Opernpremiere Liebenswert anachronistisch: Markus Lüpertz inszeniert "La Bohème" am Staatstheater Meiningen
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Puccinis "La Bohème" ist ein Opern-Klassiker, den beinah jedes Theater im Repertoire hat, so beliebt ist die Geschichte um Liebe, Schwind- und Eifersucht verarmter Pariser Bohemiens beim Publikum. Vor einem Jahr hat sich der damals 80-jährige Maler und Bildhauer Markus Lüpertz einen Traum erfüllt, indem er die Oper rundum ausstattete und auch gleich inszenierte – wobei dem Regie-Debütanten ein Co-Regisseur an die Seite gestellt wurde. Ein Gespräch mit MDR KULTUR-Opernkritikerin Bettina Volksdorf über die Premiere am Staatstheater Meiningen.

MDR KULTUR: War das nun in erster Linie ein Marketing-Coup des neuen Intendanten Jens Neundorff von Enzberg oder ist da eine ernstzunehmende Opernproduktion rausgekommen?
Bettina Volksdorf: Strategisch gesehen war das ein cleverer Schachzug, denn Meiningen respektive das Theater waren im Vorfeld medial enorm präsent, insofern kann Neundorff diese Premiere für sich als "Event" verbuchen, wenngleich Markus Lüpertz sich genau dagegen aussprach, also gegen die "Eventisierung" von Kunst. Der Intendant begründete seine Entscheidung für den Regie-Debütanten aber auch damit, dass man die (alten) Meister ehren solle und ihn verbindet mit Lüpertz eine langjährige Freundschaft! Was die künstlerische Umsetzung anbelangt, habe ich eine zwiespältige Haltung: Natürlich ist diese Produktion etwas besonderes, weil Lüpertz die Bohème aus der Perspektive des Malers umgesetzt hat. Sein szenisches Konzept besteht im Kern jedoch darin, die SängerInnen zumeist an der Bühnen-Rampe stehen, singen und wenig spielen zu lassen - das hat er im Vorfeld angekündigt und genau das fand auch statt.
Wie lässt sich denn das Theaterverständnis des gern als "Malerfürsten" titulierten Lüpertz umreißen?
Volksdorf: Lüpertz ist ein Künstler-Egomane, der es seit Jahrzehnten wunderbar versteht, sich als Exzentriker und Genie zu inszenieren! Auf der gestrigen Pressekonferenz erschien er wie immer bestens gekleidet, erzählte unglaublich wach und charmant von seiner Berliner Bohemien-Zeit, von der Entpoetisierung unserer Welt, dass er mit dem heutigen Regietheater nichts anfangen könne, dass Musik für ihn bereits Handlung sei und dass er der Schönheit, auch der Modernität von Puccinis Musik sowie den "singenden Farben" seiner selbstgemalten Bühnenbilder vertraue. Sympathisch ist mir, dass Lüpertz sich dabei nicht als "Missionar" in Sachen Musiktheater versteht, vielmehr mit Gelassenheit und Dankbarkeit davon sprach, dass er seine Meinung und Haltung zur Oper einmal auf die Bühne bringen könne.
Was war denn nun zu sehen respektive zu erleben in den zwei Stunden Bohème?
Volksdorf: Vor allem handgemaltes Kulissentheater! Lüpertz hat die Meininger Bühne mit Kulissen, die in einer überwiegend dunkel-expressiven Bildsprache gehalten sind, ausgestattet. Das verleiht dem Ganzen einen gewisse Tiefe und Düsternis, die zum Stück passt. Zu diesen Kulissen kommen etliche variable Elemente wie zum Beispiel die gemalten Köpfe der Protagonisten, Tische und Sitzmöbel, ab dem zweiten Bild auch Totenköpfe hinzu. Auffallend farbenfroh und formenreich die Kostüme (der Chor ist zum Beispiel in giftgrün gekleidet) und die intensiv-geschminkten SängerInnen: Ich fühlte mich dabei – sowohl was das Äußere, als auch die Figurenführung anbelangt – an Comedia dell’arte Figuren erinnert.
Was zwischen den Figuren passiert, wird vor allem über die Musik bzw. die Übertitel vermittelt, denn an einer psychologischen Ausdeutung der Handlung war Markus Lüpertz - wie angekündigt - nicht interessiert. Das machte die Sache allerdings auch ziemlich schnell etwas eindimensional, wobei dieser Rückzug auf auf eine "übersteigerte Künstlichkeit" punktuell durchaus zu fesseln vermochte - etwa wenn Mimi im Stehen stirbt, Rodolfo dabei auf Distanz zu ihr bleibt, weil er unfähig zu einer menschlichen Reaktion ist.
Klingt nach einem eigenwilligen Zugriff auf die Oper, zumal Markus Lüpertz noch selbst-verfasste und auch selbst-gesprochene Texte in die Produktion integrierte; wie sah es denn mit der musikalischen Umsetzung unter Generalmusikdirektor Philippe Bach aus - hat Sie die mitgerissen?
Volksdorf: Zum Teil ja! Die Meininger Hofkapelle mit Philippe Bach am Pult hat gestern zuweilen schon gezaubert: Da waren Schmelz, Italianita, Tempo und eine ausgefeilte Dynamik zu hören, aber -in dem akustisch nicht ganz unproblematischen Haus-, eben auch Schnitzer zwischen Bühne und Graben, mitunter stimmte die Balance nicht, so daß die Sänger forcieren mussten und die Musik den Zuschauerraum mit ungeheurer Massivität flutete.
In Summe – und das war schon immer ein Vorzug dieses Hauses – kann man in Meinungen diese Bohème gut besetzen, es bietet eine in sich geschlossene Ensembleleistung! Ich denke dabei vor allem an Alex Kim als Rodolfo, Julian Kim als Marcello und Monika Reinhard als Musetta, ganz besonders aber an die gerade ins Ensemble gekommene Deniz Yetim – sie überzeugte sängerisch als Mimi auf ganzer Linie!
Markus Lüpertz selbst sprach bei dieser Produktion von einem Versuch, da er das Regie-Handwerk nicht beherrsche. Deshalb auch wurde ihm als Co-Regisseur der junge Maximilian Eisenacher an die Seite gestellt. Diskussionswürdig, anschauens- auch anhörenswert ist diese Bohème als Gesamtkunstwerk eines Malers, der sich auch einmal als Opern-Regisseur erproben wollte, in jedem Fall. Konzeptionell aber stellt es in gewisser Weise einen Rückschritt dar - insofern bekenne ich mich dankbar zu dem, was wir hierzulande "Regie-Theater" nennen!
Mehr Informationen zur Inszenierung
La Bohème
Oper in vier Bildern von Giacomo Puccini
Regie, Bühne, Kostüme: Markus Lüpertz
In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Staatstheater Meiningen
Bernhardstraße 5, 98617 Meiningen
Die Premiere war am 10. Dezember 2021.
Wiederaufnahme-Termine:
Dienstag, 20. Dezember 2022, 19:30 Uhr
Sonntag, 25. Dezember 2022, 18 Uhr
Sonntag, 5. Februar 2023, 15 Uhr
Donnerstag, 9. Februar 2023, 19:30 Uhr
Montag, 10. April 2023, 15 Uhr
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 11. Dezember 2021 | 20:05 Uhr