Blick hinter die Kulissen Schauspiel Leipzig: Wie geht es weiter nach den Hausverboten?

Zwei Schauspielerinnen des Ensembles des Schauspiels Leipzig müssen zum Spielzeitende gehen. Inzwischen haben Julia Preuß und Katharina Schmidt sogar Hausverbot. Am Montag veröffentlichte eine Ensemblemehrheit nun ein Statement. Das Betriebsklima scheint nachhaltig gestört. Dabei schien die Intendanz von Enrico Lübbe doch bisher eigentlich eine echte Erfolgsgeschichte zu sein. Vor ein paar Tagen ging der Deutsche Theaterpreis "Der Faust" auch nach Leipzig. Was also ist los am Schauspiel Leipzig und wie kommt der große Theater-Dampfer zurück in ruhige See?

Streit am Schauspiel Leipzig
Porträtgalerie im Schauspiel Leipzig: Die Fotos von Julia Preuß und Katharina Schmidt wurden ausgekreuzt. Der Rest des Ensembles scheint zum Schweigen verurteilt. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Jüngster Akt der unschönen Geschichte um Vertrags-Nichtverlängerungen und Hausverbote am Schauspiel Leipzig: Am Montag hat das Ensemble ein Statement veröffentlicht, in dem es "in sehr großer Mehrheit" die Rücknahme beider Entscheidungen fordert. Darin wird betont, dass die betroffenen Schauspielerinnen Julia Preuß und Katharina Schmidt das Ensemble "zu keinem Zeitpunkt zu Solidaritätsbekundungen mobilisiert" haben. Beide Schauspielerinnen sollten wieder ihre Rollen am Theater spielen dürfen, heißt es darin weiter. Nach Auffassung der Ensemblemehrheit ist das Betriebsklima am Haus derzeit "schwer beschädigt". Dem Statement vorausgegangen war eine Versammlung am 9. Dezember, zu der sich das Ensemble digital verabredet hatte. So konnten auch die beiden Schauspielerinnen teilnehmen, die mit dem Hausverbot belegt sind.

Das Statement im Wortlaut

Wir - große Teile des Ensembles des Schauspiel Leipzig - erklären hiermit, dass wir hinter unseren Kolleginnen Katharina Schmidt und Julia Preuß stehen und dass wir zu keinem Zeitpunkt von ihnen zu Solidaritätsbekundungen mobilisiert wurden. Unserer Auffassung nach wurde das Betriebsklima durch die Freistellungen und die verhängten Hausverbote schwer beschädigt. Wir fordern daher ausdrücklich die Aufhebung der Hausverbote. Damit einhergehend fordern wir, dass beide Kolleginnen alle ihre erarbeiteten Rollen wieder spielen dürfen. Wir wünschen außerdem die Rücknahme der Nichtverlängerungen. Des Weiteren verweisen wir auf die Stellungnahme der GDBA vom 09.12.2022 in dieser Sache.

Das Ensemble des Schauspiel Leipzig, in sehr großer Mehrheit

Protest der Belegschaft gegen Umgang mit Preuß und Schmidt

Das Leipziger Stadtmagazin Der Kreuzer hatte die Sache am 8. Dezember öffentlich gemacht: "Schauspiel Leipzig erteilt zwei Ensemblemitgliedern Hausverbot. Nachdem Verträge nicht verlängert werden sollten, regt sich Protest", hieß es in dem Bericht. Betroffen sind die Schauspielerinnen Katharina Schmidt und Julia Preuß. Sie müssen zum Spielzeitende gehen, wie sie im Gespräch mit MDR Kultur bestätigten.

