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Im Stück "Jurassic Park" am Anhaltischen Theater Dessau werden über Kameras Bilder von kleinen Spielzeugdinos auf die große Leinwand übertragen. Bildrechte: Anhaltisches Theater Dessau

RezensionWie das Theater Dessau den "Jurassic Park" auf die Bühne zaubert

12. Oktober 2023, 17:19 Uhr

Steven Spielbergs Film "Jurassic Park" war 1993 ein riesiger Erfolg. Und dass Kinder bis heute so fasziniert von Dinos sind, dürfte auch auf diesen Klassiker der Filmgeschichte zurückgehen. Jetzt sind die Saurier im Theater in Dessau zu erleben – im gleichnamigen Stück von Klaus Gehre, der einen einzigartigen Theaterabend geschaffen hat.

von Matthias Schmidt, MDR KULTUR

Die Studiobühne im Alten Theater ist nicht sehr groß, auf jeden Fall zu klein für Dinosaurier – sollte man meinen. Aber Klaus Gehre, der das Stück geschrieben, die Bühne gestaltet und das Ganze inszeniert hat, schafft es doch. Bereits in der letzten Spielzeit hat er auf ähnliche Weise den Filmklassiker "Vom Winde verweht" inszeniert. Live-Film-Theater heißt seine ausgefeilte Lösung, mit der eben doch Saurier auf die kleine Bühne kommen.

Auf den ersten Blick sieht sie aus wie ein Keller voller Gerümpel. Auf den zweiten Blick entdeckt man zwischen den zahlreichen Requisiten kleine Kameras, die im Laufe des Abends Nahaufnahmen dieser Gegenstände – Zweige, eine Schale voller Sand, Modellautos, Puppen und eben auch kleine Dinos – auf eine große Leinwand projizieren werden. Drei Schauspieler spielen also nicht nur, sondern bedienen auch die Kameras und lassen daraus einen Film mit Dinosauriern entstehen. Faszinierend.

Angelehnt an Spielbergs "Jurassic Park"

Die Kostüme der Kinder-Darsteller werfen große Dinausaurierschatten an die Wand. Bildrechte: Anhaltisches Theater Dessau

Das Stück basiert auf Spielbergs Film "Jurassic Park" und der wiederum auf dem Bestseller von Michael Crichton. Und das Zauberwort heißt: Erinnerung. Klaus Gehre hat sich an den Hollywood-Blockbuster erinnert, der Maßstäbe gesetzt hat im Bereich Computeranimation und – bis "Titanic" kam – der erfolgreichste Film überhaupt war. Das ist die erste Qualität des Abends: dass man sich als Zuschauer gemeinsam mit den drei Schauspielern auf der Bühne daran erinnern kann, an die eigene Kindheit.

Hier kommt der Gerümpelkeller ins Spiel. Die drei Schauspieler finden darin Spielzeug wieder und beginnen, damit zu spielen. Sie landen mitten in der Filmhandlung. Das ist die Oberflächenebene, auf der das Stück spielt. Die macht sowohl den mitspielenden Kindern – deren Saurierköpfe riesige Schatten werfen – als auch dem Publikum viel Freude. Das ist kein Kindertheater, aber auch die Kinder im Zuschauerraum amüsieren sich dabei prächtig.

Kunstvolle Illusionen

Die bildliche Umsetzung ist erstaunlich, im Grunde wie im Film, der bekanntlich auch ohne echte Saurier auskommt. Man könnte sagen, der Abend entzaubert einige der Möglichkeiten des Films. Beispiel: Ein Mann fährt nachts durch den Park, es regnet. Erste Kamera-Einstellung: der Mann von vorne gefilmt, sehr nah, vor sich hält er ein Lenkrad. Umschnitt auf die zweite Kamera-Einstellung: der Gegenschuss, das, was der Mann aus dem Auto sieht – eine zweite Kamera filmt vor dunklem Hintergrund, wie jemand Zweige in Richtung Kamera bewegt und Wasser ins Bild sprüht. Dazu Regengeräusche.

