125. Geburtstag Warum Bertolt Brecht auch heute noch einer der wichtigsten Dramatiker ist

Ob "Die Dreigroschenoper", "Mutter Courage und ihre Kinder" oder "Der gute Mensch von Sezuan" – bis heute sind Bertolt Brechts Stücke überaus beliebt. Die Bundesbank hat zum 125. Geburtstag des Dichters Bertolt Brecht eine 20-Euro-Sondermünze aufgelegt. Das passt hervorragend zu seinem berühmten Satz, "Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?" Das Staatliche Textil- und Industriemuseum seiner Geburtsstadt Augsburg hingegen hat ein Handtuch mit seinem Konterfei im Angebot. Auf dass es für den Kopf benutzt werde, sagt unser Theaterkritiker und freut sich, dass Brecht auch hierzulande weiter fleißig gespielt wird.

Bertolt Brecht (l) und Johannes R. Becher treffen zu einem Gespräch über gesamtdeutsche Fragen mit in- und ausländischen Journalisten im westberliner Hotel Sachsenhof ein (1954).
Bertolt Brechts episches Theater – es funktioniert noch heute. Bildrechte: dpa

Wird der Mann eigentlich noch gespielt? Und ob! In der aktuellen Werkstatistik des Deutschen Bühnenvereins steht er auf Platz zwei. Nur Shakespeare ist vor ihm, zugegebenermaßen unangefochten. Bertolt Brecht hat zuletzt sogar Schiller überholt, wenn das nichts ist.

Im Ernst, Brecht ist bis heute einer der wichtigsten Autoren der Theaterlandschaft. Was daran liegt, dass die Theater wissen, was sie an ihm haben. Erstens, der Name zieht. Die "Dreigroschenoper" verkauft sich quasi von selbst. Die nächste "Dreigroschenoper" hat übrigens am 24. März am Staatstheater Meiningen Premiere.

Aber den großen Namen muss man sich verdienen, und das hat Brecht wahrlich getan. Seine Texte, seine Stücke strotzen nur so von Sätzen, die Sinnsprüche wurden, die jeder kennt. A la "Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral." Sucht man "Brecht" und "Zitat" im Netz, ist man erstaunt, wie viele dieser bildhaften, verdichteten Sätze dieser Mann ersonnen hat. Nur die ganz Großen haben das erreicht, Shakespeare natürlich, der Größte, und eben dieser Mann, der 1898 geboren wurde und 1956 – viel zu früh – starb.

Theater mit Relevanz: "Baal" und "Dreigroschenoper"

Theatergeschichte hat er geschrieben, zuletzt im "Berliner Ensemble" am Schiffbauerdamm. "Die Dreigroschenoper" wurde 1929 dort uraufgeführt. In Leipzig sorgte 1923 die Uraufführung des "Baal" für einen handfesten Skandal, der Oberbürgermeister ließ das Ärgernis absetzen. Dass einer säuft und frisst und hurt, das weiß der Messestadtbewohner zwar aus August Maurers deftigem Sittenbild "Leipzig im Taumel", aber dass einer von der Bühne ins Publikum spricht, "Ihr Säue! Ihr kennt das Menschliche nicht mehr!", das war dann doch etwas viel. In der späten DDR gab es nochmal Ärger um "Baal", 1988, als Regisseur Jo Fabian im legendären "Poetischen Theater" die Stasi einen Sirtaki tanzen ließ.

Damit ist heute nicht mehr zu rechnen, der letzte Leipziger "Baal" zeigte 2015, dass der "asoziale" Künstler Baal in der Jetzt-Welt aus tausend Eitelkeiten, umgeben von lauter Individualisten, der einzig normale Mensch ist. Das zeichnet Brechts Stücke aus, man kann aus ihnen immer etwas Relevantes machen. Die Theater wissen, dass Brechts Stücke immer noch genügend Sprengkraft besitzen, um sie heutig zu inszenieren.

