Johann Ludwig Tieck
Ludwig Tieck war Mitbegründer der deutschen Romantik. Bildrechte: IMAGO / agefotostock

Klassikerlesung | 01.05.–02.06.2023 Ludwig Tieck: "Des Lebens Überfluss" und andere Erzählungen

28. April 2023, 04:00 Uhr

Am 31. Mai jährt sich der Geburtstag von Ludwig Tieck zum 250. Mal. Der Schriftsteller, Dichter, Übersetzer und Herausgeber war einer der Mitbegründer der deutschen Romantik. In Berlin geboren und gestorben, verbrachte er seine produktivsten Jahre von 1819 bis 1842 in Dresden. MDR KULTUR sendet sein – nach eigenen Angaben – "gelungenstes Werkchen": die Novelle "Des Lebens Überfluss" sowie weitere Texte.

Die adlige Clara und der Diplomat Heinrich haben gegen den Willen von Claras Vater geheiratet und leben nun von Luft und Liebe – aber mit viel Liebe, geradezu wie die Turteltauben. Das Geld ist ausgegangen und der Winter bitterkalt: "Die Armut ist mit unserer Liebe eins geworden". Um zu überleben, verheizen Clara und Heinrich erst das Geländer der zur Wohnung führenden Holztreppe und schließlich die komplette Treppe. Irgendwann sind sie völlig abgeschnitten von der Außenwelt, allein mit ihrer großen Liebe. Doch dann kommt der Wirt des Hauses früher von der Kur zurück und holt die Polizei. Heinrich soll wegen unerlaubten "Treppenverbrauches" inhaftiert werden, doch das Paar weigert sich, das Zimmer zu verlassen. Als die Situation zu eskalieren droht, bringt eine überraschende Wendung die Erlösung für die jungen Eheleute: ein Happy End auf ganzer Linie.

Wir leben eigentlich ein Märchen, leben so wunderlich, wie es nur in der Tausendundeinen Nacht geschildert werden kann. Aber wie soll das in der Zukunft werden; denn diese sogenannte Zukunft rückt doch irgendeinmal in unsre Gegenwart hinein.

Clara in "Des Lebens Überfluss" von Ludwig Tieck

Tieck schrieb die Novelle während seiner überaus produktiven Jahre als Hofrat und Dramaturg des Theaters in Dresden. Die Entstehung der humorvollen Novelle war auch von einem Schicksalsschlag gesäumt: 1837 starb Tiecks Frau Amalie. Allerdings verband Tieck zu diesem Zeitpunkt bereits seit ca. 20 Jahren eine Liebe zu Henriette Finck von Finckenstein, seine Freundin und Förderin war 1819 mit ihm und seiner Familie nach Dresden gezogen.

Der Schriftsteller selbst nannte die Novelle "eins meiner gelungensten Werkchen", und Hermann Hesse nahm sie in seine "Bibliothek der Weltliteratur" auf. "Des Lebens Überfluss" vollzieht einen Schritt von der Romantik hin zum Realismus und übt augenzwinkernde Kritik an den Verhältnissen.

Pflichtlos sein ist eigentlich der Zustand, zu welchem die sogenannten Gebildeten in allen Richtungen stürzen wollen; sie nennen es Unabhängigkeit, Selbständigkeit, Freiheit.

Heinrich in "Des Lebens Überfluss" von Ludwig Tieck

Das Leben von Ludwig Tieck

Geboren wurde Ludwig Tieck am 31. Mai 1773 in Berlin. Er wächst in einem gebildeten Haushalt auf und erhält früh Zugang zu den Werken großer Schriftsteller, außerdem interessiert er sich für Theater. Am Gymnasium schließt er Freundschaft mit Wilhelm Heinrich Wackenroder. Ab 1792 studiert Tieck Theologie, Geschichte und Philologie an den Universitäten in Halle, Göttingen und Erlangen. 1794 bricht Tieck sein Studium ab. Er kehrt nach Berlin zurück und beginnt das Lebens eines freien Schriftstellers. Es entstehen erste Erzählungen, dabei publiziert er auch unter den Pseudonymen Peter Lebrecht und Gottlieb Färber.

Vertreter der Romantik

Mit seinem Künstlerroman "Franz Sternbalds Wanderungen" von 1798 weist er den Weg für romantische Romane und beeinflusst damit Novalis und Joseph von Eichendorff. In den literarischen Salons von Berlin lernt er August Wilhelm und Friedrich Schlegel kennen. Die Brüder Schlegel trifft er auch bei den Frühromantikern in Jena, ebenso auf Caroline und Dorothea Schlegel, Novalis und Schelling. Außerdem macht er Bekanntschaft mit Jean Paul, Goethe und Fichte.

Jahre in Dresden

Mittlerweile verheiratet, bearbeitet Tieck alte Volkssagen und Märchen, z. B. "Der gestiefelte Kater" - und bringt seine "Romantischen Dichtungen" auf den Weg. 1800 erleidet Tieck einen Gichtanfall. Um seine Gesundheit ist es bis zu seinem Tod im Jahr 1853 auch aufgrund von Depressionen immer wieder schlecht bestellt. Tieck unternimmt Reisen durch Europa.

