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Das Theater in Zittau blickt auf seine Geschichte – und bezieht das Publikum dabei mit ein. Bildrechte: Pawel Sosnowski/pawelsosnowski.com; Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau

Künstlerische AuseinandersetzungZittauer Grenzlandtheater: Eine Spurensuche in der Geschichte des Nationalsozialismus

01. November 2023, 04:00 Uhr

Das Grenzlandtheater in Zittau wurde 1934 aus der Ideologie des Nationalsozialismus errichtet. Das Haus setzt sich jetzt künstlerisch mit seiner Geschichte auseinander: Eine szenische Installation führt die Besucherinnen und Besucher durch das Theater, zeigt auch bislang verborgene Räume, sowohl architektonisch wie auch geschichtlich.

von Grit Krause, MDR KULTUR

Am Gerhart-Hauptmann-Theater in Zittau beschäftigt man sich derzeit in einer Inszenierung mit der eigenen Geschichte. Denn geplant und gebaut wurde das recht monumentale Haus von den Nazionalsozialisten als ein ebensolches, sogenanntes "Grenzlandtheater", ein Bollwerk deutscher Kultur an der Grenze zur damaligen Tschechoslowakei.

Zittauer Theatergebäude ein Zeugnis der Nazi-Ideologie

Wie wurde an diesem Theater gedacht und inszeniert, danach fragt die szenische Installation "Das Grenzlandtheater", die dort gerade aufgeführt wird. Darin gibt es zunächst eine zackige Begrüßung im Foyer, etwas Musik, dann treten zwei Herren auf, die beiden Architekten des Hauses.

Das Theater in Zittau wird auf allen Ebenen erfahrbar. Bildrechte: Pawel Sosnowski/pawelsosnowski.com; Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau

In einer flammenden Rede rühmt einer von ihnen, Hermann Alker, die Besonderheiten des Theatergebäudes. Er tritt an seine hinter ihm aufgehängten Entwürfe und erläutert stolz Details, die von der Nazi-Ideologie geprägt sind: "Meine Damen und Herren, Zittau hat als erste Stadt in Deutschland ein Theater erhalten, das die aus den Thingstätten heraus entwickelten neuen Theatergedanken in die Wirklichkeit umsetzt."

Thingstätten als Vorbild für Theaterbühne in Zittau

Mit Thingstätten, diese von den Nationalsozialisten geplanten, arenenartigen Freilichtbühnen, auf denen Mythos, Heroismus und Führerkult gepflegt wurden, kannte sich der Architekt Alker aus und übertrug das Prinzip in den Zuschauersaal des Zittauer Theaters, so beispielsweise die Abgerundetheit.

Im Originalentwurf von Herrn Hopp seien im Zuschauerraum noch Ecken mit eingeplant gewesen, die der von den Nazis protegierte Architekt Alker dann abgerundet hätte, erläutert Schauspieldirektor Ingo Putz und fährt fort "es war auch eine Idee, dass der Bühnenraum, der Zuschauerraum eins ist, dass es keine Ränge gibt. Offizell haben die Nazis gesagt: Wir wollen, dass alle gleich sind und die sollen alle auch gleichwertig sitzen. Es gibt einen Bühnenraum, der sich verschmelzen soll mit dem Bühneraum zu einer Erlebnisstätte."

Inszenierung zeigt Theater als politisches Instrument

Putz hat sich für seine Inszenierung eingehend mit der Geschichte des Hauses beschäftigt. Anlass dafür war der 90. Jahrestag der Machtergreifung der Nationalsozialisten, die nicht nur in den urbanen Zentren, sondern innerhalb kürzester Zeit auch in den kleinen Städen und Dörfen durchgesetzt wurde.

