Theaterkritik Schauspiel Chemnitz zeigt "Der große Hanussen" von Stefan Heym: bunt, brav, bieder

Am 28. Januar feierte am Schauspiel Chemnitz Stefan Heyms Stück "Der große Hanussen" Premiere. Es ist ein Stück aus dem Jahr 1941, das erst kürzlich im Nachlass des in Chemnitz geborenen Dichters entdeckt wurde und nun überhaupt erst zum zweiten Mal auf einer Bühne gezeigt wird. Die Inszenierung im Spinnbau ist bunt, dabei aber eher bieder, so unser Kritiker.

Hanussen zeigt mit ausgestrecktrem rechten Arm in eine Richtung. Um ihn herum ducken fünf Personen und blicken in dieselbe Richtung.
"Der große Hanussen - die Geschichte eines Schwindlers" von Stefan Heym wird erst zum zweiten Mal überhaupt auf einer Bühne gespielt. Bildrechte: Dieter Wuscha

Kurz vor der Pause, da ist eine reichliche Stunde gespielt, verlässt die Inszenierung zum ersten Mal unüberhörbar den historischen Raum, in dem Stefan Heyms Stück "Der große Hanussen" spielt. Es ist das Jahr 1933. Gut, zu Beginn erklangen ein paar "Tannhäuser"-Töne. – Wagner und das Dritte Reich, das geht ja immer. Nun also Rammsteins Hit "Deutschland", während der Hellseher Erik Hanussen an der Bühnenrampe seinen Körper zu einem lebenden Hakenkreuz formt. Rammstein und das Dritte Reich: eine oberflächliche und, vorsichtig gesagt, missverständliche Audio-Kulisse zum Nazi-Bekenntnis Hanussens.

Bis dahin plätschert die Inszenierung von Schauspieldirektor Carsten Knödler ziemlich konventionell vor sich hin. Bunt, brav, bieder. Eine Illustration, die versucht, den nicht allzu fesselnden Text Heyms mit einem Hauch "Babylon Berlin" aufzupeppen. Es wird ein bisschen getanzt und gesungen, dazwischen werden Szene für Szene Dialoge vorgetragen. Hanussens Geliebte singt Zara Leanders "Der Wind hat mir ein Lied erzählt", und alles zusammen ergibt doch nur ein laues Lüftchen.

"Der große Hanussen" ist nur ein Teil des Chemnitzer Heym-Programms 2023

Doch von vorn. Da gehört erstmal ein großes Lob an die Internationale Stefan-Heym-Gesellschaft mit Sitz in Chemnitz hin, dafür, dass sie in Heyms Geburtsstadt aktiv ist. 1913 wurde er hier geboren, als Kind jüdischer Kaufleute. In diesem Jahr findet Einiges statt, um daran zu erinnern. Dazu gehört auch die Aufführung der – wie Heym es im Untertitel nennt – "Geschichte eines Schwindlers" samt Rahmenprogramm.

Szene aus dem Theaterstück "Der große Hanussen" am Schauspiel Chemnitz: Ein SA-Führer sitzt in Uniform und redet zu einem hinter ihm stehenden Mann.
Die Chemnitzer Inszenierung "Der große Hanussen" feierte am 28. Januar 2023 Premiere. Bildrechte: Dieter Wuscha

Ein bisschen schwammig bleibt einzig die Erklärung dafür, warum das Chemnitzer Theater die Uraufführung nicht für sich ergattern konnte oder wollte. Die fand 2022 an der Württembergischen Landesbühne Esslingen statt. Esslingen? Ja. Weil ein in Chemnitz forschender Germanist das von ihm im Nachlass des Dichters entdeckte Stück seinem Bruder empfahl, der zufällig Intendant in Esslingen ist. So familiär kann es zugehen in der Theaterwelt. Sei’s drum, jetzt ist es ja hier – "heymgeholt" könnte man sagen.

Stefan Heyms Botschaft an die Welt

Stefan Heym schrieb das Stück (in englischer Sprache) 1941 als Exilant in den USA, kurz darauf nahm er in einer Einheit für psychologische Kriegsführung am Zweiten Weltkrieg teil. Ihm ging es mit dem Stück wohl vor allem darum, der Welt mitzuteilen, was seit 1933 in seinem Heimatland Deutschland los ist. Und zwar anhand der Geschichte des vorgeblichen Hellsehers Erik Jan Hanussen, der sich – obwohl selbst auch Jude – den Nazis andiente und mutmaßlich sogar von ihnen mit Geheiminformationen versorgt wurde, die er dann in seinen Seancen öffentlich machte.