Schwarz-Weiß-Portrait von Bertolt Brecht
Brechts Uraufführungen in Leipzig führten mehrmals zu Tumulten und Skandalen. Bildrechte: IMAGO / ZUMA/Keystone

Von Gutmenschen und Kapitalismuskritik

Es ist also kein Zufall, dass im MDR-Sendegebiet mindestens eine Brecht-Inszenierung in jeder Spielzeit zu erleben ist. Gerne inszeniert wird beispielsweise "Der gute Mensch von Sezuan", zuletzt 2018 in Dresden. Da war zu erleben, wie die Prostituierte Shen Te der einzig gute Mensch in ganz Sezuan ist. Und wie allgemeingültig Brechts Stücke sein können. Seine Arbeit an der Verbesserung der Welt. Es ist ja seit Brecht nicht eben leichter geworden mit den guten Menschen, erst recht nicht, seit der Begriff des Gutmenschen als Unwort des Jahres 2015 aus dem sich eigentlich selbstregulierenden Sprachgebrauch herausoperiert und zum Inbegriff einer zerrissenen Gesellschaft gemacht wurde. Wir schaffen das. Oder schaffen wir uns ab? Was gut ist, weiß jeder. Sollte man annehmen. Und schlecht sein will eh keiner, oder? Wenn es nur so einfach wäre. Schlimmer noch: Wer zu gut ist, wird ausgenutzt. Alles hat zwei Seiten. Mindestens. Wer am Ende gewinnt? Bei Brecht kann man es lernen. Oder es sich durch Mitdenken erschließen. Am Ende des "Guten Menschen von Sezuan" sagt Shen Te zum Publikum, "sucht euch selbst den Schluss, es muss ein guter da sein, muss, muss, muss!"

"Dreigroschenoper" in Leipzig: Tumulte bei Uraufführungen

Es wäre müßig, alle seine Stücke aufzuzählen und die Möglichkeiten, sie modern und relevant zu inszenieren. "Das Leben des Galilei" als Parabelstück über die Verantwortung der Wissenschaft. Oder die Oper "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny", wie die "Dreigroschenoper" eine kongeniale Kooperation mit Kurt Weill. Auch das führte 1930 bei der Uraufführung in Leipzig zu Tumulten. Wobei man nicht mehr genau sagen kann, ob das bürgerliche Publikum die "kommunistische Propaganda" oder die damals in der Oper unerhörte Musik Weills mehr schockierte. Mehrfach wurde die Aufführung unterbrochen, und Kritiker Alfred Polgar hielt fest: "Kriegerische Rufe, an manchen Stellen etwas Nahkampf, Zischen, Händeklatschen [...] begeisterte Erbitterung, erbitterte Begeisterung."
Als letztes Beispiel hier noch "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui", die unglaubliche Geschichte von einem, der zum Diktator aufsteigt, ist seit 1995 im Spielplan des "Berliner Ensembles", die letzte Regiearbeit von Heiner Müller mit Martin Wuttke in der Titelrolle.

Ganz sicher werden wir demnächst auch wieder Brechts "Mutter Courage und ihre Kinder" sehen, in Düsseldorf und am Berliner Maxim-Gorki-Theater hatte das Stück gerade Premiere. Was passte besser in die "Zeitenwende", in der ein Krieg in Europa wieder allgegenwärtig ist, als die Geschichte von der Marketenderin, die am Krieg verdienen will und dabei alles verliert. Brechts episches Theater, sein Anti-Kriegstheater, es ist aktueller denn je. Wie auch seine Kritik am Kapitalismus, der, wie wir wissen, gnadenlos sein kann wie Brechts Bösewichter aus der "Dreigroschenoper". Daher: Brecht-Handtuch kaufen ist eine Möglichkeit. Eines seiner Stücke anschauen die andere.

(Red. Bearbeitung: Hanna Romanowsky)

Das gibt es aktuell im Theater zu sehen

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 10. Februar 2023 | 18:05 Uhr

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