Klassikerlesung | 27.02. - 24.03.2023 Jakob Wassermann: Der Aufruhr um den Junker Ernst

Jakob Wassermann (1873-1934) war einer der meistgelesenen Autoren in der Weimarer Republik. Internationale Bekanntheit erlangte er mit den Romanen "Caspar Hauser" und "Der Fall Maurizius". Aus Anlass seines 150. Geburtstags senden wir seine historische Erzählung "Der Aufruhr um den Junker Ernst". Sie spielt in Franken während des Dreißigjährigen Krieges und handelt von einem begnadeten Geschichtenerzähler, der in die Fänge der Inquisition gerät. Es liest Ursula Langrock.

Das undatierte Archivbild zeigt den deutschen Schriftsteller Jakob Wassermann
Der deutsch-jüdische Schriftsteller Jakob Wassermann Bildrechte: dpa

Thomas Mann pries Jakob Wassermanns "Gabe des Fabulierens, durch die er uns alle schlägt". Der deutsch-jüdische Schriftsteller hatte zu Lebzeiten viele Bewunderer, Lion Feuchtwanger, Georg Trakl und Henry Miller lobten seine Werke. Zu seinem Freundeskreis gehörten Hugo von Hofmannsthal, Arthur Schnitzler und Alfred Döblin. Die zeitgenössischen Leser rissen sich regerecht um seine Bücher, wenn ein "neuer Wassermann" erschien. Seine Romane wie "Der Fall Maurizius", "Caspar Hauser" oder "Die Juden von Zirndorf" waren Bestseller und wurden in viele Sprachen übersetzt. Lesereisen führten ihn in die Schweiz, nach Schweden, Dänemark, in die Niederlande und die USA.

Der 1873 in Fürth geborene Sohn eines jüdischen Unternehmers war in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen und hatte sich mit enormem Fleiß zum Erfolgsschriftsteller hochgearbeitet. Seit Ende der 20er-Jahre litt Wassermann zunehmend unter finanziellen Sorgen, unter anderem bedingt durch Geldforderungen seiner ersten Ehefrau. Hinzu kamen gesundheitliche Probleme sowie die gesellschaftliche Ausgrenzung durch die Nationalsozialisten. Bereits im Mai 1933 standen sämtliche Werke Wassermanns auf der "Schwarzen Liste". Einem Ausschluss aus der Preußischen Akademie der Künste kam er durch den eigenen Austritt zuvor. Sein Verlag S. Fischer rückte von ihm ab. Der systematischen Verfolgung durch das NS-Regime entging er durch seinen frühen Tod: Jakob Wassermann starb am Neujahrstag 1934 im Alter von sechzig Jahren in seinem Haus in Altaussee. Der einst berühmte Autor war bald vergessen und seine Werke fanden nach 1945 wenig Beachtung.

In den letzten Jahren wurden einige Bücher Wassermanns wieder aufgelegt, darunter seine berühmte Autobiografie "Mein Weg als Deutscher und Jude" von 1921. In dem ergreifenden Zeitdokument schildert Wassermann den alltäglichen Antisemitismus in Deutschland und kommt zu dem bitteren Fazit: "Es ist vergeblich, das Volk der Dichter und Denker im Namen seiner Dichter und Denker zu beschwören. Jedes Vorurteil, das man abgetan glaubt, bringt, wie Aas die Würmer, tausend neue zutage. […] Es ist vergeblich, für sie zu leben und zu sterben. Sie sagen: er ist ein Jude."

Alle Folgen dieser Klassikerlesung hören

Würzburg um 1835, historische Stadtansicht, Stahlstich aus dem 19. Jh., Bayern, Deutschland 24 min
Bildrechte: IMAGO / imagebroker
Würzburg um 1835, historische Stadtansicht, Stahlstich aus dem 19. Jh., Bayern, Deutschland 23 min
Bildrechte: IMAGO / imagebroker
Würzburg um 1835, historische Stadtansicht, Stahlstich aus dem 19. Jh., Bayern, Deutschland 23 min
Bildrechte: IMAGO / imagebroker
Würzburg um 1835, historische Stadtansicht, Stahlstich aus dem 19. Jh., Bayern, Deutschland 23 min
Bildrechte: IMAGO / imagebroker
Würzburg um 1835, historische Stadtansicht, Stahlstich aus dem 19. Jh., Bayern, Deutschland 23 min
Bildrechte: IMAGO / imagebroker
Würzburg um 1835, historische Stadtansicht, Stahlstich aus dem 19. Jh., Bayern, Deutschland 23 min
Bildrechte: IMAGO / imagebroker
Würzburg um 1835, historische Stadtansicht, Stahlstich aus dem 19. Jh., Bayern, Deutschland 23 min
Bildrechte: IMAGO / imagebroker
Würzburg um 1835, historische Stadtansicht, Stahlstich aus dem 19. Jh., Bayern, Deutschland 24 min
Bildrechte: IMAGO / imagebroker
Würzburg um 1835, historische Stadtansicht, Stahlstich aus dem 19. Jh., Bayern, Deutschland 23 min
Bildrechte: IMAGO / imagebroker
Würzburg um 1835, historische Stadtansicht, Stahlstich aus dem 19. Jh., Bayern, Deutschland 22 min
Bildrechte: IMAGO / imagebroker

