
Sachbuchempfehlung Alkohol in der Geschichte: Von den Pharaonen über Churchill bis zu Adenauer
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Belege für den Genuss von Alkohol gehen bis auf die Zeit vor den alten Ägyptern zurück. Seitdem hat sich der Umgang mit Alkohol gewandelt. Gelage und Rausch – einst ein Statussymbol – prägten die Politik bis in unsere heutige Zeit. Darüber hat der Historiker Jochen Oppermann ein Buch geschrieben mit dem Titel "Im Rausch der Jahrhunderte – Alkohol macht Geschichte". Ulrike Thielmann hat es gelesen.

Menschen mit einem zurückhaltenden Verhältnis zum Alkohol werden schnell in ihrem Weltbild erschüttert, wenn sie in ein echtes Trinkgelage geraten. Dabei ist die Aufgeklärtheit in Sachen Alkohol relativ jung. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts gehörte Trinken zum guten Ton der Reichen und Mächtigen – und natürlich auch in Künstlerkreisen. "Vergeblich klopft, wer ohne Weins ist, an der Musen Pforte“, wusste schon Aristoteles. Das Zitat ist in Oppermanns Buch anzutreffen. Der studierte Historiker und Politikwissenschaftler, Jahrgang 1980, hat dafür vier Jahre lang recherchiert.
Bereits zu Beginn seines Geschichtsstudiums sei er auf Anekdoten gestoßen, die ihn besonders interessiert hätten. das Buch zu schreiben, sei dann ein Prozess gewesen, sagt Oppermann:
Ich fragte mich, welchen Einfluss hatte der Konsum von Alkohol gerade bei Entscheidungsträgern in der Geschichte. Und vermisste, salopp gesagt, ein Buch dazu.
Das Buch eröffnet völlig neue Perspektiven, etwa auf das griechische Symposium. Liest man die Schilderungen antiker Trinkgelage wird deutlich, dass Symposien im alten Griechenland nicht nur dem intellektullen Austausch dienten,sondern auch wilde Orgien waren. Und auch die Pharaonen standen laut Oppermann unter ständigen Trinkzwang – mussten sie doch als spirituelles Oberhaupt den Kontakt zu den Göttern halten. Wie Oppermann in seinem Buch schreibt, war hier:
... die Gunst der Götter sicher und das Fest galt als besonders gelungen, wenn sich der Pharao obendrein noch übergab.
Oppermann erklärt weiter: "Der Alkohol hat die letzten 10.000 Jahre Menschheitsgeschichte überstanden, und es gibt natürlich auch gewisse Positiventwicklungen, beispielsweise die Hygiene – Alkohol desinfiziert. Oder in den Verhandlungen, wenn da bestimmte Grenzen überschritten wurden." Bei großen Anlässen darf auch heute kein Alkohol fehlen. Das gilt besonders für die Politik.
Nach dem Prinzip von Stefan Zweigs "Sternstunden der Menschheit" demonstriert Oppermann in 20 Episoden, wie Alkohol von historischen Persönlichkeiten für politische Zwecke instrumentalisiert wurde. Alexander der Große etwa wird als starker Alkoholiker beschrieben, der im Rausch sein Weltreich erfand, eroberte und der schließlich früh entschlief. Neben Otto von Bismarck erscheint auch Winston Churchill als großer Trinker. Sein Konsum sei von "kriegerischem Stress" geprägt gewesen, denn er pflegte den Druck, der auf ihm lastete, durch Unmengen Alkohol zu kompensieren. Sein Widersacher Hitler hingegen wird als Pseudo-Antialkoholiker beschrieben, da er privat durchaus gerne ein Glas "Beerenauslese" trank.
Der "Churchill-Martini"
Nicht ohne Humor vermerkt das Buch, dass Churchill in der schlimmsten Phase des Krieges gar den "Churchill-Martini" erfand, der sich aus Gin und Wermut zusammensetzte. Mit Stalin, dem Zitat "bolschewistischen Pavian", konnte Churchill indessen ganz gut, da dieser sich auf Jalta als echter Kampftrinker erwies. Überhaupt findet Autor Oppermann eine Begründung für die bis heute praktizierte (Un)Sitte, sich bei politischen Verhandlungen aus diplomatischen Gründen hemmungslos zu betrinken. Oppermann erklärt: "In der alten Welt der Germanen und später im frühen Mittelalter war das Zutrinken eine Institution, die einem die Türe öffnete".
Ein Fremder, der irgendwo hinkam, wurde mit einem Trunk empfangen und diesen Trunk musste er erwidern. Das war ein Zeichen für Frieden. Das hat sich dann später so weit entwickelt, dass es an den Herrscherhöfen der frühen Neuzeit Trinkzwänge gab.
Nachkriegszeit: Konrad Adenauer und "Weinbrand-Willy"
Auch nach dem Krieg gehörte Alkohol zum politischen Spiel: Konrad Adenauer trank mit Chruschtschow, um die letzten 10.000 Kriegsgefangenen loszueisen. "Weinbrand-Willy" (Brandt) trank Weinbrand, um dem Druck der Verantwortung Stand zu halten – und 1970 in Erfurt für die Ost-West-Annäherung mit den SED-Genossen.
In die vielen Zitate und historisch verbürgten Polit-Pistolen rund um den Alkohol versunken, lässt sich bei der Lektüre von Jochen Oppermanns Buch über das eigene Verhältnis zur Droge nachdenken. Dass der Autor dabei auf den moralischen Zeigefinger verzichtet, ist allein schon ein Grund, das Buch zu mögen. Die alkoholischen Polit-Exzesse der Menschheitsgeschichte lassen sich mal vergnüglich lesen – und können den Lesenden doch auch mit einem Schaudern erfüllen.
Infos zum Buch
„Im Rausch der Jahrhunderte – Alkohol macht Geschichte“
von Jochen Oppermann
Marix Verlag, 287 Seiten
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 02. Juli 2018 | 12:40 Uhr