Eine Frau mit kurzen Haaren und eine Frau mit langen blonden Haaren lächeln
Die dänische Schauspielerin und Regisseurin Mille Maria Dalsgaard (h.l.) ist designierte Intendantin von neuem theater und Thalia Theater in Halle, die sie ab August 2023 gemeinsam mit Mareike Mikat leiten wird. Bildrechte: Bühnen Halle/Falk Wenzel

Führungswechsel Neues Theater in Halle: Was Theater für die neue weibliche Doppelspitze bedeutet

09. Mai 2023, 04:00 Uhr

Die dänische Schauspielerin und Regisseurin Mille Maria Dalsgaard wird ab der Spielzeit 2023/2024 neue Intendantin des Schauspiels in Halle. Gemeinsam mit Mareike Mikat teilt sie sich die künstlerische Leitung des neuen theaters sowie des Thalia Kinder- und Jugendtheaters. Lange machten die Bühnen Halle mit Querelen Schlagzeilen, jetzt bricht mit dem weiblichen Führungsduo offenbar eine neue Ära an. Beide sprechen von Enthusiasmus am Haus und in der Stadt. Was sie vorhaben und wie gut sie den Einsatzort kennen, haben sie MDR KULTUR verraten.

Theater im Hier und Jetzt und für alle, das versprechen Mille Maria Dalsgaard und Mareike Mikat als neues Führungsduo für das Schauspiel in Halle. Im Gespräch mit MDR KULTUR verweisen beide auf den großen Enthusiasmus, der ihnen am Haus begegne – und in der Stadt, die sich etwa mit der Schaffung eines Zukunftszentrums "riesigen Aufgaben" gegenüber sehe, wie Mikat erklärt. "Alle wissen, dass auch wir viel vorhaben", sagt Daalsgard.

Im August 2023 treten beide die Nachfolge von Matthias Brenner an, die Dänin Dalsgaard als Intendantin und künstlerische Leiterin, Mikat als deren Stellvertreterin in einem neuen "partizipativen Modell".

Dalsgaard und Mikat: Prägende Anfänge in der Ära Hahn in Halle

Dabei sind beide nicht neu in der Stadt. Die 43-jährige Dalsgaard war von 2007 bis 2009 Leiterin des Jugendclubs des Thalia Theaters und bis 2010 Ensemblemitglied unter der Intendanz von Annegret Hahn: "Das war für mich eine sehr prägende Zeit", betont Dalsgaard mit Blick auf Hahns Ansatz, auf echte Interaktion zu setzen, das Theatergebäude auch mal zu verlassen, den Stadtraum bis an die Peripherie zu erobern und offen für verschiedenste künstlerische Formen auf der Bühne zu sein. Mit dem Prinzip einer großen Öffnung des Hauses habe sie sich später als Theatermacherin in Kopenhagen ein Stammpublikum aufgebaut, in einem Stadtteil, der bis dahin kein Theater hatte, so Daalsgaard, die seit 2013 das Sydhavn Theater in der dänischen Hauptstadt leitet.

Zwei Frauen auf einem Sofa.
Weißes Sofa, weiße Wand – wie ein unbeschriebenes Blatt für Mareike Mikat und Mille Maria Dalsgaard Bildrechte: MDR/Stefan Petraschewsky

Mikat, 1978 in Frankfurt an der Oder geboren, sieht in Hahns "Innovationsenergie" ein Vorbild, zudem habe sie jungen Regisseuren wie Dirk Laucke oder Mirko Borscht die Gelegenheit gegeben, ihre Handschrift zu entwickeln und sie selbst von der Berliner Schauspielschule "Ernst Busch" nach Halle geholt. In der Saison 2007/2008 war Mikat am Kinder- und Jugendtheater Thalia in Halle Hausregisseurin und später unter Centraltheater-Intendant Sebastian Hartmann in Leipzig mit fürs Programm der Experimentierbühne Skala zuständig.

Die Intendantin des Thalia Theaters Halle, Annegreth Hahn, aufgenommen am 26.04.2010 in Halle (Saale).
Die ehemalige Intendantin des Thalia Theaters Halle, Annegret Hahn. Mit der damaligen Schließung der Spielstätte des Kinder- und Jugendtheaters 2010 hörte sie auf. Bildrechte: picture alliance / dpa | Peter Endig

"Ultras" oder: Theater, das sich einmischt

Dalsgaard und Mikat wollen sich mit dem Theater in Halle einmischen. Auch dafür haben sie ein Beispiel aus der Ära Hahn parat. Furore machte 2009 die Aufführung des Dokumentartheater-Stücks "Ultras". Hahn hatte Dirk Laucke angefragt, sich mit Fankulturen des Halleschen FC auseinanderzusetzen. Laucke holte dann auch HFC-Ultras als Darsteller auf die Bühne, die Inszenierung, die antisemitische Hassrufe nicht aussparte, führte zum Skandal. Das Stück wurde stark kritisiert und dann vorzeitig aus dem Spielplan genommen.

