Von Chemnitz bis Görlitz Publikumsschwund: Wie Theater in Sachsen gegen leere Plätze kämpfen
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Viele Theater in Sachsen haben ein treues Publikum. Dennoch sorgen Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg und Energiekrise auch hier für einen Besucherrückgang. Dem Publikumsschwund mit reinem Unterhaltungstheater zu begegnen, ist für Intendanten in Chemnitz, Dresden, Görlitz und Annaberg-Buchholz und die freie Theaterszene keine Option. Sie locken zwar mit Komödien – aber auch weiterhin mit ambitionierten Stoffen.

Die sächsische Kulturlandschaft hatte in diesem Jahr kaum Zeit, sich vom erneuten Winter-Lockdown zu erholen, den der Freistaat als einziges Bundesland wegen der hohen Infektionszahlen verhängte. Kaum sechs Wochen nach dessen Ende begann der russische Überfall auf die Ukraine und damit die nächste Krise. Hoffnungen auf einen erlösenden Ansturm auf die wieder geöffneten Häuser erfüllten sich nur teilweise. Theater beobachten eine gewisse Müdigkeit, eine Entwöhnung und schärfere Ausgabenkalkulation bei potenziellen Besuchern.
Dennoch zeigen sich sächsische Theater vom Besucherrückgang weniger alarmiert als beispielsweise einige westdeutsche Bühnen. Überall ändert sich das Besucherverhalten schon seit vielen Jahren. Die Neigung zur festen Bindung durch ein Abonnement nimmt ab, man entscheidet sich spontaner für einen Theater- oder Konzertbesuch.
Trotz weniger Theater-Abos ein treues Publikum
Insofern spricht Daniel Morgenroth, Intendant des Gerhart-Hauptmann-Theaters Görlitz-Zittau, sogar von einer "glücklichen Lage", wenn er einen Abo-Rückgang von nur acht Prozent konstatieren muss. Sein Kollege Joachim Klement vom Dresdner Staatsschauspiel beklagt zwar keinen Einbruch, aber "einen größeren Rückgang als in den vergangenen Jahren". Die Theatercard hingegen, mit der für einmalig 50 Euro alle Tickets nur noch die Hälfte kosten, ist in diesem Jahr schon 500 mal verkauft worden.
Sein treues erzgebirgisches Publikum lobt auch Intendant Moritz Gogg vom Annaberger Winterstein-Theater. "Die Abonnements sind nur gering geschrumpft". In die Naturbühne Greifensteine kamen im Sommer mit 30.000 Besuchern sogar 7.000 mehr als im Vorjahr. Christoph Dittrich, verantwortlich für das Chemnitzer Fünfspartentheater, berichtet von "gemischten Erfahrungen". Aboverluste einerseits, "erheblicher Zulauf" an den Abendkassen andererseits.
Spürbare Folgen des Lockdowns und Ukraine-Kriegs
Auf mögliche Unterschiede zwischen den Kulturraumtheatern und den Großstadtbühnen angesprochen, sieht Dittrich bei den kleineren Stadttheatern eine stärkere Bindung des Regionalpublikums. "In großen Städten hingegen ist der internationale Kulturtourismus überhaupt noch nicht wieder angelaufen".
Der Chemnitzer Intendant schreibt aber den Kampf um das Publikum kaum noch der Auswirkungen des Kulturlockdowns zu. Anders urteilt der Dresdner Joachim Klement. "Die Theater in anderen Bundesländern hatten die Chance, sozusagen ihre Kundenbindung kontinuierlicher zu pflegen!"
In der erst seit Mitte September angelaufenen Spielzeit beobachten alle im Vertrieb und an den Kassen ein neues Preisbewusstsein. Angesichts materieller Existenzsorgen erscheinen Ausgaben für die Künste manchen als Luxus. "Vor der Pandemie haben wir stets zuerst die höheren Preiskategorien verkauft", berichtet Christoph Dittrich. "Jetzt sind es die preiswerten Plätze."
Theater wollen Publikum nicht nur mit Komödien locken
Das gilt auch für die Freie Szene oder das gegenwartsorientierte Festspielhaus Hellerau. Doch anders als Stadttheater können diese Bühnen nicht einfach ihre Spielpläne Richtung Komödie verschieben, um einem gestressten Publikum Anreize zu bieten und ein befreiendes Lachen zu versprechen. Das widerspräche ihrem Selbstverständnis, existenzielle Fragen abzuhandeln.
Im Grunde können und wollen das die kommunalen und staatlichen Bühnen auch nicht. "Wir wollen den Spielplan nicht bunter servieren oder nur leichte Kost bieten. Das wäre tödlich für ein Stadttheater", ist Daniel Morgenroth in Görlitz überzeugt. "Keine geschmacklichen Konzessionen! Qualität entscheidet", heißt es in Chemnitz. "Wir haben keinerlei Veranlassung, unsere Zuschauer zu unterschätzen", pointiert Staatsschauspiel-Intendant Klement. Hier leistet man sich weiterhin Publikumsdiskussionen etwa nach den Vorstellungen der "Gas"-Trilogie.
Weihnachtstheater rettet am Ende das Geschäft
Kleine Zugeständnisse aber gibt es auch in Dresden. Ein Sommerspektakel am Japanischen Palais zum Ausklang der Spielzeit zum Beispiel. Eine "leichte Verschiebung weg von existenziellen Stücken", räumt Christoph Dittrich ein. "Aber nicht unkritisch, das wäre der Untergang des Theaters", fügt er hinzu.
Am weitesten geht Moritz Gogg vom Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg. Ein vorgesehenes zeitgenössisches Stück, das er noch nicht nennen will, kam nicht in den Spielplan. Millers "Hexenjagd" lief nur sehr kurz. Stattdessen ist ein neu aufgelegter Abend über den Erzgebirgssänger Anton Günter in der Studiobühne ausverkauft. Und die "Zauberflöte" und "Hänsel und Gretel" finden im Musiktheater garantiert ihr Publikum.
"Wir dürfen das Publikum nie aus den Augen verlieren", mahnt Gogg heute, der doch in seiner ersten Spielzeit die Erzgebirger auch mit ambitionierten Stoffen herausforderte. "Sie stehen im Zentrum, nicht irgendwelche selbtsreflexiven Dinge."
Redaktionelle Bearbeitung: Valentina Prljic
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 09. Oktober 2022 | 19:00 Uhr