1819 zieht Tieck mit Frau und Tochter sowie seiner Freundin, Muse und Mäzenin Henriette Finck von Finckenstein nach Dresden. Die Jahre hier bis 1842 sind sehr produktiv: Er schreibt, übersetzt und ist Hofrat und Dramaturg des Hoftheaters. Es entstehen an die 30 Novellen. Außerdem gibt Tieck die hinterlassenen Schriften Heinrich von Kleist heraus sowie "Die Insel Felsenburg" von Johann Gottfried Schnabel, "Gesammelte Schriften" von J. M. R. Lenz und "Shakespeare's Vorschule".

Letzte Jahre

Tiecks Tochter Dorothea stirbt, sie war ihm lange Zeit eine enge Mitarbeiterin bei seinen Übersetzungen. Friedrich Wilhelms IV. beruft ihn 1842 nach Berlin. Finanziell abgesichert, aber einsam und krank verbringt er seine letzten Jahre und stirbt am 28. April 1853.

Die Erzählung "Zwei Freunde"

Ludwig Wandel geht einen kranken Freund in einem anderen Dorf besuchen. Bei aller Frühlingsstimmung von Natur und Menschen kann er nur an dessen Abschiedsbrief denken. Denn der Freund schreibt, dass er sich in tödlicher Krankheit von den Gesunden verlassen fühlt. Wald und Vogelgesang bringen den Wanderer zu tiefsinnigen Betrachtungen und Märchenbildern aus der Kindheit. Bei Sonnenuntergang fällt ihm eine Frauengestalt ein, die ihn mit sich zieht. Er findet sich in unbekannter Landschaft, und Feen bewirten ihn in einem Palast …

"Die Vogelscheuche oder Der lederne Adonis aus dem Erbsenfeld"

Der Philologe, Archäologe, Pädagoge und Schriftsteller Karl August Böttiger lebte zur Goethezeit in Weimar. Hatte er zuvor Goethe oft beraten, brach zwischen den Männern bald ein Konflikt aus. Es ging dabei u. a. um "Hermann und Dorothea" und eine Theateraufführung am Weimarer Hoftheater. Goethe verhinderte wohl den Abdruck einer von Böttiger verfassten ironischen Rezension.

1804 verließ Böttiger Weimar und ging nach Dresden, wo er einflussreiche Freunde hatte und wichtige Posten bekleidete. Böttiger verfasste außerdem die Theaterkritiken in der Dresdner Abend-Zeitung, bis Ludwig Tieck das übernahm, der viele Jahre Dramaturg am Dresdner Theater tätig war. Beide Männer waren sich nicht wohlgesonnen: Böttiger gehörte zum Dresdner Liederkreis und vertrat das Dresdner Biedermeier. In der Komödie "Der gestiefelte Kater" und in der Novelle "Die Vogelscheuche" karikiert Tieck Böttigers Persönlichkeit und Wirken.

Bei "Die Vogelscheuche oder Der lederne Adonis aus dem Erbsenfeld" handelt es sich um eine Funkbearbeitung des Rundfunks der DDR von "Die Vogelscheuche".

Die Novelle "Der Hexensabbat"

Für seine historische Novelle hat Ludwig Tieck auf ein Ereignis aus dem Jahr 1459 zurückgegriffen: In der nordfranzösische Stadt Arras brach zu der Zeit der Hexenwahn aus. Im Mittelpunkt stehen zwei Frauengestalten: die junge Witwe Catharina Denisel, die nach einer kirchlichen Denunziation in einen Hexenwahn hineingezogen wird, und die als Heilige verehrte Bettlerin Gertrud, die schließlich dem Wahnsinn verfällt und sich selbst der Hexerei bezichtigt. Tiecks 1832 veröffentlichte Novelle gilt als frühes Beispiel für das Genre des Historienromans in der deutschen Literatur.

Angaben zu den Sendungen

MDR KULTUR Klassikerlesung
Sendung: Montag bis Freitag | jeweils 15:10 Uhr

01.05.-10.05.2023
Ludwig Tieck: Des Lebens Überfluss (8 Folgen)
Es liest Achim Gertz | NDR 1961
Die komplette Lesung steht hier vom 28. April bis zum 26. Juli 2023 zum Hören bereit. Die 8 Radiosendungen wurden zu 4 längeren Folgen zusammengefasst.

11.05.-12.03.2023
Ludwig Tieck: Zwei Freunde (2 Folgen)
Es liest: Joachim Kerzel | SFB 1987
Diese Sendung können wir aus urheberrechtlichen Gründen leider nicht zum Hören im Internet anbieten.

15.05.-19.05.2023
Ludwig Tieck: Die Vogelscheuche oder Der lederne Adonis aus dem Erbsenfeld (4 Folgen)
Es sprechen: Ezard Haußmann, Friedrich Richter, Heinz Scholz, Erich-Alexander Winds, Kurt Steingraf, Margit Donnerhack | Rundfunk der DDR 1966
Die komplette Funkerzählung steht hier vom 12. Mai bis zum 10. August 2023 zum Hören bereit. Die 4 Radiosendungen wurde zu einem längere Stück zusammengefasst.

22.05.-02.06.2023
Ludwig Tieck: Der Hexensabbat
(9 Folgen)
Es liest: Heiner Heusinger | Pablos Media 2005
Die komplette Lesung steht hier vom 22. Mai bis zum 20. August 2023 zum Hören bereit.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR Klassikerlesung | 01. Mai 2023 | 15:10 Uhr

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