Miriam Tscholl, Leiterin der Bürgerbühne Dresden
Miriam Tscholl, künstlerische Leiterin von "X-Dörfer", ein Projekt des Staatsschauspiel Dresden zur Fröderung von Kultur im ländlichen Raum Bildrechte: MDR/Judith Burger

Staatsschauspiel Dresden Kultur im sächsischen Umland fördern: Das Projekt "X-Dörfer"

10. April 2023, 04:00 Uhr

Die Regisseurin Miriam Tscholl gründete 2009 die Bürgerbühne des Staatsschauspiels Dresden und etablierte das Montagscafé, einen transkulturellen Treffpunkt in der Stadt. Seit einiger Zeit hat sie die künstlerische Leitung eines neuen Projekts des Staatsschauspiels übernommen: "X-Dörfer". Mit Partizipation will es kulturelle und nachhaltige Strukturen im ländlichen Raum schaffen und den Austausch zwischen Stadt und Land fördern. MDR KULTUR-Theaterredakteur Stefan Petraschewsky hat mit Miriam Tscholl über "X-Dörfer" gesprochen.

Versuche, aus den Städten heraus das Land zu erobern, gibt es einige. In so genannten Residenz-Aufenthalten kommen zum Beispiel Schriftsteller*innen für einen gewissen Zeitraum in und an einen Ort, um dort zu schreiben und sich am kulturellen Leben zu beteiligen. Im Rahmen der Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch zum Beispiel spielt die Staatskapelle Dresden Konzerte in Gohrisch. Das alles ist gut, doch es gibt ein Problem: Die Kultur ist in diesen Fällen nur für einen begrenzten Zeitraum vor Ort – und dann wieder weg. Es gibt wenig Strukturen auf dem Land, anhand derer die Menschen vor Ort neue Kunst und Kultur erleben.

Staatsschauspiel Dresden fördert Kultur im ländlichen Raum

Hier setzt "X-Dörfer" an. In langen, aufwändigen Prozessen werden Kulturprojekte im ländlichen Raum angeschoben. Miriam Tscholl nennt das "aufsuchende Kulturarbeit." Mit Unterstützung entstehe etwas vor Ort, dass dann bleibt.

Damit etwas bleibt, ist es wichtig, die Identifikation der Leute mit dem Projekt stark anzugehen. Und das passiert mit einem hohen Grad an Beteiligung.

Miriam Tscholl, künstlerische Leiterin von "X-Dörfer"

Festival in Pirna und Theater im Erzgebirge entstanden

Bewerben können sich Gemeinden mit bis zu 40.000 Einwohner*innen, die nicht weiter als 60 Kilometer von Dresden entfernt liegen. Ein Din-A4-Blatt, auf dem zunächst nur eine Fragestellung formuliert ist, genügt. Dann kommt "X-Dörfer" in den Ort. Man setzt sich zusammen und denkt gemeinsam nach: Was könnte man machen? Was gibt es schon? Wer macht mit? Vor Ort ein Netzwerk zu finden, sei besonders wichtig, sagt Tscholl, denn nur wenn es genügend Mitstreiter*innen gäbe, funktioniert es. Wie in Reinhardtsdorf-Schöna im Erzgebirge, dort hat sich ein Verein gegründet: Der Sandsteinspiele e.V. mit dem Landschaftstheater ist mittlerweile eine feste Größe. In Pirna ist durch die Unterstützung von "X-Dörfer" ein Schreibfestival entstanden und in Nossen feiert im Juni ein partizipatives Theaterprojekt Premiere.

Zu sehen sind Menschen auf einem Platz in Pirna anlässlich des Schreibfestivals "Pirna schreibt"
Mit Unterstützung von "X-Dörfer" entstand ein Schreibfestival in Pirna. 2023 findet das Festival vom 22. bis 24. September statt. Bildrechte: Michael Kleinhenn

Kulturnetzwerke im sächsischen Umland stärken

Immer geht es darum, was die Leute vor Ort haben wollen: Mitwirkende werden zu Teilnehmern: Sie spielen selber, machen Musik oder kuratieren, in dem sie andere Künstler*innen einladen. "X-Dörfer" ist dazu da, Impulse zu geben, Kontakte zu vermitteln und den Austausch zwischen Stadt und Land voranzutreiben: Wie komme ich an Fördergelder? Wie kann ich mich mit Kulturschaffenden aus der Stadt vernetzen? Und umgekehrt: Wenn die aus der Stadt sagen: Okay, wir sollen Kultur auf dem Land machen, aber ich kenne doch da niemanden ...

Ich wage mal zu behaupten, dass für viele Kulturschaffende das sächsische Umland ein blinder Fleck ist. Dass sie lieber in Übersee oder anderen Großstädten arbeiten als vielleicht auf dem Land.

Miriam Tscholl, künstlerische Leiterin von "X-Dörfer"

partizipatives Theaterprojekt in Zu sehen sind Mitgleider eines Theaterprojekts in Nossen
Ein Projekt von "X-Dörfer" vom Staatsschauspiel Dresden: Das partizipative Theaterprojekt in Nossen hat im Juni 2023 Premiere. Ein Beispiel für die erfolgreiche Vernetzung von Kulturschaffenden auf dem Land mit der Stadt. Bildrechte: Michael Kleinhenn

Stadt und Land: Kultur-Konzepte auf Augenhöhe entwickeln

"Wir wollen, dass wir zusammen besser sind als jeder für sich alleine", sagt Miriam Tscholl. Das müsse auf Augenhöhe passieren. Doch oft heißt es zunächst: "Warum denn Staatsschauspiel?" Da sei dann am Anfang erstmal keine Augenhöhe. Dann zieht Tscholl ihren Joker: den Sandsteinspiele e.v.. Den kennen die Leute, und dann merken sie, dass sie von dieser Zusammenarbeit profitieren können.

Es gäbe in jedem Ort eine Herausforderung. Entweder fehlen Räume, oder es finden sich keine Mitstreiter. Im nächsten Ort sind viele Leute, die Ideen haben und was machen möchten, aber selber keine Kapazitäten mehr haben, Verantwortung zu übernehmen. Und natürlich gäbe es auch die Abwehrhaltung. Die habe sie in einem Ort erlebt, erzählt Tscholl. "Ich musste viele Mitstreiter gewinnen, um andere davon zu überzeugen, dass es mehr Menschen gibt, die das wollen als die, die das nicht wollen. Ich finde es aber auch okay, dass die das erstmal hinterfragen: Was wollen die aus der Stadt? Ist das missionarisch gedacht? Zeigen die uns jetzt, was gute Kultur ist? Wir haben doch hier Kultur. Finde ich als Reaktion verständlich und akzeptiere ich auch." Bis jetzt konnten solche Zweifel immer ausgeräumt werden.

Es müsste in Zukunft Kulturbüros für den ländlichen Raum geben, meint Miriam Tscholl. Anlaufpunkte, an denen man aktiv nach Hilfe fragen kann und aktiv Hilfeleistung bekommt: Mit Partnerschaften, die man mit Kulturschaffenden knüpft, wo man eben "aufsuchende Kulturarbeit" betreibt.

Zu sehen sind Menschen im Kulturcafé Freital
Durch das Projekt "X-Dörfer" entstand das Kulturcafé im Stadtkulturhaus Freital. Hier gibt es u.a. die "Sprechzeit Deutsch" zum gemeinsamen Deutschlernen, Chorsingen, eine offene Teestube und wechselnde Workshops. Bildrechte: Olaf Rumberg

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 10. April 2023 | 16:15 Uhr