Katharina Thalbach
Katharina Thalbach liest "Hotel Grand Babylon" von Arnold Bennett Bildrechte: IMAGO / Future Image

Lesezeit | 22.05. - 02.06.2023 Katharina Thalbach liest Hotel Grand Babylon von Arnold Bennett

17. Mai 2023, 04:00 Uhr

Für seinen Kriminalroman "Hotel Grand Babylon" nahm sich Arnold Bennett 1902 das Londoner Savoy zum Vorbild. Als ein amerikanischer Millionär in das noble Hotel und in die mondäne Welt der Londoner Belle Époque eincheckt, verstrickt er sich Hals über Kopf in kriminelle Machenschaften. Eine vergnügliche Lesung mit Katharina Thalbach.

Zitat aus "Hotel Grand Babylon" "Es herrschte die für das Grand Babylon so typische heiter-beschauliche Stimmung, und eigentlich ließ sich kein Ereignis denken, das die friedlich-vornehme Monotonie in diesem perfekt geleiteten Etablissement hätte gefährden können. Und doch sollte das Grand Babylon an jenem Abend die größte Erschütterung erleben, die es in diesem Haus je gegeben hatte."

Um die Jahrhundertwende im "Grand Hotel Babylon": Kaum checkt Theodore Racksole in das berühmte Londoner Hotel ein, erntet er schon beleidigte Blicke von Oberkellner Jules. Der Amerikaner hat einen Cocktail namens "Angel Kiss" bestellt – ungeheuerlich. Als er dann zum Abendessen mit seiner Tochter Nella auch noch Steak und Bier ordert, ist es mit der Contenance von Jules vorbei: Er lässt den Mann abblitzen. Doch Mr. Racksole ist zufällig einer der reichsten Männer der Welt und kauft kurzerhand das gesamte Hotel. Nun klappt es auch mit Steak und Bier. Seine Tochter Nella, die gewöhnt ist, alles zu kriegen, was sie will, und beim Ausgeben des Geldes ihres Vaters kaum hinterherkommt, klatscht vor Freude in die Hände.

Zwielichtige Gestalten vor mondäner Kulisse

Zuerst ist man geneigt, für die Angestellten des Hotels Partei zu ergreifen: für den Oberkellner Jules, den Küchenchef Rocco, die Rezeptionistin Miss Spencer. Doch die mondäne Welt ist nur Fassade und überall trifft man auf zwielichtige Gestalten.

Das Hotel Babylon besitzt einen separaten Eingang für gekrönte Häupter, und so werden demnächst der Großherzog Eugen und Prinz Aribert von Posen erwartet. Dessen Gesellschafter Reginald Dimmock weilt schon als Vorhut im Hotel, flirtet mit Nella – lebt aber nicht mehr lange. Zu dem Mord gesellt sich eine Entführung, und längst wundert sich Mr. Racksole nicht mehr über auftretende Ungereimtheiten: hier ein heimliches Zwinkern, da eine undurchsichtige Umbuchung und noch eine eingeschlagene Scheibe. Und als auch noch Miss Spencer verschwindet, nimmt die abenteuerlustige Nella den Platz an der Rezeption ein: um etwas herauszufinden. Neben dem Verbrechen kommt bald die Liebe ins Spiel. Wir erfahren Geheimnisse, die unbedingt diskret zu behandeln sind. Und bald befindet sich Nella auf einem Schiff nach Ostende in Lebensgefahr … Jetzt vielleicht doch einen "Angel Kiss", aber unverzüglich!

Zitat aus "Hotel Grand Babylon" "Begreifen Sie nicht, dass dieses Haus, in dem alle Mächtigen und Gewaltigen dieser Erde abzusteigen pflegen, zwangsläufig auch zahllose namenlose Verschwörer, Intriganten, Übeltäter und Unruhestifter beherbergt?"
(Felix Babylon zu Theodore Racksole)

Der Schriftsteller Arnold Bennett, 1931
Bildrechte: imago/ZUMA/Keystone

Arnold Bennett und sein Fünf-Uhr-Tee im Hotel Savoy

Es ist überliefert, dass Arnold Bennett (1867 bis 1931) um die Jahrhundertwende seinen Fünf-Uhr-Tee im Londoner Hotel Savoy einzunehmen pflegte. Dann ging er heim und schrieb "Hotel Grand Babylon" innerhalb von drei Wochen. In seinem Journal notierte er über das Hotel:

Es ist ein sehr ernsthaftes System […] vollgestopft mit menschlicher Natur von extremer Verschiedenartigkeit. Das Thema ist charakteristisch für die Zeit; es ist so modern wie die Morgenmilch; es ist gewaltig und einer gewaltigen Behandlung würdig.

