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"Leaving Carthago"Theaterhaus Jena testet Projekt mit Müttern

von Marlene Drexler, MDR KULTUR

Stand: 05. Januar 2023, 11:54 Uhr

Die Theater müssen um Publikum kämpfen. Dazu gehört auch, sich selbstkritisch zu hinterfragen, ob man noch zeitgemäß agiert und wie man sich weiterentwickeln könnte. Das Theaterhaus Jena testet dabei Formen des partizipativen Theaters, Theater zum Mitmachen. Ein Beispiel ist die Produktion "Leaving Carthago" von und mit Pina Bergemann, bei der Mütter auf der Bühne stehen, die zuvor nicht Theater gespielt haben.

Ungefähr so lässt sich der durchschnittliche Theatergänger wohl beschreiben: Fünfzig aufwärts, weiß und tendenziell höher gebildet. Theaterpublikum ist weder sehr divers, noch entwickelt sich der Nachwuchs automatisch. Die Theater müssen daher um neues Publikum kämpfen.

Das Theaterhaus Jena, bekannt als Experimentierraum, setzt dabei auch auf neue Formen. Für die Theatermacherin Pina Bergemann, die seit 2018 am Theaterhaus in Jena engagiert ist, beginnt das bei der Frage: Welche Themen bringen wir auf die Bühne?

Die Besetzung von "Leaving Carthago" ist ausschließlich weiblich. Bildrechte: Joachim Dette

Theater in Jena verfolgt eine kollektive Hausphilosophie

Bergemann ist eigentlich Schauspielerin. Seit sie in Jena engagiert ist, spielt die 35-Jährige aber nicht mehr ausschließlich, sondern ist gleichzeitig auch Autorin und Regisseurin. Denn die Hausphilosophie lautet: künstlerische Entscheidungen werden im Kollektiv getroffen. Die klassischerweise voneinander abgegrenzten Bereiche Regie, Dramaturgie und Spiel verschwimmen so.

Auf der Suche nach Themen für die Bühne horcht Bergemann erst in sich selbst und dann in ihr persönliches Umfeld rein, wie sie erzählt. Dafür nutzt sie vor allem auch Gespräche mit Menschen, die nicht im Kunstbetrieb arbeiten.

Ich nehme mich in meinen Emotionen ernster und prüfe dann, ob es anderen ähnlich geht.

Pina Bergemann über ihre Herangehensweise bei der Themensuche

Ein Theaterstück, das viele Frauen betrifft

Ihre jüngste Arbeit, der Abend "Leaving Carthago", war für die 35-Jährige eine Zäsur in ihrem künstlerischen Schaffen. Zum einen, weil sie Stückautorin, Regisseurin und Protagonistin zugleich war. Zum anderen, weil der Abend sehr persönliche Einblicke in ihre Biografie gewährt.

Kind oder Karriere? Diese Frage stellt sich für viele Frauen, auch und gerade am Theater. Bildrechte: Joachim Dette

In "Leaving Carthago" thematisiert Bergemann, mittlerweile Mutter zweier Kinder, wie die erste Schwangerschaftslücke in ihrem Lebenslauf bei ihr Unsicherheit und Scham hervorgerufen hat. Sie stellte fest: "Und immer, wenn ich mit jemandem darüber gesprochen habe, also vor allem anderen Frauen, die Kinder haben, dann sprudelte es nur so aus ihnen heraus." Weil es nach einem Thema schien, das viele Frauen beschäftigt, hat Bergemann ein Stück dazu erarbeitet.

Aus der Blase heraustreten

Auch wenn "Leaving Carthago" ganz eindeutig Elemente ihres eigenen Lebens enthält – die Protagonistin heißt ebenfalls Pina – sollte das Stück keine biografische Erzählung werden. Die Theatermacherin wollte in Jena das Private verlassen und auch aus der eigenen Blase heraustreten: "Ich habe ganz bewusst mit einer Autorin zusammengearbeitet, weil ich nicht wollte, dass die Geschichte nur bei mir bleibt."

Mütter in Jena zu finden, die bei "Leaving Carthago" mitmachen wollen, war für das Theaterhaus eine erste Herausforderung. Bildrechte: Joachim Dette

So entstand die Idee, weitere Mütter auftreten zu lassen, und zwar in Gestalt eines Chors. Mütter zu finden, die Lust und vor allem Zeit hatten, bei dem Projekt mitzumachen, war dann gar nicht so leicht, erzählt die Theatermacherin. Auf Spielplätzen, in Restaurants – überall in Jena habe sie Frauen angesprochen und Flyer verteilt.

Eine Frau, die sie so kennengelernt hat, war Kristin Bohn. Die 40-Jährige ist eigentlich Bioinformatikerin von Beruf. Als Mutter zweier Kinder konnte sie mit den Inhalten des Stücks etwas anfangen.

Die Texte kommen wirklich aus dem tiefsten Innern. Ich konnte mich damit sehr identifizieren.

Laienschauspielerin Kristin Bohn spielt in dem Stück als Mutter mit

Jenaer Projekt verändert Verhältnis zum Theater

Bohn hat vorher nie Theater gespielt. Auch wenn ihr die Arbeit auf der Bühne nicht immer leichtfiel, ihr manches auch unangenehm war, schätzt sie die Erfahrung sehr. Zudem hat ihre Teilnahme an dem Projekt ihr Verhältnis zum Theater verändert. Vorher war sie kaum mehr ins Theater gegangen, nachdem ihr viele Abende nicht gefallen hatten, erzählt sie. Jetzt gehe sie wieder regelmäßig. Theater als Institution sei für sie wieder nahbarer geworden.

Die Besetzung mit professionellen und Laienschauspielerinnen verleiht der Aufführung "Leaving Carthago" am Theaterhaus Jena Authentizität. Bildrechte: Joachim Dette

Für Bergemann war der Mütter-Chor aus am Ende neun Laien auch ein Gradmesser dafür, was funktioniert und was nicht. Ihr gefällt es, wenn Theater möglichst viele Menschen einbezieht und nicht nur elitäre Kreise unterhält, sagt sie. Komplexes zugänglich machen – ohne dabei in seichte Gewässer abzudriften, das sei ihr Anspruch an Theater.

Redaktionelle Bearbeitung: op

Infos zur Aufführung"Leaving Carthago"

Idee: Pina Bergemann
Text und Konzept: Anna Gschnitzer
Regie: Pina Bergemann
Endregie: Babett Grube

Besetzung:
Pina Bergemann, Dorothea Arnold, Ella Gaiser
Chor der Mütter: Kristin Bohn, Louise Büche, Katja Flade-Radatz, Marie Grätz, Andrea Hesse, Leonie Kehmann, Helene Kreysa, Christina Neuss, Silvia Rißner

Vorstellungen:
26. Januar 2023, 20 Uhr - Probebühne
27. Januar 2023, 20 Uhr - Probebühne
28. Januar 2023, 20 Uhr - Probebühne

Theaterhaus Jena
Schillergäßchen 1
07745 Jena

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 06. Januar 2023 | 13:10 Uhr