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Aktuell arbeitet Claudia Bauer am Staatsschauspiel Dresden an der Alternativgeschichte "Vaterland" Bildrechte: Sebastian Hoppe

"Vaterland" am Staatsschauspiel DresdenRegisseurin Claudia Bauer: "Natürlich muss Hitler-Deutschland auch lustig sein"

23. Februar 2023, 04:00 Uhr

"Vaterland", der Roman von Robert Harris, kommt im Staatsschauspiel Dresden auf die Bühne. Er spielt in der Woche vor Hitlers 75. Geburtstag in Berlin: vom 14. bis 20. April 1964. Hitler lebt und hat den Zweiten Weltkrieg gewonnen. Nazideutschland reicht bis zum Ural. Und in dieser Welt werden nun die Teilnehmer der immer noch geheim gehaltenen Wannsee-Konferenz nach und nach ermordet. Der Holocaust, die sogenannte "Endlösung der Judenfrage", ist immer noch geheim. Ein Interview mit der Regisseurin Claudia Bauer über ihre Inszenierung und die Parallelen zum Ukraine-Krieg.

MDR KULTUR: Wenn Sie diesen Roman jetzt auf die Bühne bringen, was ist es dann: eine Komödie, eine Tragödie?

Claudia Bauer: Beides, würde ich sagen. Aber das liegt an mir, das ist bei mir immer so. Natürlich muss Hitler-Deutschland auch lustig sein. Und das bittere Ende kommt ja sowieso – wenn nämlich der Holocaust aufgedeckt wird.

Was interessiert sie an dem Roman? Ist es der Krimi? Ist es die Horrorvision eines Nazi-Deutschlands, die sich ein bisschen gruselig und aktuell anfühlt? Ist es ein Lehrstück über die Autokraten dieser Welt?

Ich glaube, dieses Stück hat einfach extrem viel mit Strukturen von Diktaturen an sich zu tun. Und faszinierend ist natürlich auch so ein Paralleluniversum, wo man fragt, was wäre, wenn an einer bestimmten Stelle der deutschen Geschichte auch nur ein paar Dinge anders gelaufen wären? "Was wäre, wenn ..." ist immer ein schönes Spiel. Und man kann sich am Anfang auch tatsächlich schön gruseln, weil man ja weiß, dass man Gott sei dank nicht in diesem Paralleluniversum lebt. Aber Menschen in anderen Teilen dieses Planeten leben in solchen Paralleluniversen.

Wie ist das, wenn man so eine Inszenierung vor dem Krieg plant und dann plötzlich Krieg ist?

Ich finde den Krieg für diesen Stoff gar nicht so vordergründig ausschlaggebend. Es geht eher um die Diktatur und die Fragen: Was ist Wahrheit, was ist Propaganda? Das finde ich eigentlich wichtiger als den Krieg, der aktuell in Europa tobt, direkt zu thematisieren. In dem Stück hier haben wir ein Deutschland, in dem gar kein Krieg mehr ist, sondern hier ist der Krieg bereits gewonnen. Es gibt noch einige Guerilla-Kämpfe, es gibt noch Kämpfe am Ural, wo sich die Russen gegen dieses Großdeutschland zur Wehr setzen. Aber eigentlich spielt der Krieg innerhalb der Story keine Rolle, außer dass die Deutschen den Krieg gewonnen haben.

Wenn man die Mechanik des Romans ins Heute spiegeln würde: Die Handlung spielt dann vielleicht in der ersten Oktoberwoche 2027, in der Woche vor Putins 75. Geburtstag. Russland reicht bis an den Rhein. Der Kampf gegen sogenannte "Nazis", der 2022 noch mal neu in der Ukraine begann, war vielleicht teilweise erfolgreich. Auschwitz ist nicht dem Erdboden gleichgemacht, dafür aber in Mariupol das Theater, das von Russland beschossen wurde. Als hätte es dieses Theater und damit den Luftangriff auf die vielen Zivilisten, die sich dort versteckt hatten, nie gegeben. Spielen solche Gedankenspiele in der Arbeit am Stück eine Rolle?

Im Februar 2022 marschierte das russische Militär in die Ukraine ein uns sorgt seitdem für Zerstörung. Bildrechte: dpa

Ich versuche, mich nicht zu sehr von der Tagespolitik – oder in diesem Fall fast schon Jahrespolitik – verführen zu lassen. Das ist nicht meine Art. Wer die Parallelen nicht sieht, wenn er diesen Abend sieht, der wird sie auch nicht sehen, wenn ich da noch ein Foto vom zerbombten Theater in Mariupol zeige. Ich finde hier den Stoff an sich schon stark genug: das Verschweigen einer Vernichtungspolitik gegen 11 Millionen Menschen.

Was kann Theater in so einer Zeit des Krieges in Europa leisten?

Das, was es immer leistet oder leisten sollte: nämlich Menschen auf eine intelligente und sinnliche Art aufzuwühlen und zum Nachdenken zu bringen.

Sie inszenieren in Dresden. Und in Dresden ist der 13. Februar 1945, dieser Bombenangriff, sehr präsent. Hätten Sie den Roman anders inszeniert, wenn es in München, Berlin oder in Hamburg gewesen wäre?

Bereits zum zweiten Mal inszeniert Claudia Bauer am Staatsschauspiel Dresden. Bildrechte: IMAGO / Hanke

Nein. Aber natürlich weiß ich, dass die Dramaturgie hier im Haus das Stück wahrscheinlich auch speziell für Dresden ausgesucht hat. Aber die Haltung, die ich zu so einem Stoff habe, der so extrem politisch ist, die verändert sich nicht dadurch, dass ich plötzlich in einer anderen Stadt bin. Ich bin natürlich total gespannt, wie die Dresdner die Inszenierung aufnehmen werden. Und das wird bestimmt ein bisschen anders sein als in München, weil die Städte einfach in unterschiedlichen Deutschlanden lagen. Dresden ist ganz anders gebeutelt worden durch die deutsche Geschichte. München auch, aber nicht so extrem. Aber ich bin ja kein Chamäleon. Ich kann nur Claudia Bauer sein: In Dresden bin ich das, und auch in München.

Das Interview führte MDR KULTUR-Theaterredakteur Stefan Petraschewsky am 18. Februar in Dresden. Es wurde redaktionell bearbeitet und gekürzt. Das vollständige Interview können Sie hier hören:
Bearbeitung: tsa

Weitere Informationen"Vaterland"
nach dem Roman von Robert Harris in einer Bühnenfassung von Claudia Bauer, Jörg Bochow und Lüder Wilcke

Regie: Claudia Bauer
Bühne: Andreas Auerbach
Kostüme: Vanessa Rust
Musik: Robert Lippok
Mit: Nadja Stübiger, Kaya Loewe, Ahmad Mesgarha und anderen

Termine:
23. Februar, 19.30 Uhr (Premiere)
3. März, 19.30 Uhr
10. März, 19.30 Uhr
Weitere Termine in Vorbereitung

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 22. Februar 2023 | 12:40 Uhr