Fans des Halleschen FC zünden Pyrotechnik
Fans des Halleschen FC zünden Pyrotechnik: Mit den "Ultras" des HFC beschäftigte sich ein Stück von Dirk Laucke am Thalia Theater Halle 2009. Bildrechte: IMAGO/Picture Point LE

Dalsgaard findet, "Ultras" habe für die Diskussion eines wichtigen Themas in der Stadt gesorgt, und genau dafür sei ein Stadttheater da. Zudem habe Hahn nicht nur "Ultras", sondern ebenso Anne Franks Tagebuch als Klassenzimmer-Stück inszeniert. Darin spielte Dalsgaard selbst mit, sie erinnert sich an den Polizeischutz während der Premiere und resümiert: "Ein Spielplan ist ein Gesamtgefüge aus ganz unterschiedlichen Inhalten und Formen. Das wird auch bei uns so sein. Unsere Ambition ist ja, das Publikum zu erweitern." Die Frage, wer sichtbar werden dürfe auf einer Theaterbühne, beschäftige sie dabei stark, ergänzt Mikat. Gemeint fühlen sollten sich alle, so Dalsgaard, "die Menschen, die bereits ins Theater gehen, aber auch die, die noch gar nicht wissen, dass es das gibt. Alte Menschen, die Hilfe brauchen, um ins Theater zu kommen genauso wie Junge und neu Zugezogene." Und:

Es gibt für viele Hemmschwellen, ins Theater zu gehen. Wir wollen das Thalia und das neue theater zugänglicher machen.

Mille Maria Daalsgard Designierte Schauspiel-Intendantin Halle
Zwei Frauen sitzen auf einer Couch mit einem Mikrofon vor ihnen. 23 min
Bildrechte: Stefan Petraschewsky
23 min

Das neue Führungsduo am nt Halle übernimmt ab August die Geschicke des Theaters. Im Interview mit Stefan Petraschewsky haben sie über ihr Verständnis von Theater und wie sie dies in Halle einbringen wollen gesprochen.

MDR KULTUR - Das Radio Do 04.05.2023 17:19Uhr 23:26 min

https://www.mdr.de/kultur/videos-und-audios/audio-radio/dalsgaard-mikat-nt-halle-interview100.html

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In den Fußstapfen von Sodann und Brenner zu neuen Ufern

Auch hier fangen sie nicht bei Null, räumt Dalsgaard ein. Die Pionierarbeit des Gründungsintendanten Peter Sodann, der aus einem Lost Place mitten in der Stadt eine Kulturinsel mit Theater, Kneipe und Café machte, sei etwas einzigartiges, lobt Dalsgaard.

Peter Sodann vor dem neuen theater in Halle (Saale), das am 08.04.2016 sein 35. Jubiläum feierte.
Peter Sodann, Begründer der Kulturinsel und langjähriger Intendant des neuen theaters in Halle Bildrechte: imago/Felix Abraham

Jetzt aber sei die Frage, "wie sehen die neuen Ufer heute aus? Und wie kommt man dahin? Wie können wir uns für andere öffnen?" Regisseurin Mikat erklärt zu künftigen Spielplänen, die Probleme von Kurfürsten oder Liebesirrungen und -wirrungen an Königshöfen seien nur dann interessant, wenn man sie im Shakespeareschen Sinne "in den Schlamm hinunter ziehe", damit ein heutiges Publikum sich damit idenfizieren könne:

Uns interessiert das Lebendige, das Menschliche; Stücke, die inhaltlich und in der Spielweise zugänglich sind, ohne Sprachbarriere. Das ist, was wir unter Volkstheater verstehen. Und da sind wir durchaus in den Fußstapfen von Sodann und Brenner unterwegs.

Mareike Mikat Neue stellv. künstlerische Leiterin am nt Halle

Soziale Fragen im Theater: Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Dabei greifen sie auf ihre eigenen Erfahrungen zurück. Dalsgaard und Mikat sind Weggefährtinnen, die sich zu Studienzeiten in Berlin begegneten und in Halle erstmals gemeinsam arbeiteten. Gefeiert wurden sie für ihr gemeinsames Projekt "Nora – ein mobiles Puppenheim", das Mikat mit Dalsgaard in der Hauptrolle 2014 inszenierte. Darin konfrontierten sie Ibsens tragische Heldin, die aus der Rolle als gehorsame Ehefrau und Mutter ausbricht, mit bis heute ungelösten sozialen Fragen. "Nora" tourte dann in einem Wohnwagen durch Kopenhagen, auch dorthin, wo Prostituierte ihre Dienste mobil anbieten.

Neues Theater Halle
Die Kulturinsel vereint Theater und Gastronomie mitten in der Stadt. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Soziale Fragen stellen sich für Dalsgaard und Mikat nicht nur auf der Bühne. Sie streben auch im Theater selbst nach einer Praxis, die Arbeit und Leben vereinbar macht, also Zeit lässt, sich um die Familie zu kümmern, um die eigenen Kinder, um Geschwister, die Hilfe oder Angehörige, die Pflege brauchen. Da sei Dänemark ein Stück weiter, weiß Dalsgaard und meint:

Es ist ein Gewinn für alle, wenn sich Theaterschaffende nicht nur im Gemäuer aufhalten, sondern ins Leben reingehen.

Mille Maria Daalsgard Designierte Schauspiel-Intendantin in Halle

Also ins Hier und Jetzt.

Das Interview führte Stefan Petraschewsky, Redaktionelle Bearbeitung: Katrin Schlenstedt

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 09. Mai 2023 | 18:05 Uhr