Deutschsprachige ErstaufführungLiv Strömquist in Leipzig: Schauspielstudierende hinterfragen die Liebe
Sie hat schon fast Kultstatus: Die schwedische Autorin Liv Strömquist schafft es in ihren Comics mit besonderem Humor Sexismus zu entlarven und zwischenmenschliche Beziehungen zu hinterfragen. Schauspielstudentinnen und -studenten aus Leipzig bringen nun ihre Beobachtungen zum Thema Liebe im Schauspielhaus im Rahmen einer temporeichen Show auf die Bühne. Am Dienstag, 17. Januar, feiert das Stück "Liv Strömquist denkt über sich nach" Premiere im Foyer 1 des Leipziger Schauspielhauses.
Schon die Kostüme zeigen, dass in diesem Stück des Leipziger Schauspielstudios alles auf den Kopf gestellt und hinterfragt wird: Ein Schauspieler trägt ein weißes Kleid, auf dem in einem roten Herzen auf dem Bauch "Love you" steht. Eine Schauspielerin hat eine Art Frack mit übergroßen weißen Rüschen an. Immer wieder springen die Darsteller in neue Rollen: verkörpern mal Tolstois Anna Karenina, mal Lord Byrons Geliebte Claire Clairmont oder Teilnehmende einer Dating-Show. Das Stück "Liv Strömquist denkt über sich nach" zeigt keine zusammenhängende Handlung, sondern Szenen, die hinterfragen, was Liebe ist, ausmacht und was man für die Liebe vielleicht auch zu opfern bereit ist.
Warum klappt es nicht mit der Liebe?
Auf die Frage, was ihr Lieblingsmoment im Stück sei, finden die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler nicht gleich eine Antwort – vor allem, weil sie sich nicht entscheiden können. Leonard Meschter nennt den Moment nach dem Anna-Karenina-Moment: Das Ensemble sitzt in einer Reihe und seufzt über die Liebe: "Irgendwie haben wir alle dieselben Probleme. Man fragt sich, was ist denn jetzt mit mir, dass das mit der Liebe nicht klappt."
Ronja Oehler erwähnt als ihren Lieblingsmoment den "Emanzipationschor": Nach der Geschichte, wie Claire Clairmont den Dichter Lord Byron gewonnen und verloren hat, steht das Ensemble in Posen auf der Bühne und spricht kraftvoll im Chor: "Kauf dir ein Buch! Kauf dir einen schönen Stift! Schreib auf, was dich ärgert und schmeiß die Seite weg!" Für Ronja Oehler steckt viel in dem Moment: "Diese Lösungen, die man meint zu haben für irgendwelche gesellschaftlichen oder Liebesprobleme. Und die aber auch keine Lösungen sind." Für sie geht es dabei auch um das Leben im Kapitalismus, in dem keine Schwächen erlaubt sind, sondern jeder immer funktionieren muss.
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Solche Momente sind besondere Stärken der schwedischen Autorin Liv Strömquist, die in ihren Sach-Comics Anekdoten zum zwischenmenschlichen Miteinander mit ganz eigenem Witz erzählt und mit philosophischen Erkenntnissen verbindet. Doch die Schauspielstudierenden wollten keine Zeigefinger erheben, erinnert sich Leonard Wilhelm: "Wir haben immer danach gesucht, den meisten Spielspaß reinzubringen, um so wenig Erzählinstanzen oder Erklär-Positionen wie möglich zu haben."
Ellen Neuser hat während der Pandemie einen Mitschnitt der Uraufführung in Stockholm entdeckt und ihren Mitstudierenden gezeigt. Alle kannten die Bücher der Comic-Künstlerin und konnten sich schnell auf das Thema einigen. So wurde Ellen Neuser die Regisseurin der deutschsprachigen Erstaufführung und hat bei der Inszenierung vor allem auf die Energie der Gruppe gesetzt.
