"All das Schöne" Eisenacher Jugendtheaterstück erzählt, warum es sich zu leben lohnt

Seit der Spielzeit 2021/2022 sind Linda Ghandour und Jule Kracht fest am Landestheater Eisenach. Beide hatten großes Interesse, etwas zum Thema Depression zu erarbeiten. Nun bringt das Junge Schauspiel das Jugendtheaterstück "All das Schöne" auf die Bühne – eine lebensbejahende Suche nach Licht und Hoffnung.

Eine Frau mit schwarzem Jackett steht auf der Eisenacher Bühne und blickt nach rechts oben.
Mit dem Stück "All das Schöne" nimmt sich das Landestheater Eisenach des schwierigen Themas Depression an. Bildrechte: Sebastian Brummer

"Eiscreme. Wasserschlachten. Achterbahnen." – Am Ende werden es Millionen Gründe sein, warum das Leben doch irgendwie schön ist. Es ist eine Liste, die in Jahren entstehen wird – als Schutz, als Stütze, als Hilfeschrei und als Begründung, doch nicht so zu werden, wie es die Protagonistin als Kind bei der eigenen Mutter erlebt hat: Das ständige Abgleiten in düstere Zustände, in Angst und Depressionen.

Lisa Störr spielt dieses Ein-Personen-Stück "All das Schöne" am Landestheater Eisenach mit viel Dynamik, Witz und inmitten von Musik – oft an einem DJ-Pult. Ein Stück, das die Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen aufgreift und ein unbequemes Thema auf die Bühne bringt: Etwa 10.000 Menschen nehmen sich Jahr für Jahr das Leben, oftmals sind Depressionen der Auslöser dafür, auch bei Jugendlichen. 

Es fühlt sich an, als ob sich eine Falltür unter dir öffnet. Wehr dich oder lauf weg oder bleib so still stehen wie du nur kannst.

Zitat aus: "All das Schöne"

Kampf gegen Depression auf der Eisenacher Theaterbühne

"Das Thema interessiert mich persönlich, weil ich selber mit Depressionen zu kämpfen habe", erzählt Linda Ghandour, Regisseurin des Stückes am Landestheater Eisenach. Sie trägt kurze dunkle Haare, Cargohose, grünes T-Shirt. Sie ist seit der vergangenen Spielzeit fest im Team.

Theaterluft schnupperte sie schon als Kind in Weimar. Dort wuchs sie als Tochter eines syrischen Vaters auf und war Teil eines Kinderchores: "Meine erste Opernproduktion war 'Hänsel und Gretel' in Weimar. Im ersten Moment, als ich durch den Bühneneingang gegangen bin – und ich finde, jedes Theater hat so einen Theatergeruch: nach Puder, nach Molton, auch muffig – war ich sofort fasziniert und habe gedacht: Ich muss an so einem Ort arbeiten."

Offener Umgang mit psychischen Krankheiten

Porträt der Thüringer Regisseurin Linda Ghandour.
Regisseurin Linda Ghandour fragt, wie die Gesellschaft besser werden kann. Bildrechte: Landestheater Eisenach

Von 2013 bis 2016 studierte Ghandour am Hamburger Schauspiel-Studio Frese. Später war sie am Theater der jungen Welt in Leipzig engagiert, an der Landesbühne Niedersachsen Nord in Wilhelmshaven und am Stadttheater Ingolstadt. Sie arbeitete mit Jule Kracht zusammen, die ebenfalls seit der vorigen Spielzeit in Eisenach für das Junge Schauspiel verantwortlich ist.

Der Impuls, dieses Stück auf die Bühne zu bringen, kam von Kracht. Linda Ghandour setzte das Thema um, auch weil sie meint, dass es noch zu stark tabuisiert wird: "Über psychische Krankheiten wird immer noch zu wenig gesprochen, vor allem im Theater ist es mir zu wenig."

Spiel mit Publikum in Eisenach

Eine Frau mit Kapuzenpulli lehnt an einer beschmierten Wand und schaut angestrengt ins Leere.
Die Figur in "All das Schöne" kämpft mit düsteren Gedanken. Bildrechte: Sebastian Brummer

So hat sie mit ihrem Team eine hochdynamische Inszenierung entwickelt, die an Abgründe führt und doch das Schöne des Lebens als Leitplanken in den Raum wirft. "Einerseits wird das Kind von der Mutter allein gelassen, dadurch, dass die Mutter nicht mehr leben möchte. Andererseits aber auch vom Vater, weil der Vater absolut nicht weiß, wie er mit der Situation umgehen soll."

