PodiumsdiskussionDiskussion in Jena: Wie funktioniert Theater ohne Intendanz?
Wie können hierarchische Strukturen am Theater aufgebrochen werden? Diese Frage stand im Fokus einer Podiumsdiskussion am Theaterhaus Jena. Das Haus selber hat sich schon vor vielen Jahren von den klassischen Stadttheater-Strukturen losgelöst, um nach Gegenentwürfen zu suchen. Das Gespräch hat einen Einblick gegeben, wie das angestrebte Kollektiv-Modell in der Praxis funktioniert.
So liberal und progressiv Theater nach außen wirken und auf der Bühne sein kann, so hierarchisch und autoritär sind die Strukturen jahrzehntelang nach innen gewesen. Oben der Intendant - in den allermeisten Fällen männlich - unten die Schauspielerinnen und Schauspieler, die zu Beginn der Spielzeit am Reißbrett nachgucken können, in welchen Stücken sie welche Rollen spielen werden.
Diese Strukturen werden seit einigen Jahren immer mehr hinterfragt. Nicht zuletzt wurde dies auch durch die Me-Too-Debatte angestoßen, die mit dem Harvey-Weinstein-Skandal begann, unterdrückerische Strukturen in Hollywood offenlegte und später dann auch die (deutsche) Theaterwelt erreichte.
Theater ohne Intendanz, aber mit Leistungsteam
Wie aber sieht ein Gegenentwurf zum Intendanten-Prinzip aus? Kann man ein Theater auch anders leiten? Über dieses Thema wurde am 9. Dezember im Theaterhaus Jena diskutiert. Das Theaterhaus kann dazu aus eigener Erfahrung sprechen, denn es funktioniert schon lange nicht mehr, wie das klassische Stadttheater. Schon seit der Wende tritt es als gemeinnützige GmbH auf und hat keine Intendantin, keinen Intendant sondern verfolgt ein kollektives Leitungsprinzip.
Vier Frauen auf dem Podium in Jena
Zu den Podiumsgästen in Jena gehörte Lizzy Timmers, als Teil des aktuellen Leitungsteams im Theaterhaus. Anna Volkland, Dramaturgin aus Leipzig, die außerdem an der Universität der Künste in Berlin zur Geschichte des Theaters forscht. Und zwei Schauspielerinnen: Henrike Commichau, die dem bestehenden Ensemble angehört und Angela Hausheer, die in den frühen 90ern am Theaterhaus Jena engagiert war.
Letztere hatte auch indirekt den Anlass für die Diskussionsrunde gegeben. Sie stieß auf ein Video, ein Interview, das der MDR 1995 mit der Schauspielerin Angela Hausheer geführt hat. Darin spricht die Schauspielerin, damals in ihren Zwanzigern, über die Arbeitsweisen während ihres ersten Engagements und erklärt, warum sie das Theaterhaus nach vier Jahren verlassen wird.
Die Probleme und offenen Fragen von damals wollte das Theaterhaus Jena über zwanzig Jahre später im Rahmen der Podiumsdiskussion in die Gegenwart stellen. Auch, weil sie nach wie vor aktuell sind.
Probleme der maximalen Mitbestimmung
Die Gründe, das Theaterhaus zu verlassen, bestanden für Hausheer darin, dass das System der kollektiven Theaterführung ihrer Meinung nach nicht richtig funktionierte. Alle Ensemblemitglieder durften bei allen Entscheidungen mitreden und am Ende auch mitbestimmen. Also ein basisdemokratisches System.
Das hatte zur Folge, so schildert es die junge Hausheer, dass alles dermaßen intensiv diskutiert werden musste, so dass - kurz gesagt - zu wenig Zeit für die Kunst blieb. Das wiederum führt zu der Frage: wie viel und welche Art von Mitbestimmung am Theater funktioniert, ist sinnvoll? Ohne gleich vor Realitäten zu kapitulieren, die Utopie widerstandslos aufzugeben.
Bis heute sucht das Theaterhaus Jena Antworten auf diese Fragen, als ein Experimentierort abseits der bekannten Pfade. Als gemeinnützige GmbH hat das Theaterhaus etwa zehn Gesellschafter, Kunstschaffende, ehemalige Ensemblemitglieder, die dafür sorgen, dass die künstlerische Leitung in regelmäßigen Abständen ausgetauscht wird.