Das Ensemble findet immer wieder expressive Momente: Es tanzt zu Britney Spears, singt zu Playback oder flirtet unverhohlen mit dem Publikum. Diese Nähe war den Darstellenden wichtig und lässt sich im Foyer 1, dem neuen Spielort des Leipziger Schauspiels, leicht herstellen: "Das ist wie eine Wundertüte", erzählt die junge Schauspielerin Ronja Rath.
Besonderer Ort im Schauspiel Leipzig
In das breite Foyer des Schauspiels wurde ein schwarzer Kubus gebaut: Der Boden ist erhöht, darüber wurde neue Lichttechnik installiert und die Außenwände lassen sich nach Belieben verschieben. Das macht diesen Ort besonders, meint Dramaturg Georg Mellert, "weil es sichtbar ist, weil man hier von geschlossenen Veranstaltungsformaten bis zu einem offenen Raum für eine Premierenparty ganz unterschiedliche Sachen machen kann."
Das junge Studio-Ensemble hatet die neue Bühne mit einem Liederabend eröffnet. Inzwischen stellen andere Ensemble-Mitglieder hier auch eigene Texte vor oder lesen aus einem Roman, der sie berührt. Es gab Spielshows und nun auch den Studio-Abend "Liv Strömquist denkt über sich nach" – der immer wieder überrascht.
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In einer der Szenen wird zum Beispiel hinterfragt, ob man für die Liebe mit dem Rauchen beginnen sollte: In Zeitlupe versuchen zwei Personen, den Teilnehmer einer Dating-Show zu überzeugen, zu rauchen. Nur so könnten diese zwei Menschen zusammenkommen. "Da haben wir ganz viel drüber geredet, finden wir das jetzt gut oder schlecht", erinnert sich die Schauspielstudentin Ronja Rath. "Und wir haben gemerkt, es gibt da kein Richtig oder Falsch. Klar, muss man sich auf die andere Person einlassen, Prinzipien sind aber auch gut."
Am Ende gibt es auf diese Fragen zur Liebe keine Antworten – darin besteht für das gesamte Ensemble eine Stärke des Stücks. Eine andere Stärke ist, dass das Ensemble gemeinsam über die Umsetzung des Stücks entschieden hat. Dieses gemeinsame Entscheiden und als Gruppe zu agieren, ist an vielen Stadttheatern noch eine Utopie – die die angehenden Schauspielerinnen und Schauspieler aber trotzdem leben wollten. Auch dafür soll das Foyer 1 ein Ort sein, so Georg Mellert: "Einer der Grundgedanken ist wirklich Ensemble, Ensemble, Ensemble."
Gelungener Abschluss des Theater-Studiums
Für die Studierenden war es dabei auch eine besondere Erfahrung, dass sie sich kreativ ausleben konnten, beobachtete unter anderem Ronja Oehme: "Das war einfach schön, zum Abschluss unseres Studiums zu merken, dass man so tolle Kompetenzen entwickelt hat und wie von ganz alleine alle Kompetenzen da reinfließen."
So geben die neun angehenden Schauspielerinnen und Schauspieler nochmal alles: Sie singen, tanzen, mimen und improvisieren. Doch vor allem haben sie nochmal erlebt, wie wichtig es ist, die Figuren mit ihren absurden Wünschen nach der Liebe ernstzunehmen.
Weitere Informationen"Liv Strömquist denkt über sich nach"
von Liv Strömquist und Ada Berger
Deutsch von Ellen Neuser und Leonard Merkes
Deutschsprachige Erstaufführung im Rahmen eines szenischen Projekts des Schauspielstudios Leipzig
Regie: Ellen Neuser
Kostüme: Ragna Hemmersbach
Choreografie: Paula Vogel
Mit: Adrian Djokić, Matthis Heinrich, Leonard Meschter, Ellen Neuser, Ronja Oehler, Ronja Rath, Laura Storz, Paula Vogel, Leonard Wilhelm
Termine:
5. März, 20 Uhr
Weitere Termine in Planung
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 17. Januar 2023 | 17:10 Uhr