jahre unterwegs sein, viele Abenteuer erleben und auch viel Unsinn verzapfen.
Holberg war ein Verfechter der Aufklärung und wollte mit seinem Buch die Menschen zum Nachdenken bringen. Aus diesem Grund fiel seine teils satirische Sicht auf den Menschen so scharf aus, dass er eine strenge Zensur unter König Christian VI. befürchten musste. Deshalb erschien "Nicolai Klims unterirdische Reise" zuerst in Deutschland.
Eine Geschichte über unvernünftige und eitle Menschen
Klim landet zuerst bei vernunftbegabten Baumwesen – mehr als 200 Jahre, bevor J. R. R. Tolkien in "Der Herr der Ringe" von sprechenden Bäumen im Fangorn-Wald auf Mittelerde schrieb. Die Bäume von Potu bescheinigen Nicolai Klim, dass er nach ihrer Meinung nicht zu den "vernünftigen Kreaturen" gehöre. Weil er deshalb nur eine niedrige Stellung am Fürstenhof erhält, schlägt er später vor, die Gleichberechtigung der Frauen, also der weiblichen Bäume abzuschaffen – und entgeht deshalb nur knapp einer Hinrichtung. Später reist Klim in andere Provinzen. Einmal wird er von einem Philosophen angepinkelt, der ihn für eine Säule hält. In einem anderem Land spielt er sich zum Diktator auf und richtet ein Blutbad an. Am Ende ist er wieder auf der Erde, von der er stammt. Hier führt er zwar ein glückliches Familienleben, weint aber trotzdem – unreflektiert und unbelehrbar – seiner Zeit als Kaiser hinterher.
Da es öfter in einem Lande an vortrefflichen Leuten fehlt, so sei es eine Torheit durch ein einziges Gesetz die eine Hälfte des Volks bloß der Geburt und des Geschlechtes wegen zu allen Ehrenämtern für unfähig zu erklären.
Inspiration für Edgar Allan Poe, Arno Schmidt und "Gullivers Reisen"
Mit seinem Werk inspirierte Ludvig Holberg viele Künstler. Er war prägend für die fantastische Literatur, zum Beispiel für Jules Verne und seine "Reise zum Mittelpunkt der Erde". Giacomo Casanova erwähnte die unterirdische Reise des "Niels Klim" (dänische Übersetzung des Namens Nicolai Klim) in seiner Unterweltsutopie "Icosaméron" und Edgar Allan Poe in "Fall des Hauses Usher". Mary Shelley las das Werk, als sie Frankenstein schrieb, und Arno Schmidt verwendete die Illustration eines Potuaners für den Umschlag der dritten Auflage von "Zettel’s Traum", worin Holbergs Roman mehrfach erwähnt wird. Der norwegische Komponist Edvard Grieg komponierte zu Holbergs 200. Geburtstag die Suite "Aus Holbergs Zeit" (op. 40).
Ludvig Holberg im Konflikt mit der Zensur
Ludvig Holberg war ein echtes Multitalent: Als Geograf, Geschichts- und Religionswissenschaftler und Philosoph schrieb er Essays und wissenschaftliche Abhandlungen. Er schrieb Romane, dichtete, war Dramaturg und verfasste Theaterstücke. In Kopenhagen hatte er zudem eine Professur für Metaphysik, später für Rhetorik und Geschichte inne.
Aufgrund seiner satirischen Ader kam er immer wieder mit der Zensur seiner Zeit in Konflikt. Sein satirischer Roman "Nicolai Klimii iter subterraneum" erschien 1741 auf Lateinisch in Deutschland und 1742 auf Dänisch: "Niels Klims reise til den underjordiske verden". Mit diesem Buch wurde Holberg in ganz Europa bekannt.
Eine Zeit lang stritten sich Dänemark und Norwegen um den Gelehrten: Zwar war der 1684 geborene Holberg Norweger, lebte und wirkte aber die meiste Zeit seines Lebens in Dänemark. Seit 2004 vergibt die norwegische Universität Bergen den Holberg-Preis für herausragende wissenschaftliche Arbeiten im Bereich der Geistes-, Sozial- und Rechtswissenschaften. Und in Dänemark gibt es den Niels-Klim-Preis für Werke aus dem Bereich der Science-Fiction.
Der Sprecher Achim Gertz
Achim Gertz ist Rezitator, langjähriger Rundfunksprecher des NDR und Synchronsprecher von Schauspielern wie Gary Cooper. Er las zahlreiche Reisereportagen und Hörbücher ein, von bekannten Autoren wie Thomas Mann und Theodor Fontane.
Angaben zur Sendung
MDR KULTUR Klassikerlesung
01.09. - 08.09. 2023
Ludvig Holberg: Nicolai Klims unterirdische Reise (6 Folgen)
Es liest: Achim Gertz
Produktion: NDR 1971
Bei der Lesung handelt es sich um eine gekürzte Fassung.
Sendung im Radio: 01.09. - 08.09. 2023 | Montag bis Freitag 15:10 Uhr
Die Lesung steht hier ab 1. September 2023 bis 29. November 2023 zum Hören bereit.
Die 6 im Radio gesendeten Folgen sind online in 4 längere Teile zusammengefasst.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR Lesezeit | 01. September 2023 | 15:10 Uhr