Der Theaterraum ist in buntes Licht getaucht, eine Frau schaut sich mehrere Plattencover an.
Die Inszenierung in Eisenach lebt auch von der Musik. Bildrechte: Sebastian Brummer

Linda Ghandour greift zu Musik als Brücke – von Techno bis Jazz mit Nina Simone und Frank Sinatra. Ihre Darstellerin wird zur DJane und interagiert mit dem Publikum. In manchen Sequenzen mutieren einzelne Gäste in die Rolle des Vaters, werden Teil eines Dialoges. An anderen Stellen wirft das Publikum "All das Schöne" – die Argumente und damit auch Positionen der immer länger werdenden Liste – ein: kleine und große Verrücktheiten, Banales und Besonderes. 

Theater und Gesellschaft

Ein Stück als Antwort auf tiefe Verzweiflung und die Frage: Was macht uns stark in dieser Zeit und wie sieht der Blick aus auf unsere Gesellschaft? Linda Ghandour ist kompromisslos: "Ich finde, dass Theater nicht nur der gesellschaftliche Spiegel sein sollte, sondern vielleicht einen Schritt weiter gehen kann und sich fragen sollte: Wie hätten wir es denn gerne? Aus welcher Perspektive können wir denn erzählen?"

Wenn es nach ihr geht, so darf sich Theater ruhig ändern: "Alles, worin wir leben, ist ein von Menschen gemachtes Konstrukt: unsere gesamte Gesellschaft. Also können wir als Menschen, als Gemeinschaft, das auch wieder ändern und fragen: Hat es so schon immer funktioniert? Und wenn ja, wie gut? Und für wen?"

Lis Störr steht auf der Bühne in Eisenach, an der Wand hinter ihr hänge viele kleine Zettel.
Das Publikum im Eisenacher Theater wird auch einbezogen. Bildrechte: Sebastian Brummer

Aus ihrer politischen, kritischen Haltung macht sie keinen Hehl. Linda Ghandour ist unbequem, und genau das will sie sein: "Ich bin schon sehr politisch, auch radikal. Das wird mir manchmal gesagt. Ich denke, dass wir als theatermachende Personen die Möglichkeit und den Raum haben, um Dinge gesellschaftskritisch anzusprechen, um das Denken, Handeln der Menschen hinterfragen zu lassen."

Ihrer Meinung nach dürfte Theater durchaus vielfältiger werden – in jeder Hinsicht: "Dafür muss aber auch eine Repräsentation aller Menschen stattfinden. Denn wenn nur weiße Menschen repräsentiert werden, kommen auch nur weiße Menschen ins Theater. Ich weiß, wie es mir ging, als ich noch jünger war und Menschen gesehen habe, im Theater oder Fernsehen, die auch mal aussahen wie ich und nicht immer nur wie die blonde hübsche Prinzessin. Das ist wichtig für junge Menschen – denn wir machen Theater für junge Menschen – dass sie sich sehen, dass sie sich erkennen."

Sie fühlen sich depressiv oder denken an Suizid?

Sie haben Selbsttötungsgedanken oder eine persönliche Krise? Die Telefonseelsorge hilft Ihnen rund um die Uhr unter: 0800/1110111 und 0800/1110222. Der Anruf ist anonym und taucht nicht im Einzelverbindungsnachweis auf.

Im Internet ist die Telefonseelsorge über Web-Mails und im Chat unter www.telefonseelsorge.org erreichbar. Auf der Website finden Sie weitere Hilfsangebote.

Das Info-Telefon Depression erreichen Sie unter 0800/33 44 533, an folgenden Tagen: Montag, Dienstag und Donnerstag von 13:00 bis 17:00 Uhr sowie Mittwoch und Freitag von 08:30 bis 12:30 Uhr.

Informationen zur Inszenierung "All das Schöne" von Duncan McMillan und Jonny Donahoe
Aus dem Englischen von Corinne Brocher

Regie: Linda Ghandour
Bühne & Kostüme: Linda Ghandour & Nora Lau
Musik: Andreas Klinger
Dramaturgie: Judith Sünderhauf
Mit: Lisa Störr

Premiere: 9. April 2022

Weitere Aufführungen:
13. Januar 2023, Großes Haus

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 09. April 2022 | 15:15 Uhr

Mehr MDR KULTUR