Vor Giuseppe Verdi und Otto NicolaiEntdeckung im Erzgebirge: Theater in Annaberg-Buchholz spielt großartigen "Falstaff"
Gleich zwei Opern nach Shakespeares "Merry Wives of Windsor" gehören zum Opernrepertoire des Winterstein-Theaters in Annaberg-Buchholz: "Die lustigen Weiber von Windsor" von Otto Nicolai und "Falstaff" von Giuseppe Verdi. Das Theater hat nun eine frühere Opernadaption aus England ausgegraben, die sich durchaus messen kann. Im Erzgebirge spielt die Geschichte mitten in einer Welt voller Clowns.
Warum Michael William Balfes "Falstaff" erst 2022 zum zweiten Mal aufgeführt wurde, ist kaum zu fassen. 1838 wurde die Oper über Shakespeares Trinker und Frauenhelden mit Starbesetzung und großem Erfolg in London uraufgeführt – zehn Jahre vor Otto Nicolais landauf, landab gespielten "Lustigen Weibern vom Windsor" und 55 Jahre vor Verdis Alterswerk mit gleichem Titel. War die Besetzung der Uraufführung zu prominent, dass man sich an weitere Aufführungen nicht herantraute?
Und nun wagt man die Wiederentdeckung ausgerechnet im kleinen Eduard-von-Winterstein-Theater in Annaberg-Buchholz, das freilich schon in der vergangenen Spielzeit durch Ausgrabungen (Zeisls "Leonce und Lena" oder Benatzkys "Der reichste Mann der Welt") von sich reden machte! Lediglich eine CD-Aufnahme einer konzertanten Aufführung der irischen Nationaloper aus dem Jahre 2012 gibt es, durch die auch der Intendant des Erzgebirgischen Theaters, Moritz Gogg, auf Balfes Werk aufmerksam wurde.
Annaberg-Buchholz bietet mehr Shakespeare
Die englische Oper des 19. Jahrhunderts ist allgemein kaum bekannt und Balfes "Falstaff" wurde trotz der Shakespeare-Vorlage nicht auf Englisch, sondern auf Italienisch komponiert – was damals in englischen Opernhäusern durchaus auch üblich war. Der Ire Michael William Balfe war nicht nur Komponist von 28 Opern, sondern vor allem auch angesehener Theatermann, Sänger und Dirigent. Er spielte Geige und Klavier – und kannte Giacchino Rossini persönlich. In dessen "Otello" sang er zum Beispiel den Jago. Rossinis Lyrismen, aber auch seine Dynamik, seine aufgeregten Prestissimi vermeint man immer wieder herauszuhören.
Die Bearbeitung des Regisseurs Christian von Götz kommt näher an William Shakespeares "Merry Wives of Windsor" als das ursprüngliche Libretto von S. Mafredo Maggioni. Von Götz führt eine weitere Figur in die Oper ein: "Il bello Will“ (Nadja Schimonsky) ist eine Art Zirkusdirektor, der statt der Rezitative der ursprünglichen Fassung Monologe und Dialoge aus Shakespeares Werk spricht, während die Figuren der Oper in Posen erstarren.
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Zirkus im Erzgebirge
Die ständig in Bewegung gehaltene Inszenierung führt in den Zirkus, zu Clowns, manchmal auch auf das Trapez, ja sogar ein Einhorn trabt immer wieder über die Bühne. Wie Charlie Chaplins hampeln die Frauen des Chors über die Bühne, schräg sitzen die Frisuren der Männer. Bei allem Klamauk wird – etwa eindrucksvoll in der Arie des eifersüchtigen Ehemanns Ford (Jason Nandor Tomory) – durchaus auch die Verwirrung und Unsicherheit der Figuren spürbar.
Und Falstaff? Auch wenn er seinen Bauch zum Thema macht, der eingebildete Frauenheld und verschuldete Hippie ist ein junger, schlanker Clown mit traurigen, staunenden Augen. "Il bello Will", also Shakespeare, liebt und verehrt ihn, auch wenn er in dieser Inszenierung von der sich rächenden Gesellschaft im ganz und gar nicht romantischen Finale letztlich zu einem langweiligen Bürojob gezwungen wird. Auch der Außenseiter wird eingemeindet.
Wiederentdeckte Oper setzt Maßstäbe
Nach dieser Ausgrabung sollte man umdenken: Balfes "Falstaff" scheint – so wie in Annaberg-Buchholz vorgeführt – Otto Nicolais biedere "Lustige Weiber" in den Schatten gestellt zu haben.
Was aber in Annaberg-Buchholz am meisten erfreut und verblüfft, ist die musikalische Perfektion und Energie, mit der die Erzgebirgische Philharmonie Aue unter Jens Georg Bachmann aufspielt. Auch das Ensemble, das mit viel Spielfreude und Zirkusakrobatik agiert, scheint im italienischen Belcanto geradezu zu Hause zu sein.
Besonders gefeiert wurde Wjatscheslaw Sobolev, der direkt von der Hochschule für die kleinere, aber überaus anspruchsvolle Tenor-Rolle des Fenton gewonnen wurde und mit Bravour über das hohe C hinaus brillierte. Nicht weniger eindrucksvoll sind Laszlo Varga in der Titelrolle, Bettina Grothkopf als Rosa Ford, Jason Nandor Tomory als ihr Mann sowie als die junge Annetta in ihrer Liebesleidenschaft auf dem Trapez: Maria Rüssel. Intendant Moritz Gogg hat versprochen, nun jede Spielzeit eine italienische Produktion herauszubringen.
Weitere Informationen"Falstaff" von Michael William Balfe
auf den Text von S. Manfredo Maggioni
Musikalische Leitung: Jens Georg Bachmann / Dieter Klug
Inszenierung und Ausstattung: Christian von Götz
Choreographie: Leszek Kuligowski
Mit: László Varga, Bettina Grothkopf, Jason-Nandor Tomory, Wjatscheslaw Sobolev, Maria Rüssel, Nadja Schimonsky und vielen anderen
Termine 2022:
21. September, 19.30 Uhr
25. September, 19.30 Uhr
01. Oktober, 19.30 Uhr
03. Oktober, 15 Uhr
09. Oktober, 19.30 Uhr
14. Oktober, 19.30 Uhr
23.Oktober, 19.30 Uhr
29. Dezember, 19.30 Uhr
(Redaktionelle Bearbeitung: Thilo Sauer)
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Dieses Thema im Programm:MDR KLASSIK | 19. September 2022 | 09:10 Uhr