Der Aufruhr um den Junker Ernst

Die Suche nach Gerechtigkeit ist ein zentrales Thema im Schaffen Jakob Wassermanns. Der Schriftsteller empfand es als seine moralische Pflicht, durch seine Literatur an der Entwicklung einer humaneren Gesellschaft mitzuwirken. Neben kritischen Zeitromanen widmete er sich häufig historischen Stoffen, die sich bei der damaligen Leserschaft großer Beliebtheit erfreuten.

Die Hexenprozesse in Würzburg bilden den historischen Hintergrund der 1926 erschienenen Erzählung "Der Aufruhr um den Junker Ernst". Schauplatz ist Franken zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Auf dem fiktiven Schloss Ehrenberg wächst Junker Ernst, Neffe des Bischofs Phillipp Adolph von Würzburg, unter widrigen Umständen auf. Überfordert nach dem Tod ihres ungeliebten Mannes, hat seine Mutter Freifrau Theodata den Jungen im Alter von sechs Jahren seiner tauben Kinderfrau Lenette überlassen. Um die Erziehung des Junkers kümmert sich Magister Molitor. Der scheue, stille Knabe findet Zuflucht in seiner Gedankenwelt und erfindet wunderliche Geschichten.

Nach einiger Zeit drängt es den Junker aus dem Schloss hinaus. Er streift in der Gegend umher und lernt die bittere Not der Menschen kennen, sieht Unrecht und Gewalt. Er beschließt, ihnen von einer anderen Welt zu erzählen, die nicht so schlecht, hässlich und traurig ist wie die ihre. Mit seiner besonderen Gabe des Erzählens zieht er Jung und Alt in seinen Bann.

Zitat aus "Der Aufruhr um den Junker Ernst" "Bald hatte er seine Lauscherschaft in allen umliegenden Flecken. […] Wenn er von weitem in Sicht kam, liefen ihm seine Kunden schon entgegen; viele hatte er vielleicht erst mit dem Gefühl ungeduldiger Erwartung bekannt gemacht; sie lachten ihm zu, umringten ihn, brachten ihm Birnen, Trauben, Pfefferkuchen, Honigzucker; er setzte sich auf eine Gartenmauer, unter einen Baum, bei schlechtem Wetter in einen Scheunenwinkel, in eine Schifferhütte am Main, unter eine Brücke; sie alle um ihn her. Und nun hieß es: Erzählt, Junker."

Nach acht Jahren des Umherreisens kehrt die Freifrau unerwartet nach Ehrenberg zurück. Der Bischof, dem sie einen Bittbrief schreibt, nimmt dies zum Anlass für einen Besuch auf dem Schloss. Seinen inzwischen fünfzehnjährigen Neffen hat er noch nie gesehen. Der Bischof ist so angetan von der Art und Rede des Jungen, dass er ihn umgehend zu sich nach Würzburg nimmt. Der sonst so geizige Mann verwöhnt seinen Neffen mit den besten Speisen und lässt ihn sogar neu einkleiden. Allein der Jesuitenpater Gropp, Beichtvater des Bischofs und Richter bei den Hexenprozessen, betrachtet das "hexische Geplapper" des Jungen mit Argwohn.

Junker Ernst erzählt weiterhin seine Geschichten, die ohne großes Nachdenken aus ihm herausströmen, und gewinnt alsbald viele neue Zuhörer. Zöglinge, Lehrer, Pröbste, Laienprister, Domherren, Dekane – sie alle fängt er mit seinen Worten ein. Der alte Bischof aber wird von einer wachsenden Unruhe ergriffen und fürchtet, dass der Knabe von Dämonen besessen sei. Pater Gropp drängt ihn, sich vom Junker loszusagen. Er zögert, bittet um Aufschub und lässt ihn schließlich wegen Zauberei in den Kerker werfen.

Die Nachricht von der Gefangennahme des Junkers verbreitet sich in Windeseile im ganzen Reich. Die Freifrau, die endliche die Liebe zu ihrem Sohn wiedergefunden hat, eilt zum Bischof und wird selbst eingekerkert. Die Kinder und Jugendlichen der umliegenden Dörfer, die ihren Märchenerzähler nicht vergessen haben, ziehen zu Tausenden nach Würzburg, um den Junker zu befreien.

