Europäische Koproduktion "Dracula" in Halle: Düsteres Bildertheater mit virtuosem Puppenspiel

Das Puppentheater Halle hat die norwegisch-französische Gruppe Plexus Polaire für eine Koproduktion eingeladen. Inspiriert von einer isländischen Übersetzung des Bram-Stoker-Romans "Dracula" hat Regisseurin Yngvild Aspeli Abend gestaltet. Wer die Geschichte nicht kennt, wird wohl nicht alles verstehen. Doch Fans erleben einen starken Abend mit faszinierenden Bildern.

Menschen führen mit Puppen "Dracula" auf.
Virtuos bewegt das Ensemble des Puppentheaters Halle die lebensgroßen Figuren. Bildrechte: Anna Kolata

Wer das Puppentheater Halle kennt, wird wissen: Das ist ein Ort, an dem Halle wirklich "1. Liga spielt". Dank der Kooperation mit der norwegisch-französischen Gruppe Plexus Polaire sogar die Europa League. Die Inszenierung von "Dracula" setzt in erster Linie auf Handwerk: Das virtuose Spiel mit den lebensgroßen Puppen ist – wie die Puppen selbst – spektakulär.

Die Grundstimmung ist schaurig, die Bühne dunkel, die Musik gespenstisch. Gleich zu Beginn kreisen Vögel vor dem schwarzen Bühnenhintergrund im Raum, so wie man es aus den "schwarzen Theatern" kennt. Man sieht die Spieler nicht, sondern nur die von ihnen geführten Figuren: Den Vögeln folgt ein großer schwarzer Hund (ganz sicher ein Publikumsliebling des Abends) und schließlich Graf Dracula selbst.

Menschen führen mit Puppen "Dracula" auf.
Der Abend in Halle lebt vom Zusammenspiel zwischen Mensch und Puppen Bildrechte: Anna Kolata

Stärken des Puppentheaters Halle

Wie gewohnt gehört es zur Ästhetik des Puppentheaters Halle, dass Puppen- und Schauspiel sich durchmischen. Die Rollen sind immer doppelt besetzt – mit Mensch und Puppe, und immer wieder finden "Übergaben" der Bühnenhandlung zwischen ihnen statt. Die Bewegungen der Puppen wirken auf wundersame Weise nahezu menschlich. Dadurch, dass sie wirklich genauso groß wie die Schauspieler und Schauspielerinnen sind, ergibt das ein sehr organisches Miteinander. In dieser Form schwebt der Abend regelrecht durch die Handlung: die Ankunft in Draculas Schloss, der Vampirkuss, sogar eine kleine Vampirkuss-Orgie. Es sind großartige Bilder, die Regie und Ausstattung dabei auf der zeitweise mit Videoeffekten "verzauberten" Bühne entstehen lassen.

Zahlreiche Feinheiten und Details machen dieses Spiel zu einem raffinierten Bilderrätsel. So sieht eine Schauspielerin auf der Vorderbühne zu Beginn eine zweite Schauspielerin im gleichen Kostüm hinter einem Vorhang – ihr Spiegelbild! Ein wichtiges Detail, weil Vampire eben kein Spiegelbild haben. Schließlich beginnen die beiden gemeinsam eine Puppe im gleichen Kostüm zu führen, zu bewegen, erst sichtbar und dann schließlich unsichtbar, so dass sie dann scheinbar selbst spielt.

Menschen führen mit Puppen "Dracula" auf.
Yngvild Aspeli entwickelt großartige Bilder aus der Geschichte. Bildrechte: Anna Kolata

Diese Bildsprache zeichnet den Abend aus: eine fledermausartig kopfüber in der Luft hängende Puppe. Rote Wollfäden, mit denen sich fünf Draculas bei der sogenannten Bluthochzeit mit einer Puppe verbinden – gefangen und zuckend in einem Fadennetz aus Blutbahnen, bewegt von den Schauspielern, wird daraus eine beeindruckende Choreografie.

Keine Nacherzählung von Dracula

Bei der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Dracula-Stoff hält sich die Regisseurin weitgehend zurück. Der Abend bleibt hauptsächlich illustrativ. Die Fassung reduziert den Stoff auf wenige Bilder. Eine "erzählte Handlung" findet kaum statt. Regisseurin Yngvild Aspeli liefert in Halle einen größtenteils nonverbalen "Dracula" ab. Ein wenig enttäuschend ist, dass der Abend nur eine knappe Stunde dauert und denjenigen, die den Roman nicht kennen, wenig beim Verstehen von Handlung und Rollen hilft. Was man erkennt, sind die bekannten Dracula-Motive: Graf beißt Frau, Frau beißt Mann, und irgendwann sind alle Vampire.

Am Ende hat der schwarze Riesenhund noch einen Auftritt: War er anfangs noch eine bedrohlich wirkende Kreatur, ist er inzwischen ein braves Hündchen und macht artig Männchen. Dies ist die einzig deutlich erkennbare Änderung der bekannten Dracula-Geschichte. Man kann es sogar als utopischen Moment bezeichnen, dass der Mensch die bösen Kräfte der Natur – und auch diejenigen in sich selbst – doch bändigen, besiegen oder zumindest dressieren kann.

Menschen führen mit Puppen "Dracula" auf.
Die Handlung von "Dracula" wird kaum nacherzählt. Bildrechte: Anna Kolata

Die weiteren im Programmheft genannten Besonderheiten der verwendeten isländischen Fassung des Romans bleiben unauffällig. Möglicherweise ist die stärker erotisch konnotierte Darstellung der weiblichen Hauptfigur Mina eine davon. Als weitere Abweichung kann die mystisch angehauchte, düstere Musik der Norwegerin Ane Marthe Sørlien Holen verstanden werden, die mehr an Nordeuropa denken lässt als an die Karpaten. "Dracula" in Halle ist eine dichte, atmosphärische Stunde großen Bildertheaters mit hervorragendem Puppenspiel.

Weitere Informationen "Dracula" ist eine Koproduktion des Puppentheaters Halle und Plexus Polaire.

Regie: Yngvild Aspeli
Musik: Ane Marthe Sørlien Holen
Dramaturgie: Pauline Thimonnier
Bühne und Kostüme: Elisabeth Holager Lund
Puppen: Elise Nicod, Pascal Blaison & Manon Dublanc
Video: David Lejard-Ruffet
Mit: Luise Bose, Nils Dreschke, Sebastian Fortak, Luise Friederike Hennig und Louise Nowitzki

Weitere Termine in Halle:
16. Februar 2023, 20 Uhr
18. Februar 2023, 20 Uhr

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 16. Oktober 2021 | 12:15 Uhr

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