Kritik Großes Opernkino: "Der König Kandaules" am Anhaltischen Theater Dessau
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In Dessau hat am 25. Februar 2023 das traditionelle Kurt Weill Fest begonnen – aber nicht mit einem Werk des 1900 in Dessau geborenen Komponisten, sondern mit einer Rarität: "Der König Kandaules", eine Oper des 1871 in Wien geborenen, über Prag und weitere Stationen ins US-Exil emigrierten und 1942 dort gestorbenen Alexander Zemlinsky. Uraufgeführt erst 1996, wurde das Stück nun in Dessau gefeiert. Unser Kritiker ist begeistert!

Verkehrte Welt in Dessau. Auf der Eintrittskarte steht "Der König Kandaules – Drama in drei Akten von André Gide". Tatsächlich handelt es sich um die gleichnamige Oper von Alexander Zemlinksy, der freilich André Gides Theaterstück (in der Übertragung durch Franz Blei) als Vorlage nutzte. Weiß man dies nicht, so herrscht anfangs arge Verwirrung, denn es wird tatsächlich gesprochen, viel und fleißig. Dies aber ist Programm und gehört zum Werk.
Zemlinskys "König Kandaules" ist eines jener Problemkinder der Musikgeschichte, die zu Lebzeiten des in Wien geborenen, ins US-Exil vertriebenen Komponisten (1871-1942) nie gespielt wurden. Erst 1996 gab es unter dem damaligen Chef der Hamburger Staatsoper, Peter Ruzicka, die Uraufführung – mit Ergänzungen von Antony Beaumont, der für bis dato noch fehlende Instrumentierung sorgte. 2002 brachte Ruzicka, nunmehr Intendant der Salzburger Festspiele, das Werk an die Salzach. Ein paar weitere Produktionen folgten.
Dessauer Inszenierung bietet rauschhafte Musik und eine mitreißende Handlung
Jetzt also Dessau. Leider vor ziemlich spärlich besetztem Auditorium, was sehr schade ist, vor allem fürs fehlende Publikum, dem vieles entgeht: rauschhafte Musik – hervorragend zum Leben und Leuchten gebracht von Markus L. Frank am Pult der Anhaltischen Philharmonie – ebenso wie eigentümliche Farbmischungen und vorsichtiges, freitonales Tasten.
Die Handlung ist ein echter Reißer: König Kandaules und sein Freund aus alten Tagen, der Fischer Gyges, nähern sich wieder an, als Gyges' Frau dessen Hütte abfackelt und ihr Gatte sie daraufhin tötet. Nun fand Gyges einen geheimnisvollen Ring in einem Fisch, der unsichtbar macht (der Ring, nicht der Fisch, kennen wir das nicht irgendwoher?).
Kandaules' Frau Nyssia ist bildhübsch, zeigt sich aber ungern unverschleiert, mit Hilfe des Rings schaut sich Gyges die Dame genau an und verbringt eine tolle Nacht mit ihr. Das macht den König rasend, Gyges tötet ihn und wird zum neuen Herrscher. Doch die Schöne übernimmt das Ruder und legt den Schleier ab.
Ein Brecht-Fest mit großartiger Besetzung
Regisseur Jakob Peters-Messer macht aus alledem ein Brecht-Fest, der Verfremdungseffekt ist Programm, die Protagonisten spielen oft an der Rampe und reden in Mikros (selten hörte man übrigens so gute Sänger so gut sprechen!), natürlich wird auch viel und ausdauernd gesungen. Jede Partie ist toll besetzt, etwa Tilman Unger als Kandaules mit kraftvoll selbstbewusstem Tenor, Kay Stiefermann als saftig baritonal glänzender Gyges, Iordanka Derilova als ebenso erotisch wie machthungriges Sopranwunder.
Die Bühne (Guido Petzold) zeigt zunächst eine Art Filmset, später gibt es luftige Vorhänge und viel Theateratmosphäre. Sven Bindseils Kostüme bieten von schmuddeligen T-Shirts bis zu exaltierten Roben so ziemlich alles. Verschleiert werden hier weder die Handlung noch Nyssia, sie braucht für ihre Emanzipation einfach nur Mimik, Gestik und auftrumpfendes Melos. Die manchmal an eine Probe erinnernde Ästhetik verstört immer wieder mal, dann wird es aber doch heftig theatral – es ist wirklich großes Opernkino in Brecht'schem Gewand!
Die – geschätzt – 300 bis 400 Zuschauer goutierten das ungewöhnliche Spektakel am Ende aufs Heftigste und es wäre ein Armutszeugnis, wenn es bei diesen Zahlen bliebe. Corona ist mehr oder minder vorbei, Zauberflöte gibt es immer und überall, jedoch diese Rarität nur kurze Zeit. Also, auf in die Bauhaus-Stadt!
Mehr Informationen
Der König Kandaules
Drama in drei Akten von André Gide
deutsche Umdichtung von Franz Blei
Musik von Alexander Zemlinsky
Instrumentierung vollendet von Antony Beaumont
Musikalische Leitung: Markus L. Frank
Inszenierung: Jakob Peters-Messer
Bühne, Lichtdesign, Video: Guido Petzold
Kostüme: Sven Bindseil
Dramaturgie: Marie Poll
Besetzung:
Nyssia: KS Iordanka Derilova
König Kandaules: Tilmann Unger
Gyges: Kay Stiefermann
Phedros: Kostadin Argirov
Syphax: Musa Nkuna
Nicomedes: Baris Yavuz
Pharnaces: Pawel Tomczak
Philebos: Yunus Schahinger
Simias: Alexander Dubnov
Sebas: David Ameln
Archelaos: Stephan Biener
Koch: Cezary Rotkiewicz
Trydo: Emely Richter
Statisterie des Anhaltischen Theaters Dessau
Anhaltische Philharmonie Dessau
Weitere Aufführungen:
Sonntag, 5. März 2023, 16 Uhr
Samstag, 25. März 2023, 17 Uhr
Sonntag, 2. April 2023, 16 Uhr
Samstag, 6. Mai 2023, 17 Uhr
Redaktionelle Bearbeitung: Cornelia Winkler
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 26. Februar 2023 | 09:40 Uhr