Konstruktive Vorschläge, schmallippige Reaktionen, Schweigen

Teile der Belegschaft, nicht nur die Ensemblekolleg*innen, auch Leute hinter der Bühne, hatten das offenkundig bedauert und sich Anfang November schon solidarisch hinter die beiden Schauspielerinnen gestellt. Deswegen hatten die sich dann Mitte November in einem Brief bei der Belegschaft bedankt und festgehalten: Die Nichtverlängerung sei der Auslöser gewesen, "eine tiefe Unzufriedenheit mit der Hauspolitik zum Ausdruck zu bringen". Die beiden hatten in dem Brief auch vorgeschlagen, sich zu einer Belegschaftsversammlung zu treffen: "ohne Druck, ohne Leitung". Ziel sei es, einen Modus zu finden, "wie es weitergehen kann". Also ein konstruktiver Impuls. Kein Aufruf zur Meuterei.

Bilder So zeigt sich der Streit im Schauspiel Leipzig

Außenansicht des Leipziger Schauspielhauses
Von außen betrachtet wirkt am Schauspiel Leipzig alles wie immer. Schon länger hängt das Transparent mit dem Goethe-Zitat: "Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter." Bildrechte: MDR/Stefan Petraschewsky
Außenansicht des Leipziger Schauspielhauses
Von außen betrachtet wirkt am Schauspiel Leipzig alles wie immer. Schon länger hängt das Transparent mit dem Goethe-Zitat: "Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter." Bildrechte: MDR/Stefan Petraschewsky
Zettel mit der Spielplanänderung an Eingangstür
Doch ausgerechnet zwei profilierten Schauspielerinnen, Julia Preuß und Katharina Schmidt, wurde Hausverbot erteilt. Bildrechte: MDR/Stefan Petraschewsky
Tür mit der Aufschrift " Intendanz/Dramaturgie"
Zunächst waren ihre Verträge nicht verlängert worden. Warum? Mangelt es dabei an Transparenz, an Öffentlichkeit, auch in die Belegschaft. Bildrechte: MDR/Stefan Petraschewsky
Streit am Schauspiel Leipzig
Ist dieses Schreiben der beiden der Grund für das Hausverbot, weil sie von "Druck" sprechen und die "Hauspolitik" kritisieren? Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Streit am Schauspiel Leipzig
Dagegen regte sich auch deutlich wahrnehmbarer Protest – zu sehen am schwarzen Strich über die Porträtgalerie im Schauspielhaus. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Streit am Schauspiel Leipzig
Ein schwarzer Balken über den Bildern soll wohl heißen: "Wir können nicht mehr sprechen. Man hört uns hier nicht mehr." Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Streit am Schauspiel Leipzig
Die beiden betroffenen Ensemblemitglieder wurden symbolisch gestrichen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Streit am Neuen Schauspiel Leipzig
Bei Intendant Enrico Lübbe wurden die Ohren verdeckt. Das soll vielleicht heißen: "Ich will nichts hören." Wer hinter der Aktion steckt, ist nicht bekannt. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Treppenaufgang
Inzwischen ist die gesamte Bildergalerie entfernt worden. Bildrechte: MDR/Stefan Petraschewsky
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Hatte die Theaterleitung das aber so aufgefasst? Warum hatte sie dann Hausverbote erteilt? MDR Kultur fragte beim Intendanten Enrico Lübbe nach, ob und warum Nichtverlängerungen und Hausverbote überhaupt ausgesprochen wurden? "Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns zu personalrechtlichen Fragen nicht äußern", lautet die schmallippige Antwort. Zumindest wurde der Sachverhalt nicht als falsch zurückgewiesen. Dass eine Porträtgalerie im Parkettfoyer überklebt wurde, wurde von Lübbe auch bestätigt.

Diese Porträtgalerie versammelt das Ensemble, die Theaterleitung und auch noch andere künstlerische Mitarbeiter*innen. Mit schwarzem, breiten Klebeband wurden die Porträts von Julia Preuß und Katharina Schmidt jeweils mit einem Kreuz markiert. Ein fortlaufender schwarzer Strich überklebt alle Münder auf den Porträts. Alle bis auf einen. Der Mund von Enrico Lübbe ist nicht überklebt. Stattdessen sind es seine Ohren. Was soll das bedeuten? Die Dechiffrierung fällt leicht: Intendant Lübbe kann was sagen; alle anderen können was hören; umgekehrt ist allerdings keine Kommunikation möglich. Es ist quasi eine kommunikative Einbahnstraße. Miteinander sprechen – ein Gespräch zwischen Intendant und seinen künstlerischen Mitarbeiter*innen – findet es im Schauspiel Leipzig noch statt?

