"Knast" Theaterstück mit Knackis: Mit dem Theaterhaus Jena ab ins Gefängnis
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Das Theaterhaus Jena hat die Welt hinter Gittern thematisiert und ist dafür in die Justizvollzugsanstalt Hohenleuben gegangen, wo Thüringens männliche Erst- und Kurzstraftäter einsitzen. Auf Grundlage von Interviews mit Gefangenen ist eine Spielvorlage entstanden, in der es um das Leben im Knast, die Sorgen und Nöte der Gefangenen sowie das grundsätzliche System des Strafvollzuges geht. Das regt zum Nachdenken an und bietet einen spannenden Perspektivwechsel.

Das Team vom Theaterhaus Jena hat bekanntlich keine Lust auf Theaterstücke, die es schon gibt. Dem Ensemble geht es um neue Sichten auf die Welt. Dafür hat man in der neuesten Produktion die Welt hinter Gittern ins Visier genommen und ist in den Knast gegangen. In die Justizvollzugsanstalt Hohenleuben, wo Thüringens männliche Erst- und Kurzstraftäter einsitzen. Nicht die ganz schweren Jungs also.
Schauspieler hinter Gittern
Das Programmheft zum Stück nennt ein Dutzend Vornamen von Gefangenen, zu denen sogar eine gewisse kollegiale Verbindung existiert. Sie sind alle Mitglieder der Theatergruppe der JVA. Auf der Grundlage von Interviews mit ihnen ist eine Spielvorlage für das Theater entstanden. In der geht es im Prinzip um alles, was das Leben da drinnen ausmacht und was es mit dem Tun und Denken der Knackis anstellt.
Die allerdings sind auf der Bühne nicht dabei. Fluchtgefahr? Soll ja vorkommen, dass Gefangene die Chance der Premiere zum selbstverordneten Freigang nutzen? Die Frage lassen wir mal offen und wenden uns dem Bühnengeschehen zu.
Fünf Spieler und ein Dutzend Gefangene
Dort agieren die drei Schauspieler Nikita Buldyrsi, Paul Wellenhof und Leon Pfannenmüller, der auch Idee zum Stück hatte und Regie führt. Dazu noch die Schauspielerin Linde Dercon und der Live-Musiker Wilhelm Hinkel. Der verleiht dem Abend mit Mülleimer, Fußmaschine und Jazzbesen einen wunderbaren Beat.
Die Szene ist eine Turnhalle, in der die fünf sich selbst im Wechsel mit den nicht anwesenden Gefangenen spielen. Diese werden eindrucksvoll Gestalt, erzählen über ihren Alltag im Knast, ihre Sorgen und Nöte, was gut läuft und gar nicht geht. Und auch über das, was sie motiviert, in der Theatergruppe mitzumachen: "Mal alle Fünfe gerade sein lassen. Die Sau rauslassen, die sonst in einem eingesperrt bleibt. Mädchen sehen."
Als Frau im Männerknast
Mit Linde Dercon ist auch eine junge Frau mit von der Partie. Theatraler Verfremdungseffekt und garantiert ein Aufreger bei den Interviews in der JVA. Was soll's, in einem wilden Spiel, bei dem sowieso alles ständig die Rollen wechseln und überhaupt in unserer Zeit, ist das Männer-Frauen-Bild offensichtlich auch im Knast ein anderes. "Warum soll mich nicht eine Frau spielen, spricht nichts dagegen" – erfahren wir aus dem Protokoll. Diese auch selbstironischen Rollenwechsel sind ein gewitzter Spielzug, der das Fehlen der echten Knackies auf der Bühne geschickt ausgleicht.
Dürfen die denn das?
In Zeiten moralischer Überkorrektheit auf dem Theater könnte da schnell das heikle Thema der Aneignung im Bühnenraum stehen. Privilegierten Schauspieler, die wieder rausdürfen, nehmen die Themen der da drinnen mit und glänzen draußen mit einer Performance darüber.
Eine Frage, die sich auch die Fünf auf der Bühne stellen. "Kommen die, um die es hier geht, überhaupt vor?" heißt es da einmal. Die Antwort: Ja, das tun sie!
Plötzlich sind die Fünf auf der Bühne wieder die anderen, stellen sich mit ihren Delikten und Strafen vor. Dazu kommen Momente des Selbsthinterfragens: Was tun wir hier eigentlich? Wie wirken wir auf die Gefangenen?
Zum Spiel gehört auch eine Kritikrunde, die es offenbar nach einer Aufführung des Stücks im Knast gegeben hat. Jeder der Fünf spielt vor, was er mit auf den Weg gekriegt hat.
Spielraum für Täter, was ist mit den Opfern?
Auch das System Knast wird ganz grundsätzlich hinterfragt, wenn es in einem ruhigen Moment darum geht, was dieses Einschließen und Wegsperren überhaupt bringt. Ist das allein schon Wiedergutmachung von Schuld? Kann man da etwas ausgleichen zwischen Tätern und Opfern? Das am Ende vielleicht sogar zu Vergebung führen kann?
Da wird vieles in den Raum gestellt, ohne immer eine kluge Antwort parat zu haben. Gemeinsames Nachdenken ist angesagt. Das macht was mit dem Publikum, in 90 intensiven Minuten mit tiefgründigen, leisen aber auch turbulenten Momenten und einem emotionalen Ende. Das viel mit einem sehr persönlichen Brief eines der Gefangenen an den Regisseur und dem Mut, im Namen und Auftrag eines anderen, einmal ganz aus sich herauszugehen, zu tun hat. Was das ist wird hier nicht verraten. Selber hingehen, es lohnt sich!
Redaktionelle Bearbeitung: op
Die Aufführung
"Knast"
Von und mit: Nikita Buldyrski, Linde Dercon, Leon Pfannenmüller, Paul Wellenhof
Konzept und Regie: Leon Pfannenmüller
Konzept und Dramaturgie: Hannah Baumann
Theaterhaus Jena gGmbH
Schillergässchen 1, 07745 Jena
Premiere am 3. März 2023
Weitere Aufführungen:
08.03.2023, 20:00 Uhr
09.03.2023, 20:00 Uhr
10.03.2023, 20:00 Uhr
11.03.2023, 20:00 Uhr
28.04.2023, 20:00 Uhr
29.04.2023, 20:00 Uhr
Die Produktion ist in Kooperation mit der JVA Hohenleuben entstanden und wird im Theaterhaus Jena sowie in der JVA Hohenleuben gezeigt.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 04. März 2023 | 10:15 Uhr