Stück von Martin McDonagh "Der einsame Westen" am Theater Dessau: Pop, Trash und Enttäuschung
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Am Anhaltischen Theater Dessau hatte das Schauspiel "Der einsame Westen" Premiere. Geschrieben hat es der britisch-irische Autor und Regisseur Martin McDonagh, dessen jüngster Film "The Banshees of Inisherin" gerade in den Kinos und für mehrere Oscars nominiert war, wie auch schon der Vorgängerfilm "Three Billboards outside Ebbing, Missouri". Die Höhen dieser Filme erreicht die Inszenierung nicht.

Es gibt von der Theaterkritikerlegende Alfred Kerr die berühmte Anekdote, dass er einmal enttäuscht das Theater verließ und sagte: "Jetzt regnet es auch noch." In Dessau hat es geregnet gestern Abend! Vorher wurde die Erwartung, hier werde wie in den Filmen McDonaghs Interesse für die Menschen und auch die Abgründe des Lebens "am Rande" zu spüren sein, sei es in Irland oder eben in Missouri, derb enttäuscht.
Eine Welt der "Walking Dead"
Regisseur Marlon Tarnow verlegt die Handlung aus einer irischen Kleinstadt in eine postapokalyptische Welt. Es ist eine Welt, in der Walking Dead, also lebende Tote umgehen. Den ganzen Abend geistern sie herum in einem Stück, in dem es eigentlich um zwei Brüder geht, die sich endlos streiten, die ihre Menschlichkeit zu verlieren drohen in einer Welt, der ebenfalls die Menschlichkeit verloren geht. Das Stück wurde geschrieben Mitte der 90er-Jahre, es gibt darin noch Anklänge an den Nordirland-Konflikt, der in dieser Zeit noch einmal aufflammte.
In Dessau gibt es kein Irland, keine kleine Stadt am Rande der Welt mit den schrulligen Gestalten, für die Autor McDonagh berühmt ist. Stattdessen marschieren blassgeschminkte Zombies auf, und von Beginn an geht es laut und anarchisch und regelrecht hyperaktiv zu.
Der einsame Westen: Klamauk und Effekte
"Diese Stadt liegt nicht in Gottes Zuständigkeit", sagt Pater Welsh, eine Hauptfigur. Sätze wie dieser, die eigentlich trocken einschlagen und zugleich eine melancholische Qualität haben, gehen in Dessau unter in Klamauk und Effekten. Die Bühne ist eine Art Bretterverschlag, vor und hinter dem alles spielt. Hier leben die beiden Brüder und verschanzen sich vor den Zombies. Pater Welsh hatte die Zuschauer am Eingang begrüßt mit den Worten "Willkommen zur Messe", und tatsächlich hängt in der Bühnenmitte ein Kreuz.
Was darunter stattfindet ist allerdings keine Messe, sondern eine krude Versammlung von Zitaten aus der Alltags- und Popkultur: Super Mario tritt auf und tanzt mit den Untoten und kämpft gegen die Brüder. Die Schauspieler fahren mit Bobby-Cars über die Bühne, mit dem Mund Motorengeräusche machend. Es gibt Zombie-Cheerleader, es wird gesoffen, streckenweise übernimmt nicht stubenreines Vokabular den Abend. Der Pastor pinkelt und einer der Brüder übergibt sich auf die Bühne.
Schlagfertige Dialoge als Zoten-Revue
Das Ensemble hat sichtlich Spaß daran, und auch große Teile des Premierenpublikums lachen andauernd, manche beömmeln sich regelrecht. Dass ein Alltags-Publikum in der Studiobühne, das nicht zu einem großen Teil aus Theaterleuten, Freunden und Verwandten besteht, das alles genau so lustig finden wird, ist ein Fall für die Formulierung "bleibt abzuwarten". Denn warum dieses Stück in eine Zombiewelt verlegt wurde, erschließt sich nicht. Die viel zu schrille Ansprechhaltung der Inszenierung zerstört McDongahs Text regelrecht. Die Brüder streiten sich, sie argumentieren andauernd. Einer sagt, "du hast doch noch nie eine Frau geküsst." Sagt der andere: "natürlich, ich habe schon viele Frauen geküsst. Der erste: das waren keine Frauen, das waren deine Tanten, und du warst 12!" Das Stück hält zahlreiche schlagfertige Dialoge dieser Preisklasse bereit, Gefechte mit Worten, aber in der Dessauer Zoten-Revue werden sie weitgehend zerbrüllt und zerschrieen.
Trashige Kostüme
Die gesamte Ausstattung zielt auf die Walking-Dead-Welt, die Kostüme sind bewusst trashig und schmuddelig, dabei ist der Text endzeitlich genug: da bringen sich Menschen um, auch gegenseitig, saufen sich zu Tode. Der eingangs erwähnte Satz, hier sei Gott nicht zuständig, hätte mehr als genug Anregungen geboten, dieses Stück heutig und universell zu verstehen. Die Regie-Idee wollte Gegenwartsbezüge herstellen, erreicht aber das Gegenteil.
Musik von David Bowie und Miles Davis
Die Dessauer waren in etlichen ihrer Inszenierungen erfolgreich mit unerwarteten Themen und Regieansätzen. Frei und frech und originell haben sie "Jurassic Park" und "Vom Winde verweht" auf die Bühne gebracht. Filmstoffe, Bilder aus unserem kulturellen Gedächtnis, das findet viel zu selten statt auf unseren Bühnen. "Der einsame Westen" ist wieder so ein Versuch: es wird Musik eingespielt von Miles Davis bis zu David Bowie, es werden kleine Texte hinzugefügt, die auf Dessau verweisen (mehrfach wird von einer D-Jugend-Fußballmannschaft der Mädchen gesprochen, deren Trikots auch einige der Zombies tragen), aber dieses Mal – angesichts einer literarischen Vorlage - geht das Konzept nicht auf.
Im Programmzettel wird Frank Castorf zitiert, der Meister des assoziativen Verblendens von Stoffen und Themen, des Changierens zwischen Scherz und tieferer Bedeutung. Davon war diese Inszenierung weit entfernt, sehr weit. Und dann hat es auch noch geregnet …
Redaktionelle Bearbeitung: Florian Leue
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 25. März 2023 | 10:15 Uhr