Streit am Neuen Schauspiel Leipzig
Sprechverbot am Schauspiel Leipzig? Kann das aus der bereits wieder abgehängten Fotogalerie geschlossen werden? Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Intendant Lübbe über Preuß: "Es ein großes Geschenk mit ihr zu arbeiten!"

Und warum wurden die Verträge der beiden Schauspielerinnen nicht verlängert? Julia Preuß spielt fantastisch, z. B. in vielen Stücken, die Claudia Bauer inszeniert hat. Sie ist Hausregisseurin am Schauspiel Leipzig und wurde mit Leipziger Inszenierungen schon zweimal zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Mehr geht eigentlich nicht. Preuß war auch als Margarethe in "Faust" besetzt. Mit seiner eigenen Inszenierung hatte Lübbe die Spielzeit 2018/19 eröffnet.

Lübbe schwärmt damals im MDR Kultur-Format Nächste Generation: Preuß mache das "ganz toll", bringe "Kraft und Energie" mit, habe auch das Talent, die klischeebehaftete Rolle so auszufüllen, "dass man wieder hinhören kann". Sein Fazit: "Als Regisseur gesprochen ist es ein großer Geschenk, mit ihr zu arbeiten, weil man immer ein besonderes Angebot kriegt. Sie kuschelt sich da nie ein und versteckt sich hinter etwas oder hat vor irgendetwas Angst – überhaupt nicht. Sie ist völlig angstfrei, probiert aus und gibt wirklich wahnsinnig viel in die Rollen rein." Wohlgemerkt "Rollen", nicht Rolle.

Warum wird die Leistungsträgerin also jetzt in die Wüste geschickt? Ist ihr die Angstfreiheit auf die Füße gefallen, weil sie sich im Theater möglicherweise nicht den Mund verbieten lassen wollte? Angstfrei – das dürfte auch zu Katharina Schmidt passen. Sie, die auch viel besetzt wird, engagiert sich auch hinter der Bühne: als Ensemblesprecherin, im Personalrat. Sie muss in dieser Rolle wohl auch ansprechen, wo der Schuh drückt. Wird das dann übelgenommen? Ist hier eine Art Zirkusdirektor am Werk, der die Peitsche schwingt, wenn die Pferdchen nicht so tanzen wollen wie er will?

Bilanz der Intendanz Lübbe: Eigentlich eine Erfolgsgeschichte

Rückblende: Enrico Lübbe übernimmt 2013 die Intendanz am Schauspiel Leipzig. Keine leichte Aufgabe. Das Publikum hatte sich abgewandt. Sebastian Hartmann, Lübbes Vorgänger, kam nicht gut an. Zumindest bei der Mehrheit der Zuschauer*innen. Seine Arbeit wurde skandalisiert: Geldverschwendung, schlechter Umgang mit dem Ensemble, zu schräges Theater. Hartmanns tatsächliche künstlerische Leistungen bleibt außen vor und muss sicherlich noch einmal angemessen gewürdigt werden. Jedenfalls macht Lübbe eine gute Figur. Bringt die Finanzen in Ordnung. Holt das Publikum zurück. Obendrein ein besonders junges. 38 Jahre alt im Schnitt. Für andere Theater ein Traum. Zusammen mit Chefdramaturg Torsten Buß programmiert er die Spielstätten neu: die große Bühne für die großen Stoffe; zeitgenössische Stücke, gerne Uraufführungen, in der Diskothek; experimentelles Theater und auch eine Brücke zur Freien Szene und zur bildenden, performativen Kunst in der Residenz auf dem Leipziger Spinnereigelände.