Mit Kameratechnik, Wassersprüher und Regengeräuschen gelingt im Stück die perfekte Illusion einer Autofahrt bei Regen durch den Jurassic Park. Bildrechte: Anhaltisches Theater Dessau

Fertig ist die Illusion von einem, der durch den nächtlichen Dino-Park fährt. Ebenso funktioniert es mit den Modell-Autos, den kleinen Dinofiguren, sogar mit Barbiepuppen. Schwerstarbeit für die drei Schauspieler, die wirklich den ganzen Abend umherlaufen, die Kameras umbauen, sich umziehen, dazu die Texte sprechen.

Wenn die Natur zurückschlägt

Auf einer zweiten Ebene wirft Klaus Gehre Themen auf, die aus dem Film erwachsen. Es geht darum, dass es Wissenschaftlern gelungen ist, diese Saurier aus in Bernstein gefundener DNA neu zu züchten. So zu züchten, dass sie sich angeblich nicht vermehren können. "Nur Mädchen", sagt er, Typ "besessener Wissenschaftler". Ein "mad scientist", wie es ihn in der Literaturgeschichte immer wieder gibt – von Frankenstein bis Dr. Mabuse.

Natürlich kommt es, wie es kommen muss: Der Wissenschaftler irrt – beziehungsweise, so lautet auch der Untertitel des Abends, – "… das Leben findet immer einen Weg". Die Natur lässt sich nicht vom Menschen kontrollieren, die Saurier vermehren sich eben doch. Da fallen Sätze, die sich ohne Weiteres auf unser Erleben mit der Natur übertragen lassen. Wir können sie eben nicht steuern, irgendwann schlägt sie zurück. Ganz abgesehen davon, dass es mehr als nur fragwürdig ist, diese Tiere als Attraktion in einem kommerziellen Freizeitpark auszustellen.

Man kann darin Wissenschafts- und Kapitalismuskritik entdecken, man kann es aber auch übersehen. Die Inszenierung bleibt unentschlossen, ob sie einfach nur – mit zugegebenermaßen großartigen Mitteln – den Film nachspielen will, oder ob diese zweite Ebene nicht vielleicht die bedeutendere ist: die moralischen Fragen. Nicht zuletzt gibt es Leute, die mit den befruchteten Saurier-Zellen handeln wollen und sie aus dem Park herausschmuggeln...

Szenenbild aus "Jurassic Park" am Anhaltischen Theater Dessau. Unser Kritiker spricht eine klare Empfehlung aus. Bildrechte: Anhaltisches Theater Dessau

Feinste Theaterkunst

Die Kinder im Publikum fanden die Handlung ziemlich gruselig, die Erwachsenen haben am Ende frenetisch geklatscht. Das Stück selbst mag nicht umwerfend sein, aber Klaus Gehre und das Team um den Dessauer Schauspieldirektor Alexander Kohlmann zeigen ihrem Publikum mit solchen Formen, was Theater alles kann.

Was Klaus Gehre hier macht, ist ganz sicher ein Original, das wirklich sehr sehenswert ist. Man muss sich das selbst anschauen, es lässt sich kaum beschreiben – das sind 75 Minuten feinste Theaterkunst.

Mehr Informationen und Termine:

"Jurassic Park (... oder das Leben findet seinen Weg)" (Uraufführung)
von Klaus Gehre
frei nach Michael Crichton, Steven Spielberg und anderen

Besetzung:
Inszenierung, Bühne und Text: Klaus Gehre
Kostüme: Tom Unthan
Musik und Sound: Michael Lohmann
Dramaturgie: Alexander Kohlmann
Mit: Laura Eichten , Stephan Korves , Marcus Hering

Adresse:
Altes Theater Dessau / Studio
Am Alten Theater 13
06844 Dessau-Roßlau

Termine:

20. Oktober 2023, 19.30 Uhr
21. Oktober 2023, 19 Uhr

(Redaktionelle Bearbeitung: Sabrina Gierig)

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 10. Oktober 2022 | 12:10 Uhr