Zitat aus "Der Aufruhr um den Junker Ernst" "Am Freitagnachmittag um vier Uhr begann das große Hereinströmen der Kinder durch die Stadttore, die Wachen standen mit offenen Mäulern da, die Offiziere wussten nicht, wie sie sich verhalten sollten, eh die erbetene Ordre vom Kommandanten kam, war die zudringende Menge nicht mehr zu stauen. Vom Steinberg wogten sie herunter, vom Marienberg wimmelte es ameisenhaft herab, blaue grüne rote Fähnchen flatterten in der Sonne, Stimmengetöse wie von einem millionenfach verstärkten Grillenkonzert erschütterte die Luft."

Der Schriftsteller Jakob Wasserman

Jakob Wassermann wurde am 10. März 1873 als Sohn eines jüdischen Spielwarenfabrikanten in Fürth geboren. Nach dem frühen Tod der Mutter, die starb als er neun Jahre war, erlebte Wassermann eine entbehrungsreiche Kindheit. Er litt unter der kaltherzigen Stiefmutter und der Tristesse des väterlichen Hauses. Eine 1889 bei seinem Onkel in Wien begonnene Kaufmannslehre ab, brach er ab, weil er sich zum Schreiben berufen fühlte.

Er wurde Sekretär bei Ernst von Wolzogen und begegnete durch dessen Vermittlung 1896 in München dem Verleger Albert Langen, der ihn in die Redaktion der Zeitschrift Simplicissimus aufnahm. In München gewann er die Freundschaft Thomas Manns und Rainer Maria Rilkes. Im selben Jahr erschien sein erstes Buch "Melusine - Ein Liebesroman". Ende 1897 begann er, Feuilletons und Theaterberichte für die Frankfurter Zeitung zu schreiben, in deren Auftrag er später nach Wien übersiedelte. 1899 wurde Wassermann Autor des Berliner Verlags Samuel Fischer.

Mit der Bücherverbrennung 1933 wurden seine Bücher in Deutschland verboten. Für den bis dahin erfolgreichen Autor bedeutet dies nicht nur den materiellen Ruin, es zerbrach auch seine Hoffnung, er könne mit seinem Werk einen Beitrag für eine friedlichere Welt leisten. Wassermann starb am 1. Januar 1934 in Altaussee/Österreich, verarmt und psychisch gebrochen.

Die Sprecherin Ursula Langrock

Ursula Langrock wurde am 30. Januar 1926 in Leipzig geboren und wuchs in Frankfurt am Main auf. Ihre Schaustudium absolvierte sie in Dresden, wo sie während des Kriegs eine Prüfung bei Erich Ponto ablegte. Nach Engagements an verschiedenen Frankfurter Bühnen wurde sie 1946 für den Rundfunk entdeckt.

Seit 1955 gehörte sie zum Künstlerischen Ensemble des Südwestfunks Baden-Baden. Mit dem Mehrteiler "Paul Temple und der Fall Madison" wurde sie zu einer der bekanntesten Sprecherinnen der Nachkriegsjahre. Gelegentlich war sie auch fürs Fernsehen tätig. Sie spielte u.a. in der Dürrenmatt-Verfilmung "Der Besuch der alten Dame" (1959) und in Carl Zuckmayers Komödie "Der fröhliche Weinberg" (1961). Ursula Langrock starb am 13. Juli 2000 in Hamburg.

Angaben zur Sendung

MDR KULTUR Klassikerlesung
27.02. - 24.03.2023
Jakob Wassermann: Der Aufruhr um den Junker Ernst (20 Folgen)
Es liest Ursula Langrock | SR 1984

Sendung: Montag bis Freitag | jeweils 15:10 Uhr

Die komplette Lesung steht hier bis zum 25.05.2023 zum Hören bereit. Die 20 Radiosendungen wurden zu 10 längeren Folgen zusammengefasst.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR Klassikerlesung | 27. März 2023 | 15:10 Uhr

Meistgelesen bei MDR KULTUR

Kultur

Szene aus dem DEFA-Film "Die Legende von Paul und Paula": Paul (Winfried Glatzeder) und Paula (Angelica Domröse) in Paulas geschmücktem Bett. mit Audio
Paul (Winfried Glatzeder) und Paula (Angelica Domröse) in Paulas geschmücktem Bett. Paula: "Wer nie sein Brot im Bette aß, weiß nicht wie Krümel pieken, das sagte mein Großvater immer." Bildrechte: mdr/rbb/PROGRESS Film-Verleih/Norbert Kuhröber