OperetteMusikalische Komödie in Leipzig: "Das Veilchen vom Montmartre" im Fetzenrock und XXL-Pulli
Die Musikalische Komödie (MuKo) in Leipzig bringt die Operette "Das Veilchen vom Montmartre" von Emmerich Kálmán auf die Bühne, als aktuell einziges Haus weltweit. Am Samstag, 22. April, feierte das Stück des ungarischen Komponisten Premiere – mit einem allergiegeplagten Veilchen. Das Schauspiel überzeugte dennoch mit gut gesetzten Pointen. Der Inszenierung fehlte es allerding an Spritz und Ironie. Eine Kritik.
1928 hatte Emmerich Kálmán mit der jazzig-frechen, amerikaorientierten "Herzogin von Chicago" einen Misserfolg. Jetzt war Wirtschaftskrise und man bediente mit dem "Veilchen vom Montmartre" alte Erfolgsformeln, Sentiment pur, ja Kitsch, ganz nach Pariser Art. Ein mittelloses Künstlertrio kauft die Straßensängerin Violetta von ihrem Vormund frei. Die verliebt sich in den Maler Raoul, der aber ist mit der launischen Vaudeville-Chanteuse Ninon zusammen. Die bekommt am Ende einen Minister, Violetta bekommt Raoul – und entpuppt sich als entführtes Grafentöchterlein.
Partitur mit bekannten Hits
Das kann man eigentlich nur mit geschliffener Ironie heute auf die Bühne bringen, etwa im Stil eines "American in Paris" in pastelligen Petticoats. Dann aber mag es funktionieren, denn die Partitur ist fein fabriziert.
Emmerich Kálmán war inspiriert für den heute noch gern gesungenen Tenorhit "Heut Nacht hab‘ ich geträumt von Dir" und die beiden Soprannummern "Veilchen vom Montmartre" und "Ich sing‘ mein Lied". Freilich hat er dafür keine Crêpe-Platte angeworfen und kein Musette-Akkordeon bemüht. In seinem Paris köchelt weiterhin die Gulaschkanone und wird walzerselig ungarisch papriziert, ein wenig Tango und Tarantella inklusive; höchstens die Buffo-Nummern wurden mit Banjo und Schlagzeug nachträglich metropolisiert.
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Leipziger Inszenierung zeigt das "Veilchen" im violetten Pullover
In der Musikalischen Komödie – gegenwärtig das einzige Haus weltweit, welches das "Veilchen vom Montmartre" spielt, obwohl es gerade in Osteuropa oft auf den Spielplänen stand – meint Regisseur Ulrich Wiggers das hoffnungslos, aber famos nostalgische Werk in die Gegenwart zerren zu müssen. So gibt es jetzt Graffiti-Street-Art zwischen Sacre-Coeur-Fotos, ein paar räudige Treppenstufen und grenzwertig hässliche Kostüme. Violetta muss den ganzen Abend in einem Fetzenrock und einem violetten (!) XXL-Pullover verbringen. Das ist spießig und muffig.
Leider kommt auch das Ballett zunächst gar nicht auf die Beine, dafür üben steife Chorherren im Smoking Hüftschwung. Erst ab dem zweiten Finale, wenn alle zum Narzissenball der Künstler mit Blüten auf dem Kopf herumwuseln, ist endlich Ironie spürbar.
Das ist schade, denn die Partitur ist dicht und trägt. Die hier naturgemäß ausbleibenden olfaktorischen Genüsse haben sich durchaus in akustische umwandeln lassen. Tobias Engeli dirigiert mit Schwung und lässt das Sentiment gekonnt schmelzen.
Premiere mit einer allergiegeplagten Violetta
Violetta – einst komponiert für Adele Kern, Koloraturopernstar in Berlin, München, Wien und Salzburg – wird von der allergiegeplagten Mirjam Neururer herzig gespielt und gesprochen, von der einspringenden Christina Fercher vom Bühnenrand toll und lockerleicht in der Höhe gesungen. Olena Tokar ist als Ninon ein etwas schwergängiger Soubretten-Vamp. Adam Sanchez hat als Raoul die rechte Tenorträne, so wie alle anderen auch, die Komiker und Sprechrollen wissen ihre Pointen gekonnt zu setzen.
Also eher eine gemischte Operettenernte im Blumenbeet der aktuellen Premierentitel, schon zu Frühlingsbeginn. Dieses Veilchen ist nicht verwelkt, aber das lendenlahme Umfeld lässt es arg trutschig aussehen. Die Macher der Musikalischen Komödie sollten mal einen Betriebsausflug zu Komischen Oper Berlin oder zur Dresdner Staatsoperette machen. Denn da weiß man längst, wie solche Stücke heute ästhetisch gültig und spritzig auf die Bühne zu bringen sind.
Weitere Aufführungstermine"Das Veilchen vom Montmartre"
Operette von Emerich Kálmán
Leitung:
Musikalische Leitung: Tobias Engeli / Friedrich Praetorius
Inszenierung: Ulrich Wiggers
Choreografie: Kati Heidebrecht
Bühne, Kostüm: Leif-Erik Heine
Dramaturgie: Nele Winter
Aufführungstermine:
25. April 2023, 19:30 Uhr
06. Mai 2023, 19 Uhr
07. Mai 2023, 15 Uhr
18. Mai 2023, 15 Uhr
19. Mai 2023, 19:30 Uhr
03. Juni 2023, 19 Uhr
04. Juni 2023, 15 Uhr
17. Juni 2023, 19 Uhr
18. Juni 2023, 15 Uhr
(Redaktionelle Bearbeitung: Cornelia Winkler)
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 23. April 2023 | 09:40 Uhr