Zettel mit der Spielplanänderung an Eingangstür
Spielplanänderung für die Diskothek Bildrechte: MDR/Stefan Petraschewsky

Das Engagement des Schauspiels für aktuelle Stücke trägt Früchte. Lübbe und Buß organisieren Festivals für Nachwuchsdramatiker*innen, die gut angenommen werden; Leipziger Uraufführungen werden zu renommierten Festivals in Berlin oder Mühlheim eingeladen. Eine Erfolgsgeschichte. Sein Vertrag als Intendant wurde 2021 bis 2027 verlängert. Fragen fallen jedenfalls kaum ins Gewicht. Wie offen ist er für ganz neue Formate? Ist es klug, so lange – vielleicht zu lange an Schubladen wie "Diskothek" und "Residenz" festzuhalten? Wo bleibt ein partizipatives Theater – ein Mitmachtheater wie es z. B. Bürgerbühnen sind, was nach der Coronazeit von Expert*innen im sächsischen Kultursenat empfohlen wurde. Beispiel Dresden: Da gibt es seit 2015 ein "Montagscafé", organisiert vom Staatsschauspiel, in dem sich Geflüchtete und Einheimische treffen. In Leipzig hängt seit dieser Zeit nur ein Banner an der Fassade mit einem Zitat von Goethe: "Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter." Oben auf dem Dach wehen neuerdings ukrainische Fahnen. Reicht das noch?

Außenansicht des Leipziger Schauspielhauses
Auf dem Banner, das am Schauspiel Leipzig hängt, ist zu lesen: "Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter." Bildrechte: MDR/Stefan Petraschewsky

Wie verträgt sich ein Hausverbot mit "wertebasiertem Verhaltenskodex"?

Und wie jetzt weiter? Die Fotogalerie ist abgehängt. Diese Wand werde jetzt neu gestaltet, heißt es offiziell von einer Mitarbeiterin des Hauses. Schwamm drüber oder wie? Der Deutsche Bühnenverein hat vor gut einem Jahr seinen "wertebasierten Verhaltenskodex" aktualisiert. Er wird den Mitgliedern sehr ans Herz gelegt, also auch dem Schauspiel Leipzig. Für die Mitarbeitenden sind im Wertekodex Verhaltensregeln genannt. Wertschätzung und Respekt sind wichtige Punkte. Dort heißt es u. a.: "Ich gehe gewissenhaft mit der mir übertragenen Verantwortung um. Ich spreche Konflikte offen an und trage aktiv dazu bei, diese fair zu lösen."

Szene aus Faust - Inszenierung von Enrico Lübbe 2018, Schauspiel Leipzig
Intendant Lübbe inszenierte 2018 "Faust" neu. Bildrechte: Rolf Arnold

Sind Hausverbote eine faire Lösung? Wie will die Theaterleitung damit umgehen, wenn jetzt eine sehr große Mehrheit des Ensembles erklärt, das Betriebsklima sei "schwer beschädigt"? Wenn zudem im Raum steht, man fühle sich an die DDR-Zeiten erinnert? Und wann muss die Stadt eingreifen und für ihre Eigenbetriebe Verantwortung übernehmen? Skadi Jennicke ist seit Oktober 2016 Bürgermeisterin und Beigeordnete für Kultur. Sie wurde durch die Ratsversammlung für sieben Jahre gewählt. im Oktober 2023 stünde also die Verlängerung an. An einer konstruktiven, schnellen und nachhaltigen Lösung sollten alle hier interessiert sein: die Kulturbürgermeisterin, Mitarbeiter*innen am Schauspiel, die Theaterleitung. Die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA) schlägt vor, "alle Bühne-Beschäftigten mindestens bis zum Ende der Amtszeit von Enrico Lübbe unter Nichtverlängerungsschutz zu stellen." Das könnte man in einer Mediation doch gut besprechen. Der Konflikt wäre auf Dauer nicht durchzuhalten – mit Goethe gesprochen: Ein Intendant, der sein Ensemble nicht achtet, ginge wohl bald unter.

Redaktionelle Bearbeitung: Katrin Schlenstedt/Florian Leue

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Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 13. Dezember 2022 | 08:40 Uhr

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