Arnold Bennett über das Hotel Savoy

Bennetts vorletztes Buch "Imperial Palace" von 1930 war ebenfalls ein Hotelroman nach dem Vorbild des Savoy. Noch heute steht dort, im Savoy Grill, ein "Omelette Arnold Bennett" auf der Speisekarte, zubereitet mit geräuchertem Schellfisch, Eier und Parmesankäse.

Sozialromane und ein Frauen-Magazin

Illustration eines Herrn mit Anzug und Zigarre
Arnold Bennett gehörte im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zu den meistgelesenen Autoren in England. Mit "Hotel Grand Babylon" wurde er 1902 berühmt. Bildrechte: IMAGO / Gemini Collection

Im ersten Drittel des 20. Jahrhundert zählte Arnold Bennett in seiner Heimat England zu den meistgelesenen Autoren, hierzulande ist der Meister der anspruchsvollen Unterhaltung merkwürdigerweise kaum noch ein Begriff. Seine Kriminalgeschichte "Hotel Grand Babylon" erschien erstmals 1902 und machte ihn berühmt. Bennett veröffentlichte an die 50 Bücher, darunter sozialkritisch-realistische Romane beeinflusst von Emile Zola und Gustave Flaubert: Die sogenannten "Five Town's Tales" erzählen von der Keramikregion Staffordshire, vom Leben der Mittelschicht in den Pottery-Städten.

Bennett, der auch eine Zeit lang als leitender Redakteur eines Frauenmagazins arbeitete, hatte eine Ader für das Französische. Erst ein mehrjähriger Paris-Aufenthalt half ihm, seine Schüchternheit gegenüber Frauen abzulegen. Seine erste Heirat verband ihn dann auch mit einer Französin.

Arnold Bennett zählt zur literarischen Vormoderne nach der viktorianischen Zeit. Typisch für diese Vormoderne sei das "weitreichende Ausbleiben literarischer Experimente und ein zeitentrücktes Beharren auf traditionelle Darstellungsverfahren", schreibt Armin Eidherr in seinem Nachwort von "Hotel Grand Babylon" in der Ausgabe vom Manesse Verlag Zürich 2003. Doch Bennett zeigte sich trotz seines literarischen Konservatismus aufgeschlossen gegenüber dem Neuen. So bewunderte er James Joyce und seinen "Ulysses", auch als dieses Buch verboten werden sollte.

Vorhang auf für Katharina Thalbach

Die Schauspielerin und Regisseurin Katharina Thalbach verwandelt diese extravagante Kriminalgeschichte in Hörgenuss voller Leichtigkeit und Komik. In "Hotel Grand Babylon" beherrscht sie jeden Ton: den distinguierten Oberkellner, das geschäftliche Gebaren unter Männern, eine sanfte Verliebtheit sowie versnobte Allüren und halbseidene Betrüger.

Angaben zur Sendung

MDR KULTUR Lesezeit
22.05. - 02.06.2023
Arnold Bennett: Hotel Grand Babylon (9 Folgen)
Übersetzung: Renate Orth-Guttmann
Es liest Katharina Thalbach | Eichborn/DAV 2005

Die Lesung ist als Hörbuch im Handel erhältlich. Das Buch wurde für die Lesung leicht gekürzt.

Sendung im Radio: 22.05. - 02.06.2023 | Montag bis Freitag 9:05 Uhr
Wiederholung: 22.05. - 02.06.2023 | Montag bis Freitag 19:05 Uhr

Alle Folgen dieser Lesung stehen hier bis 14.08.2023 zum Hören bereit.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR Lesezeit | 22. Mai 2023 | 09:05 Uhr