Hybrides Kollektiv-Modell ist ein Erfolg
Die Truppe, die aktuell am Haus ist, scheint den Dreh für sich rauszuhaben. Es gibt das Duo aus Lizzy Timmers und Maarten van Otterdijk, beide stammen aus der Niederlande, die offiziell als künstlerische Leitung auftreten.
Unter ihnen hat sich jedoch außerdem ein sogenannter "Ensemblerat" gegründet, dem alle Schauspielerinnen und Schauspieler angehören. Für die Arbeitsweise heißt das konkret, dass alle künstlerische Entscheidungen gemeinsam getroffen werden. Das beginnt bei den Spielplänen, geht über die Auswahl von Regisseurinnen und Regisseuren und endet bei der Frage: Wie setzen wir etwas um? Daneben gibt es jedoch auch Bereiche, in denen die Leitung klassische Leitungsaufgaben übernimmt. Dazu gehört alles, was mit Budget zu tun hat, so Timmers. Oder Entscheidungen zu allgemeinen Produktionsabläufen.
Theater
Auch weil man sich umgekehrt die Frage stellen muss: haben Schauspielende Lust mitzubestimmen, welcher neue Scheinwerfer gekauft wird? Macht es Sinn, wenn sie mit im Büro sitzen und Förderanträge schreiben? Es gibt demnach Stellen im Theatergetriebe, an denen der Vorteil einer Führung zum Vorschein kommt. Indem sie etwa die Schauspielenden vor der Bürokratie bewahrt.
Kein Patentrezept für die Leitung im Team
Dennoch wird es kein Patent-Rezept geben, wie kollektive Führung gelingt. In Jena gibt es spezielle Rahmenbedingungen, die so anderswo möglicherweise nicht aufzufinden sind. Zum einen ist das Ensemble mit sieben Menschen sehr klein. Zum anderen kennt sich die Gruppe schon länger, das heißt, das Miteinander konnte organisch wachsen.
Zudem, so Timmers, werden neue Ensemble-Mitglieder nach bestimmten Kriterien auswählt. Wichtig sei, dass sie nicht nur Schauspielende, sondern auch "Macherinnen und Macher" sind. Denn am Theaterhaus Jena entwickelt das Ensemble seine Stücke in der Regel selbst, so dass Ensemble-Mitglieder immer auch Co-Autoren sind.
Bedeutet das dann auch, dass kollektive Leitung besser funktioniert, wenn die Gruppe möglichst homogen ist? Timmers findet: "Relativ homogen ist gut, aber auch nicht zu sehr". Denn für eine Gruppendynamik und auch das künstlerische Produkt sei es gut, wenn verschiedene Talente aufeinandertreffen.
Personalfragen als neuralgischer Punkt
Im normalen Stadttheater schafft die maximale Kompetenz der Intendanz in Personalfragen einen immensen Machthebel. Der Leitung ist es laut der Bühnenverträge jederzeit möglich, einen Vertrag nicht zu verlängern. Aber auch bei einer Führung aus dem Kollektiv heraus, bleiben Personalentscheidungen eine besonders sensible Angelegenheit.
Im Theaterhaus Jena gab es in diesem Bereich noch keine Differenzen, wie Timmers sagte. Zumindest keinen Fall, in dem die Parteien unterschiedlicher Meinung waren. Ein Schauspieler, der die Gruppe verließ, tat das freiwillig. Wohl aber im großen Einverständnis mit dem restlichen Ensemble.
Kollektives Leitungsprinzip schützt nicht vor Machtmissbrauch
Schützt ein kollektives Leitungsprinzip vor Machtmissbrauch? In diese Frage gab es beim Podiumsgespräch einen klaren Konsens: Nein. Auch in scheinbar hierarchielosen Gruppen können "anti-autoritäre Autoritäten" entstehen.
Was im Umkehrschluss bedeutet, auch in kollektiven Systemen müssen sich die Mitglieder der Gruppe fortlaufend für ein gutes Miteinander einsetzen. Zudem wird das Theater wohl auch in der Zukunft ein Raum bleiben, in dem die Gefahr für Macht-Missbrauch tendenziell größer ist, als an anderen Arbeitsplätzen. Und zwar, weil Arbeit und Privates im Theaterumfeld schneller vermischt werden können und Macht-Mechanismen immer dann gut gedeihen, wenn Emotionen im Spiel sind.
Redaktionelle Bearbeitung: op
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 10. Dezember 2022 | 12:10 Uhr