In Zittau werden gewöhnliche Treppenaufgänge zum Ort der künstlerischen Auseinandersetzung. Bildrechte: Pawel Sosnowski/pawelsosnowski.com; Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau

In Zittau – durch seine Grenze zur Tschechoslowakei in besonderer Weise – mit dem Bau des sogenannten Grenzlandtheaters ab 1934. Davon gab es im Deutschen Reich einige, meist wurden sie nur umbenannt, wie in Bautzen oder Annaberg-Buchholz. Zittau jedoch war eines von zwei Stätten, die extra neu errichtet wurden, als Bollwerk deutscher Kultur – auch mit Blick auf die Volksgenossen im Nachbarland. Denn dort, so Putz, wütete laut den Nationalsozialisten eine jüdisch-bolschewisitische Kultur, vor der die deutschen Kultur geschützt werden müsse, so hätten diese das empfunden.

Wir Zittauer, die an Deutschlands Grenze als Pionier des Deutschtums stehen, werden auch in unserm Grenzlandtheater Wache halten, dass deutsche Kultur nicht zu schaden gehen.

Aus der szenischen Installation "Das Grenzlandtheater"

Ein Parcours durchs "Grenzlandtheater" Zittau

Aus dem recherchierten Material, aus originalen Zeitungsartikeln, alten Spielplänen und der Rede des damaligen Intendanten zur Eröffnung hat Putz eine szenische Installation entwickelt. Es ist ein Parcours durchs Haus, begleitet von kurzen Schauspielszenen, die vom Alltag im Grenzlandtheater erzählen: von Proben, der Stückplanung und Arbeiten am Haus.

Die bergige Umgebung von Zittau wird im Theater zur Kulisse. Bildrechte: Pawel Sosnowski/pawelsosnowski.com; Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau

Geführt, oder besser angtrieben von zwei Darstellerinnen, zwei deutschen Mädels, gelangt das Publikum an Orte, die es sonst eher selten zu sehen bekommt: in den Orchestergraben, auf den Boden unterm Dach oder unter die Drehbühne, wo sich auch der Grundstein des Hauses befindet.

Auch die technischen Räume des Theaters, so wie hier unter der Bühne, sind Teil der Aufführung. Bildrechte: Pawel Sosnowski/pawelsosnowski.com; Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau

Immer wieder gibt es zudem Begegnungen mit der Tanzcompany bzw. ihren Choreografien – ein sinnlicher Kontrast zum teilweise schwer erträglichen nationalsozialistisch geprägten Originalton der Textcollagen.

Diktatoren und Kultur – Beispiel Ukraine-Krieg

Für Putz sind die Grenzlandtheater letztlich aber nur die Vorhut gewesen, er sagt: "Wenn ich das hinter der Grenze als kulturelles Feindesland erkläre und sage, ich mache jetzt hier Theater und Kultur für deutsche Volksgenossen, die in der Tschechoslowakei wohnen, dann ist der Schritt auch irgendwann nicht mehr weit: Ich muss diese Minderheit dort schützen, ich muss da einmarschieren. – Und das ist ja dann auch passiert."

Diese Figur des Parcours erinnert an István Szabós Spielfilm "Mephisto" über die Verknüpfung von Theater und Nationalsozialismus. Bildrechte: Pawel Sosnowski/pawelsosnowski.com; Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau

Und damit setzt sich die szenische Installation nicht nur mit der Geschichte des eigenen Hauses auseinander, sondern, mit Blick auf den Ukraine-Krieg, zeigt sich, dass sich Diktatoren nach wie vor dieser perfiden Strategie, einen vermeintlichen Kampf der Kulturen heraufzubeschwören, bedienen.

Die Aufführung"Das Grenzlandtheater"
Szenische Installation zur Machtergreifung 1933

Buch und Regie: Ingo Putz
Aufführungsdauer: ca. 60 Minuten ohne Pause

Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau
Theaterring 12, 02763 Zittau

Nächsten Vorstellungen im Haus Zittau:
16. November 2023, 18 Uhr
16. November 2023, 19.15 Uhr
16. November, 2023, 20.30 Uhr
23. November 2023, 18 Uhr
23. November 2023, 19.15 Uhr
23. November, 2023, 20.30 Uhr
2. Dezember 2023, 18 Uhr
2. Dezember 2023, 19.15 Uhr
2. Dezember, 2023, 20.30 Uhr
Pro Aufführung können 25 Personen teilnehmen.

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 01. April 2023 | 08:40 Uhr