Eine Theorie besagt, dass Hanussen auf diese Weise vorab vom Reichstagsbrand erfahren hat. Was natürlich bewiesen hätte, dass den nicht, wie die Nazis behaupteten, die Kommunisten gelegt haben, sondern sie selbst. Heym greift das auf, will der Kommunisten-Jagd der Nazis und vor allem dem immer fanatischer werdenden Judenhass etwas entgegensetzen. So richtig das auch sein mag, ein propagandistischer Ansatz führt nur sehr selten zu nachhaltig großer Kunst. Herausgekommen ist inhaltlich und auch formal ein Text auf dem Stand der antifaschistischen Literatur jener Zeit.

Natürlich soll und kann man den "Großen Hanussen" dennoch spielen. Man kann sicher selbst Friedrich Wolfs "Professor Mamlock" noch spielen, es bleibt ja wichtig, an den Nationalsozialismus und seine Gräueltaten zu erinnern. Aber die Chemnitzer Inszenierung zeigt, dass es dafür einen heutigen, einen distanzierteren Ansatz braucht – einen, der nicht nur stück- und textgetreu denkt.

Chemnitzer Inszenierung endet mit einem Schuss

Ganz am Ende versuchen es die Chemnitzer noch einmal mit einer Überblendung ins Heute. Ein Bild des Holocaust-Mahnmals wird auf die Hinterbühne projiziert. Da ahnt man, was das Stück vielleicht hergeben könnte, ausgestattet mit einer zweiten Ebene. Warum nicht Stefan Heyms Lebensweg? Ein Diskurs über den Text? Was auch immer, es hätte dem Abend helfen können, über hübsch geschminkte Plattitüden hinauszukommen. Dieser "Große Hanussen" bleibt eindimensional und ist weder inhaltlich noch ästhetisch eine Offenbarung.

Hanussen sitzt auf einem Stuhl. An ihm lehnt eine lächelnde Person mit Bart, die einen Zylinder, Kleid, Netzstrumpfhose und hohe Schuhe trägt.
Christian Schmidt als Erik Hanussen (l.) ragt aus dem Ensemble am Schauspiel Chemnitz heraus. Bildrechte: Dieter Wuscha

Die Chemnitzer Premierenzuschauer mochten das Stück dennoch, der Applaus war groß. Christian Schmidt als Erik Hanussen ragt aus dem Ensemble heraus, er gibt einen eiskalten Blender, einen schmerzfreien Karrieristen, einen, der alles auf eine Karte setzt. Und verliert. Die Nazis lassen ihn aus nie genau geklärten Gründen fallen. Kurz nach dem NSDAP-Wahlsieg und der Machtübergabe an Hitler 1933 wird er von SA-Leuten erschossen.

Der Schuss hallt auch durch den Chemnitzer Spinnbau, nachdem Hanussen nackt und hilflos gefleht hatte, ihn doch überleben zu lassen, sogar Geld hat er den SA-Leuten angeboten. Dann ziehen sie ihn auf einer Plane nach hinten aus dem Bühnenbild. Im grellen Gegenlicht, im Bühnennebel – ein starkes Bild, ein eindeutiges Bild: Jetzt werden sie ihn ermorden. Statt hier Schluss zu machen, knallt ein Schuss. Gefolgt von heute geradezu kitschig pathetisch klingenden Heym-Sätzen über Moral und Mut von 1941. Schade.

Weitere Informationen "Der große Hanussen"
Die Geschichte eines Schwindlers von Stefan Heym
Spinnbau, Chemnitz

Regie: Carsten Knödler
Dramaturgie: Stefanie Esser
Bühne: Frank Hänig
Kostüme: Ricarda Knödler
Schauspielmusik & Musikalische Leitung: Bernd Sikora
Choreografie: Michael Ihnow

Weitere Termine:
Freitag, 3. Februar 2023, 19:30 Uhr
Donnerstag, 9. Februar 2023, 19:30 Uhr
Samstag, 4. März 2023, 19:30 Uhr
Sonntag, 5. März 2023, 18 Uhr
Samstag, 25. März 2023, 19:30 Uhr

Redaktionelle Bearbeitung: Cornelia Winkler

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 30. Januar 2023 | 08:40 Uhr

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